Mit Mohammed und Juden wird da nicht zimperlich umgegangen.

Vorweg: Bitte liebe Wiener Philharmoniker, in den nächsten Jahren könnte man doch wieder einmal DirigentInnen verpflichten, die ein Neujahrskonzert auch beherrschen. Maestro Prêtre tat das nicht. Er lieferte hübsche Salonpiecen ab, aber weder richtigen Walzertakt noch passend Rascheres; und – leider – eine von ihm gegebene Polka mazur war dem Genre gegenüber eine Frechheit.

Gleichviel.

Oder vielleicht noch einmal kurz vorweg: Wer verantwortet eigentlich die Tatsache, dass die Live-Tanzeinlagen vor ungemein wertvollen Bildern im KHM (in einer ziemlich einfältigen Choreografie und in – trotz Vorausbejubelung – nichtssagenden Kostümen) dahingehupft werden? Dazu ist nämlich ein Maschinen- und Energie-Park vonnöten. Jede(r) Besucher(in), welche sich dergestalt sonst den Bildern näherte, wird usuell streng gemaßregelt.

Was aber beeindruckend und verstörend war im eben gegebenen und angeblich von Abermillionen gesehenen und gehörten Neujahrskonzert 2010, das sind die Musikhintergründe des Programms.

Also.

Musik generell und eben auch die angeblich lustige der Neujahrskonzerte hat auch andere Ebenen, ursprünglich sogar andere Absichten.

Wiener seid froh

So ist es immer wieder verblüffend, mit welcher Grandezza man weltweit und als österreichische Visitenkarte den Donauwalzer als heimlich-offene Welthymne zelebriert. Das Stück war dereinst etwas ziemlich Politisches! Österreich blutete nach 1866 aus den Wunden von Königgrätz. Im Fasching darauf musste sozusagen was geschehen und zugleich sarkastisch verschüttet werden. Strauß, der Junior, Jean, Schani, fabrizierte zu diesem Zweck die bis heute am bekanntesten gewordenen Musik, An der schönen blauen Donau, ein Gesangswalzer im responsorialen Satz. Dort wird aus zwei Männerchören gefragt, warum man denn überhaupt noch froh sein dürfe, alles rundum (pardon) sei doch nur mehr Scheiße. Und überhaupt: Lieber tanzen und vergessen, lieber Komatrinken und die Leute ausnehmen.

Klar antisemitisch

Später hat man den Donauwalzer-Text sogar noch erweitert. Dann brüllen sich die Männerchöre nämlich bewusst antisemitisch folgendermaßen an: "Der Ring (die neue Wiener Ringstraße) ist ein Juwel, dort wohnt ganz Israel."

Neujahrs-Weltmusik aus Wien.

Aber das ist noch lieb und historisch (es gibt Dutzende an höchst bekannt gewordenen Musiken aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit schlimmen und vor allem dummen Texten; der Strauß-Walzer op. 462, Klug Gretelein, beschreibt sogar die Vergewaltigung eines Mädchens, wobei dieses nachher noch sagen muss: "Es hat mir eh' Spaß gemacht." ).

Es geht ums Saufen

Im Neujahrskonzert 2010, angeblich das weltweit meistrezipierte Musikereignis überhaupt, gab es allerdings zudem (wieder einmal) den 1868 komponierten Strauß'schen Gesangs-Walzer op.333, Wein, Weib und Gesang. Nun gut. Das ist eine wunderbare Musik über einen saudummen Text. Es geht ums Saufen. Seit Adam und Eva. Es geht wieder um ein Sich-Besaufen bis zum Exzess. Es geht darum, wie man mittels Alkohols junge Frauen besser verführen kann. Dann brüllt alles "zum frommen Gebet" , dass sich rasch der himmlische Segen über uns ergieße.

Tja. Ist halt so. Jedes zweite Wienerlied und jeder Rap verfolgen ähnliche Ziele.

Was aber ein wenig stutzig (oder in unserer Zeit: ängstlich) machen könnte, das sind die Schlussstrophen von Wein, Weib und Gesang (zur Erinnerung: eine Musik und deren Vorlagen, die aus Wien, live und weltweit als Musik-Medien-Ereignis Nr.1 ausgestrahlt werden). Man geht dann nämlich voll ins Religiöse, im Texthintergrund von Wein, Weib und Gesang.

Zuerst werden Martin Luther und das Konzil bemüht. Beiden wird Sauferei und Frauenverführung unterstellt.

Lebenslust nach Mohammed

Tja. Noch einmal gesagt. Ist halt so. Wir sind hierorts und nach diversen Aufklärungen solchen Texten gegenüber zumindest lässig. Aber dann? Man übt sich in religiöser Vielfalt.

Zitat aus dem Original: "Denn man braucht deshalb noch kein Lutheraner zu sein, selbst der koscherste Jud liebt G'sang, Weib und Wein. Es hat der Mohamed freilich den Wein confiszirt, doch dafür hat er sich an den Weibern regressirt. Kühner Muth, frisches Blut, thun sehr gut in jeder Zeit, Lieb und Sang, Becherklang, trotzen lang der Traurigkeit."

Wenn man da bedenkt, was wesentlich harmloserer Lächerlichmachungen des Propheten des Islam in den letzten Monaten nach sich gezogen haben. Konflikte im Weltmaßstab nämlich. Und dann spielt man sowas als größtes einschlägiges Musikereignis? Live übertragen. Vergleichsweise unbewacht, was mögliche Fundi-Anschläge betrifft? Mutig! (Offenbar in der eigenen Ignoranz kühn mit der Ignoranz der Fundis rechnend.)

Dieser Kommentar wurde übrigens und sicherheitshalber erst nach Abschluss der Übertragung des Philharmonischen Neujahrskonzertes 2010 verfasst. Man weiß ja nie.

Und noch einmal übrigens: Ich würde mich in dieser Zeit etwa als Opernintendant auch ziemlich fürchten, das eine oder andere Orientalen-Stück aufzuführen. Auch dort drinnen kommen Sachen vor, welche weit über jegliche aufgeregt rezipierte Karikaturen gehen. Vor allem würde ich eine der Star-Opern überhaupt nicht mehr aufführen. Mozarts Die Entführung aus dem Serail. Dort wird ja schließlich im Saufduett dem Herrn Allah unterstellt, dass dieser wahrscheinlich sowieso zu blöd ist, den Alkoholkonsum eines Gläubigen zu bemerken.

Man sagt, das wäre in manchen Religionsauslegungen bereits ein Todesurteil. (Otto Brusatti, DER STANDARD/Printausgabe, 02./03.01.2010)