Selten zuvor hat ein Denker ein so spektakuläres Comeback erlebt wie der britische Ökonom John Maynard Keynes im abgelaufenen Jahr. Von der USA über Europa bis China wurden seine Rezepte zur Bekämpfung einer Wirtschaftskrise – hohe staatliche Ausgaben und eine Niedrigzinspolitik – angewandt. Selbst konservative Ökonomen und Politiker, die sich jahrelang gegen eine solche expansionäre Politik gewandt hatten, bekannten sich plötzlich zum angewandten Keynesianismus.

Und Keynes hat gewirkt: Die Todesspirale der Weltwirtschaft wurde gestoppt, die Rezession war weniger schwer als zu Jahresanfang erwartet und ab dem Sommer setzte wieder ein zaghafter Aufschwung ein. Die Inflation blieb niedrig, aber die von allen gefürchtete Deflation trat – mit der Ausnahme des chronischen Patienten Japan- nicht ein. Und die 1930er-Jahre kehrten nicht zurück: Es gab keine zweite Große Depression mit all ihren schrecklichen wirtschaftlichen, menschlichen und politischen Folgen.

John Maynard Superstar.

Dass ist kein Zufall. Denn Keynes hat seine Theorien während und für die Große Depression entwickelt. Als dann achtzig Jahre später ähnliche Entwicklungen auftraten, war er der richtige Mann am richtigen Ort.

Doch nun, am Ende des Jahres und des Jahrzehnts, ist es Zeit, sich von Keynes wieder zu verabschieden. Für bessere wirtschaftliche Zeiten ohne tiefe Rezessionen sind seine Rezepte  bzw. ihre populär-politische Interpretation, nur wenig nützlich und in vieler Hinsicht sogar schädlich.

Es war kein Zufall, dass Keynes in den siebziger Jahren in Verruf geraten ist, nachdem die meisten Industriestaaten während der Nachkriegszeit im Namen der Vollbeschäftigung dem Schönwetter-Keynesianismus gefolgt sind – mit stets steigenden Staatsausgaben, wachsenden Schulden, hoher Inflation und viel Staatsinterventionismus.

Keynes ist wie ein Antibiotikum, auf das Bakterien eine Resistenz entwickeln, wenn es zu viel und falsch angewandt wird.

Die wachsenden Defizite führten zum „Crowding out“, also der Verdrängung privater Kreditnehmer vom Finanzmarkt bzw. höherer Zinsen für diese. Die steigende Staatsverschuldung zwang Staaten dazu, immer größere Anteile ihrer Steuereinnahmen ihren Gläubigern zu übergeben statt in die Wirtschaft zu investieren. Und wie Milton Friedman und Edmund Phelps schon früh erkannt haben, kann man sich mit einer höheren Inflation mittelfristig nicht mehr Wachstum und Beschäftigung erkaufen, sondern nur ein höheres Preisniveau.

Nun hat auch Keynes nicht gemeint, dass in jeder Konjunkturphase Defizite angehäuft und Zinsen niedrig gehalten werden sollen. Im Gegenteil, er forderte eine antizyklische Wirtschaftspolitik, die bei Hochkonjunktur Budget-Überschüsse produziert. Aber diese Passagen seines Werkes haben die Politiker gerne überlesen, bzw. sie redeten sich ein, dass immer Platz für noch Wachstum sein müsse.

Noch ist die Weltwirtschaft nicht in einer solchen Lage. Der Aufschwung bleibt vorerst schwach, und es wäre wohl zu früh, auf die Bremse zu steigen. Die Erfahrung von 1936, als US-Präsident Franklin D. Roosevelt durch eine verfrühte Sparpolitik eine „Rezession in der Depression“ ausgelöst hat, schwebt über alle Entscheidungsträger.

Aber dennoch muss das Augenmerk rasch von der Ankurbelung der Konjunktur zu den strukturellen Rahmenbedingungen für das Wachstum verschoben werden, und dazu gehören ein entschlossener Abbau der Budgetdefizite und eine konsequente Verhinderung von Inflation. Den rechten Augenblick zu erwischen ist die schwierigste Aufgabe für Notenbanker und Finanzminister, und die Gefahr, zu spät dran zu sein ist genauso groß wie zu früh.

Wer in dieser schwierigen Phase den Namen Keynes in die Debatte wirft – und dies werden seine Bewunderer wie Joseph Stiglitz sicher wieder tun –, erschwert eine vernünftige Entscheidungsfindung. Denn Schuldenabbau und höhere Zinsen sind politisch viel schmerzhafter als die Fortsetzung des jetzigen Kurses, und wer hier weismachen kann, es geht auch anders, hat den Applaus auf seiner Seite. Wenn Keynes 2009 Recht hatte, wird man sagen, warum dann nicht 2010 und 2011?

Doch dann würde die Weltwirtschaft bloß ein Problem durch ein anderes ersetzen. Die Wegstrecke vom Keynesianismus zum wirtschaftlichen Populismus ist eine kurze.

Deshalb sollten wir Keynes noch einmal einen großen Dank auszusprechen und ihn dann in der intellektuellen Versenkung wieder verschwinden lassen. Adieu, John Maynard, und hoffentlich müssen wir dich lange, lange Zeit nicht wiedersehen.