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Nicht nur im Islam - auch im Christentum - wurden Frauen angehalten, ihre Häupter zu bedecken.

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Die Aufregung dieser Tage ist groß. Das Thema heiß. Erhitzte Gemüter melden sich zu Wort, ganz gleich welcher ideologischen Gesinnung sie anhängen und wie sie zum Thema der Verschleierung stehen. Spätestens seit der Schweizer Volksabstimmung über Minarette, bei der sich eine Mehrheit von 57,5 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 54 Prozent dagegen ausgesprochen hat, verstärkte sich die seit Jahren geführte Diskussion über den Einfluss des Islam in europäischen Ländern in den letzten Wochen auch hierzulande. Im Fokus der Debatte: das islamische Kopftuch und seine Verhüllungsvarianten unter dem Sammelbegriff Burka, als Stein des Anstoßes.

Die Verschleierung des gesamten Körpers sei "eine Gefährdung des sozialen Friedens", ließ kurz vor Weihnachten der katholische Bischof Egon Kapellari von der Diözese Graz-Seckau verlauten, sein protestantischer Kollege Michael Bünker bezeichnete die Burka als ein "Symbol für Unterdrückung" und Frauenministerin Heinisch-Hosek sprach sich gleich für ein Verbot der Ganzkörperverhüllung in öffentlichen Gebäuden aus. Dagegen winkte die Islamische Glaubensgemeinschaft ab: sie habe zwar keine Symphatie für den Gesichtsschleier, plädiere aber für das Selbstbestimmungsrecht der Frauen. Und auch für die Grüne Alev Korun ist die Verschleierung "nicht wünschenswert, ein Verbot aber der falsche Weg".

Beim Schleier scheiden sich alle Geister

Aber nicht nur unter PolitikerInnen und Geistlichen herrscht Uneinigkeit, was denn nun der angemessene Umgang mit einem Phänomen wäre, das augenscheinlich Verbreitung findet und Ängste mobilisiert, auch die feministischen Meinungen driften auseinander.

Während Naomi Wolf der islamischen Frauenkleidung auch Positives wie eine "Schutzschicht" abgewinnen kann, die ein von muslimischen Männern Ernst-genommen-Werden nach sich ziehe, sieht Alice Schwarzer im Kopftuch die "Flagge des Islamismus", das Symbol der Frauenunterdrückung schlechthin. Andere Feministinnen wie Sérénade Chafik, Wafa Sultan, Ayaan Hirsi Ali meinen, dass Vertreter des Islamismus die Wirtschaftsmigration und die missglückte Integrationspolitik genützt hätten, um ihre Agitationen zu verbreiten und das Kopftuch auf diese Weise zum politischen Symbol geworden sei. Ein Symbol, für das sich ihrer Ansicht nach, die Frauen nicht frei entscheiden könnten, sondern das aus dem familiären und politischen Einfluss resultiere und ganz einfach daraus, dass Frauen als Menschen zweiter Klasse betrachtet werden. Zudem beeinträchtige diese Kleidung sowohl Bewegungsfreiheit und Kommunikation und schränke somit auch ihre Menschenrechte ein.

Welche Bedrohung liegt vor?

Neben der europäischen Sichtweise im explizit als muslimisch betrachteten Kopftuch darin die Metapher schlechthin für die Diskriminierung der Frauen zu sehen, wird es gleichzeitig als Ausdruck der Erstarkung fundamentalistischer muslimischer Kreise wahrgenommen. Wurden vor zehn Jahren nur vereinzelt kopftuchtragende Frauen, zumeist ältere und aus bildungsfernen Schichten beispielsweise der Türkei, in Österreich gesichtet, sind es heute immer mehr, auch junge, gut ausgebildete, teilweise Studentinnen und Akademikerinnen. Und das macht den Menschen Angst; sie sagen: "die werden immer mehr".

Warum verschleiern sich Frauen?

Auffällig ist ebenso, dass es sich bei einer steigenden Zahl an verschleierten Frauen um gebürtige Österreicherinnen handelt, die sich für den Islam und damit für das Kopftuch entschieden haben. Speziell diese Frauen berufen sich auf ihr Recht auf Selbstbestimmung, sprechen von "individuellem Selbstausdruck" und sogar Emanzipation. Andere Mädchen und Frauen wiederum tragen Kopftuch & Co aus Gepflogenheit, Tradition, Angst vor sozialen Sanktionen. Sie verschleiern sich, weil ihre Eltern und Ehemänner darauf bestehen, was noch nichts darüber aussagt, ob es für sie selbst religiöse Bedeutung hat.

Birgit Rommelspacher schreibt in ihrer wissenschaftlichen Analyse "Anerkennung und Ausgrenzung" (2002): "Das Kopftuch kann auf der einen Seite Ausdruck einer bewussten Selbstverordnung sein und Widerstand gegen Assimilationismus ausdrücken, es kann auf der anderen Seite aber auch Ausdruck eines repressiven Kollektivismus sein. Deshalb muss jeweils im Einzelfall geprüft werden, welche Bedeutung das Kopftuch für die jeweilige Frau hat und ob damit eine eigenständige Position vertreten wird, oder ob etwa Zwang und Gewalt im Spiel ist".

In einigen islamischen Ländern wie Saudi-Arabien und dem Iran ist das Tragen des Schleiers in der Öffentlichkeit gesetzlich vorgeschrieben und wird von einer Religionspolizei kontrolliert sowie Verstöße dagegen juristisch verfolgt. Dies war auch bekanntlich unter der Taliban-Herrschaft in Afghanistan der Fall. In anderen Ländern wie Ägypten und der Türkei beispielsweise bestehen dagegen Kopftuchverbote in öffentlichen Institutionen. Interessant ist auch, dass in Indonesien bis Anfang der 1990er-Jahre Verschleierung unüblich war, die sich mittlerweile verbreitet und in Banda Aceh zur Pflicht mit Rechtsfolgen geworden ist.

In einer 2006 von der Konrad-Adenauer-Stiftung durchgeführten Studie wurden die Motive von Frauen, die freiwillig das Kopftuch tragen, untersucht. Bei den Befragten handelte es sich jedoch um Frauen, die in Familien aufgewachsen sind, in denen das Kopftuch eine Selbstverständlichkeit darstellt. 40 Prozent gaben an, der Einfluss ihrer Mutter war ausschlaggebend und 75 Prozent meinten, die Meinung des Vaters wäre nicht wichtig gewesen. Interessantes Detail am Rande, das die hierzulande diskutierte Islamophobie anspricht: Die Teilnehmerinnen zeigten sich von der Überlegenheit des Islam überzeugt und zählen sich selbst zu einem "auserwählten, besseren Teil der Menschheit". Eine Meinung, die als nicht vereinbar mit den Werten von Demokratie und Toleranz in der gesamten Islam-Debatte angeregt diskutiert wird.

Welche religiösen Quellen werden herangezogen?

Im Koran geben nur wenige Stellen über die Kleidung von Frauen Auskunft. Rechtsgelehrte im Scharia-Islam verweisen auf drei Suren, von denen jedoch keine einzige einen eindeutigen Anhaltspunkt liefert, dass Frauen ein Kopftuch bzw. einen gesichtsverhüllenden Schleier tragen müssen.
In Sure 24,31 wird Frauen nahegelegt, einen "himar" (Schal) zu tragen, der ihren Schmuck verdeckt. Dieser Vers richtet sich im Prinzip gegen Prahlerei, eine Verschleierung des Gesichts oder des ganzen Körpers lässt sich daraus nicht ableiten. In Sure 33,59 wird "gilbab" (Gewand) erwähnt, welches "Frauen und Töchter des Propheten und Frauen des Gläubigen" tragen sollen, damit sie "erkannt" und nicht belästigt werden. Die Sure 33,53 richtet sich nur an die Frauen des Propheten, die, wenn sie um etwas bitten, dies hinter einer Abschirmung ("higab") tun sollen. IslamwissenschafterInnen deuten diese Abschirmung als Trennwand und keinesfalls als Kleidungsstück. Klassische Koran-Interpreten dagegen ziehen daraus die religiöse Pflicht für Musliminnen ein Kopftuch bzw. eine andere Verschleierung "hijab" zu tragen.

Historische Wurzeln des Schleiers in Islam und Christentum

Soweit dies erforscht ist, tritt der Schleier erstmals ab dem zweiten Jahrtausend v.u.Z., also etwa zeitgleich mit der Etablierung patriarchaler Gesellschaften und monotheistischer Vaterreligionen in Erscheinung. Im Alten Testament findet sich an verschiedenen Stellen der Begriff Schleier, z.B. in Genesis 24,65.

Im antiken Griechenland und im Römischen Reich war der Kopf/Haar-Schleier für Frauen der Oberschicht so etwas wie ein Symbol des "Anstandes". Belegt ist beispielsweise, dass sich der Römer Gaius Sulpicius Galus von seiner Frau scheiden ließ, weil sie ohne Schleier in der Öffentlichkeit aufgetreten ist.

Um etwa 200 v.u.Z. taucht der Schleier auch in Assyrien auf, jedoch nur für Frauen der Oberschicht, für Sklavinnen war er verboten. Und vor etwa 2000 Jahren wurde der Schleier auch auf der Arabischen Halbinsel erstmals gesichtet, ebenfalls als Kleidungsstück, das den Frauen der Aristokratie vorbehalten war. Obligatorisch soll die Verschleierung im Kalifat im 9. Jahrhundert geworden sein und in Nordafrika sogar erst im 15. Jahrhundert eingeführt worden sein.

Frauen mussten ihre Häupter bedecken

Der Apostel Paulus schreibt vom Schleier im Gottesdienst in 1 Kor 11,4 - 1 Kor 11,6. Ohne Kopftuch in die Kirche zu gehen war auch hierzulande, zumindest in der Provinz, für Frauen bis in die 1970er-Jahre undenkbar. Während Männer den Hut beim Betreten des Gotteshauses abnahmen, mussten Frauen Kopf und Haar bedecken, denn Gott gilt im Christentum als Haupt des Mannes und der wiederum als Haupt der Frau.

Diese Zuordnung wird auch anhand des bis heute üblichen Begriffs "unter die Haube kommen" deutlich. Demgemäß drückt der Brautschleier die Verfügungsgewalt von Männern über Frauen aus: die verschleierte Braut wird vom Brautvater zum Altar geführt und der Schleier vom Bräutigam nach der Vermählung gelüftet.

Im 14. und 15. Jahrhundert trugen vornehme Frauen ausnahmslos ihr Haar stets unter einer Haube, die wiederum mit einem Schleier bedeckt war. Das Haar als "schönster Schmuck der Frau" sollten nur diejenigen zu sehen bekommen, die "ein Recht" darauf hatten. Hierin liegt auch die Parallele zum islamischen Kopftuch bzw. der Verschleierung. Denn bis heute gilt auf der ganzen Welt das weibliche Haar - bzw. der Körper - als Symbol der Verführung.

In der Vita consecrata, im Ordensleben, hat sich der Schleier in seiner bräutlichen Symbolik erhalten: Nonnen sind die Bräute Christi. Deshalb bedeutete der Begriff "den Schleier nehmen" lange Zeit, sich für eine göttliche Lebensform zu entscheiden, also ein Synonym für den Eintritt einer Frau ins Kloster.

Hingegen steht offenes, unbedecktes, ungebändigtes Haar - noch dazu wenn es lang ist - für Freiheit, die unbezähmbare, "wilde", selbstbestimmte Frau.
(Dagmar Buchta/dieStandard.at, 04.01.2010)