In Kernfragen sind SPÖ und ÖVP meistens einig. Solche Kompromissbereitschaft ist gut für Österreichs wirtschaftliche Stabilität und für den sozialen Frieden - aber sie ist schlecht für die Entwicklung eines politischen Markenprofils: Großparteien sind schwer unterscheidbar.

Die Wähler wollen aber wissen, woran sie sind und wofür die Parteien stehen - auch wenn sich der gelernte Österreicher selber gerne in der politischen Mitte positioniert. Das wiederum verleitet die Großparteien, jede Aussage zu vermeiden, die der Mitte als zu extrem erscheinen könnte. Das erklärt, warum der SPÖ-Spitze Forderungen nach Vermögenssteuern aus den eigenen Reihen als zu radikal erscheinen - ebenso wie von der ÖVP die Pensionsreform aus den Schüssel-Jahren bald als zu radikal verworfen wurde.

Die daraus entstehende Lähmung lässt sich nur aufbrechen, wenn man extreme Positionen zulässt und ernsthaft zu diskutieren bereit ist. Konkurrenz belebt das Geschäft, lautet eine alte Kaufmannsweisheit - und auch der Politik täte Konkurrenz gut. Vonseiten der Grünen ist sie kaum zu erwarten, die haben es sich in der Mitte bequem gemacht. Und die KPÖ bekommt seit Jahren keinen Fuß auf den Boden, nicht einmal den linken. Neuen Schwung brächte nur eine neue, von glaubwürdigen Personen getragene Partei. Eine klar links positionierte Partei könnte auch verhindern, dass sich die FPÖ als einzige Protestpartei stilisieren kann, um heimatlos gewordene SPÖ-Wähler aufzusaugen. (Conrad Seidl, DER STANDARD, Printausgabe, 9./10.1.2010)