Foto: Jil Sander
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Mut hat er, das muss man ihm lassen! Dabei sieht er gar nicht so verwegen aus: Milan Vukmirovic, 33 Jahre jung, groß, schlank, gutaussehend, höflich. Serbo-Kroate, in der Nähe von Paris geboren. Er hat sanfte Augen, schöne Hände, eine angenehme Stimme. Und einen eisernen Willen. Denn er hat eine Vision, eine Vorstellung von dem, was er will, was machbar ist und wie Zukunft aussehen könnte im Zusammenhang mit Mode. Dabei ist er stets flexibel genug, weil er Realität erfahren hat. All dies hätte der Frau gefallen, deren Nachfolge anzutreten Vukmirovic im November 2000 gewagt hatte: Jil Sander.

Damals war Vukmirovic ein unbeschriebenes Blatt, höchstens Insidern der Branche ein Begriff. Die Sander aber stand auf dem Zenit ihrer Karriere. Sie war die "Queen of Less", wie sie die amerikanische Modepresse nannte, die Königin des modischen Minimalismus. Gegen Ende des Jahrtausends hatte sie der Mode noch einmal "die moderne Frau" erfunden. Sie war die Coco Chanel ihrer Generation.

Um im Zuge der Globalisierung zwischen all den Luxuskonzernen aber mithalten zu können, war sie gezwungen zu expandieren. Das erforderte Kapital und starke Partner, also verkaufte sie 1999 die Aktienmehrheit des Unternehmens, das sie 1978 gegründet hatte, an Prada-Boss Patrizio Bertelli - zum Erstaunen und Entsetzen der Branche. Fünf Monate später schied sie im Zorn. Sie trat als Vorstandsvorsitzende zurück und gab als Designerin all die Kollektionen auf, die ihren Namen und Handschrift trugen. Ein Kapitel in der Geschichte der Mode hatte seinen Abschluss gefunden.

Milan Vukmirovic überzeugte den Prada-Chef

Bertelli glaubte, es ginge auch ohne sie. Es ginge überhaupt ohne Designer bei Sanders Kollektionen, weil sich die nur über die Qualität definieren würden. Es war Milan Vukmirovic, der den allmächtigen Prada-Chef überzeugte, dass man Jil Sanders Mode personalisieren müsste. Dass sie einen Namen und einen Designer bräuchte, an dem man sie festmachen könnte. Und dass er jener Designer wäre!

Eigentlich hatte ihm Bertelli Fendi als Kollektion angeboten, die Karl Lagerfeld entwirft und damals zum Prada-Imperium gehörte. Doch Vukmirovic war nicht interessiert. Er lehnte ab. Denn er wollte sich einen Traum erfüllen - er wollte Jil Sander! Deswegen hatte er kurz zuvor auch das Angebot eines anderen Großen der Branche ausgeschlagen, weil er glaubte, dass das Schicksal mehr für ihn bereit hielte, als Design-Director unter Tom Ford für Gucci, Yves Saint Laurent und Sergio Rossi zu werden.

Andere haben ihn um den Job beneidet. Tom Ford versuchte ihn umzustimmen. Aber Milan Vukmirovic wollte sich nicht nur einbringen, er wollte prägen. Wie bei "Colette", jener Pariser Ladensensation, die 1997 in der Rue Saint-Honoré eröffnete und den modischen Einzelhandel revolutionierte. Es war der erste Concept Store, der außer Mode auch Bücher, Zeitschriften, Kosmetik und Design-Objekte verkaufte. Er verband den Luxus des Besonderen, das es nicht überall gab, mit dem Luxus von gesparter Zeit, weil man dies alles auf zwei Etagen vorfand. Von Vukmirovic stammte die Idee, von der Inhaberin der Name und das Geld. Vier Jahre kaufte er Mode für Männer und Frauen ein. Damals lernte er Tom Ford bei Gucci kennen und die Kollektion von Jil Sander lieben. Was er nicht wusste und erst später erfuhr, war die Tatsache, dass sich die Sander jedes Mal über seine Order informieren ließ, sobald er den Showroom verlassen hatte. Wie auch Tom Ford schätzte sie seinen Geschmack. Sie wollte wissen, was ihm, dem Einkäufer, gefallen hatte.

Als er einmal die Evolution in ihrer Kollektion vermisste und ihr das berichtet wurde, bat sie ihn um ein Gespräch. Es war das einzige Mal, dass Milan Vukmirovic Jil Sander traf. "Ich bin fasziniert von der Qualität in ihrer Kollektion, von den Materialien und der Verarbeitung. Aber man sollte ihr mehr Femininität geben, sogar, auf elegante Art, eine gewisse Sexyness. Man sollte die Kollektion verjüngen, ohne sie allzu sehr den aktuellen Tendenzen anzugleichen. Außerdem gibt es viele Positionen, die nie von Jil Sander besetzt worden sind: die Farbe, Dessins oder Pelz zum Beispiel."

Vukmirovic hatte den Job

Das überzeugte auch Mr. Prada, Patrizio Bertelli. Vukmirovic hatte den Job. Er konnte nun zeigen, weshalb er mit siebzehn Jahren die Modeschule in Paris nach nur einem Jahr wieder verlassen hatte. Damals vermisste er die Verbindung zwischen Kreativität und Realität. Das sollte ihm bei Jil Sander fast zum Verhängnis werden. Denn keine Kollektion in der Branche war so eng mit der Person verbunden, die sie entwarf. Man registrierte höflich seine Entwürfe und rechnete ihnen nach, was die Sander anders gemacht hätte. Das Unternehmen rutschte immer tiefer in die roten Zahlen. "Wir haben Fehler gemacht, weil wir versuchten, es allen recht zu machen."

Die Fragen eines Freundes zerschlugen schließlich den gordischen Knoten. "Warum arbeitest du nicht wie bei Colette? Damals hast du nur Modernität gelten lassen. Design hast du als Zeichen der Zeit begriffen!" Vukmirovic war plötzlich klar, dass er aufhören musste, Sanders alte Ideen neu zu interpretieren. Er musste der Kollektion die Gegenwart gewinnen.

Das Schnittraffinement mit Hilfe von Reißverschlüssen in der diesjährigen Sommerkollektion ist Beleg dafür. Auch die applizierten Taschenspielereien, die Klarlinigkeit, die den Silhouetten der Eighties folgt, und der Einsatz von Farbe in Form von Neon-Colors.

Indem er sich dem Zeitgeist stellt, gewinnt er eine kompromisslose Modernität, die gleichzeitig Zeitlosigkeit ahnen lässt. Damit kommt er Jil Sanders Geheimnis auf die Spur. Trotzdem wird er niemals die Chimären der Vergangenheit vollständig besiegen können. Damit muss er leben. Den Mut dazu hat er. Und das Können auch. (DER STANDARD/rondo/04/04/03)