Wer hat die zweithöchsten Selbstbehalte im Land? Das sind überraschenderweise die ASVG-Versicherten, die im Jahr durchschnittlich 181 Euro und 50 Cent für alle Gebühren im Gesundheitswesen - also Krankenschein-, Ambulanz-, Rezeptgebühr, Beiträge für Heilbehelfe und Spitalstag usw. - ausgeben. An erster Stelle liegen die Beamten (inklusive Eisenbahnern), die aber, obwohl sie 20 Prozent Selbstbehalt beim Arzt zahlen und laut Bundesinstitut für Gesundheitswesen das Gesundheitswesen stark in Anspruch nehmen, nur 13,50 Euro mehr im Jahr zahlen.

Demnächst werden wohl die ASVG-Versicherten auf Platz eins katapultiert - mit neuen Kostenbeteiligungen, aber ohne die großzügigeren Gesundheitsleistungen kleiner Kassen. Denn das Langfristprogramm, die Systeme zu harmonisieren, ist nicht so schnell umsetzbar, wie die Regierung frisches Geld braucht.

Wobei noch nicht einmal Konsens darüber herrscht, welche Gruppe das beste System hat, das ergo für alle Versicherten gelten soll. Außerdem müssen die Auswirkungen auf die Arzthonorare beachtet werden: Niedergelassene Mediziner freuen sich derzeit nämlich gar nicht über ASVG-Patienten, dafür aber sehr über Patienten "kleiner Kassen", weil bei ihnen höhere Honorare winken und insgesamt mehr geboten werden kann - etwa Labortests.

Außerdem stehen den Versicherten kleiner Kassen um 20 Prozent mehr Vertragsärzte zur Verfügung, was vor allem in ländlichen Regionen von Bedeutung ist: So bietet die wegen ihrer Sparsamkeit stets gerühmte oberösterreichische Gebietskrankenkasse ihren Versicherten viel zu wenig Fachärzte (etwa Augenärzte).

Deshalb gab es wohl nie einen kollektiven Aufschrei von Eisenbahnern oder Beamten gegen die böse "Krankensteuer" - im Gegenteil: Sie haben sich immer dagegen gewehrt, ins ASVG-System eingegliedert zu werden.

Trotzdem steht man in Österreich Selbstbehalten skeptischer gegenüber als anderswo. Denn ist es nicht sozial gerechter, das Gesundheitssystem gänzlich über Kassenbeiträge und Steuern zu finanzieren? Unerwünschte Nebenwirkung einer derartigen "Gratismedizin" wäre allerdings ein teureres System, weil die Begehrlichkeit höher wäre.

Knie gezerrt? Her mit dem Magnetresonanztomografen! Kreuzweh? Eine Kur bitte! Langeweile? Auf zum Arzt! Einsam zu Weihnachten? Bitte um Spitalsaufnahme! Ein Selbstbehalt wie bei den Beamten (wo die Leistungen auf der Rechnung aufgelistet sind) lässt hingegen den Patienten zum Kontrollor seines Arztes werden und bremst das Anspruchsdenken der Patienten ein wenig.

Wie das neue System ausschauen soll, ist noch nicht klar. Fest steht nur: Zu viele Ausnahmen erhöhen den Verwaltungsaufwand ins Unermessliche. Für einheitliche Selbstbehalte könnten Kinder bis 14 und Rezeptgebühr- befreite ausgenommen werden. Alle anderen zahlen, und zwar bis zu einer noch festzusetzenden Höchstgrenze, was wiederum für chronisch Kranke eine Entlastung gegenüber der bisherigen Situation wäre.

Und wer soll das Geld einheben? Die Ärzte, sagt die Sozialversicherung. Für solche Belange sollte es ja längst (nämlich seit heuer) die "Chipkarte" geben, die von der Regierung 1999 beschlossen und dank eines grandiosen Pfuschs beim Erzeuger nun neu ausgeschrieben werden muss, daher voraussichtlich erst 2005 kommen wird.

Auf ihr könnte gespeichert sein, wie viel der Patient im laufenden Jahr bereits für Selbstbehalte ausgegeben hat, womit die diskutierte Höchstgrenze leichter administrierbar wäre. Doch die heimischen Datenphobiker werden einen vernünftigen Gebrauch zu verhindern wissen. Vorerst soll die Karte nur den Krankenschein ersetzen, sonst "kann" sie praktisch nichts.

Fazit: Ein Schnellschuss bei den neuen Selbstbehalten könnte ähnlich chaotisch ablaufen wie bei der Ambulanzgebühr und die ASVG-Versicherten endgültig zu den Underdogs im heimischen System machen. (DER STANDARD, Printausgabe, 4.4.2003)