London/Wien - Josef Penningers Zweifel an den bisherigen Erfolgsmeldungen über die Stammzellforschung sind berechtigt, wie sich heute zeigt. "Es gibt bisher noch keinen Beweis, dass eine Therapie mit Stammzellen so funktioniert, wie wir uns das vorstellen", argwöhnt der international gefeierte Genetiker aus Oberösterreich im Gespräch mit dem STANDARD. Und konkretisiert: "Niemand weiß, ob sich die vielseitigen Stammzellen bei den bisherigen Therapieversuchen tatsächlich in die gewünschten Gewebezellen umprogrammierten oder ob sie einfach nur mit anderen Zellen verschmolzen sind."

Die aktuelle Ausgabe des Wissenschaftsjournals Nature schreibt aufgrund zweier neuer Studien: "Transplantierte adulte Stammzellen aus dem Knochenmark fusionieren eher mit den Zellen des beschädigten Gewebes, als dass sie diese ersetzen." Wie es scheint, versuchen Stammzellen, durch die Verschmelzung das entartete Genom der Zielzellen zu reprogrammieren.

Im Prinzip wäre es ja noch egal, wie es funktioniert, wenn es denn funktionierte. Das Ganze hat aber einen nicht unbedeutenden Haken: Die dabei entstehenden Fusionszellen erscheinen zwar als umprogrammierte Stammzellen, tatsächlich aber enthalten sie Gene sowohl der kranken als auch der transplantierten Zellen. Einige haben sogar dreimal so viele Chromosomen wie normale Körperzellen und sonstige Erbgutabnormitäten - die zu Krebs führen können.

Und was heißt das jetzt? Bisher umjubelte Studien, die der Menschheit die Hoffnung schenkten, von Tumoren zerfressene Bauchspeicheldrüsen und durch Alkoholexzesse zersetzte Lebern könnten eines Tages durch wandlungsfähige adulte Stammzellen geheilt werden, müssen infrage gestellt werden. Sie könnten auf dieser Fehlinterpretation beruhen. Markus Grompe, einer der Studienautoren, weiß nun jedenfalls nicht mehr, "ob die bisherigen Daten die Wahrheit reflektieren".

Und als ob das nicht schon reichen würde, spielen die beiden Studien den Ball auch noch all jenen Wissenschaftern zu, die immer schon der Meinung waren, dass mit adulten Stammzellen ohnedies kein Match zu gewinnen sei: Denn zum Sieg über die Leiden der Menschheit führe kein Weg an den ethisch äußerst umstrittenen embryonalen Stammzellen vorbei.

Darf man das dürfen?

Diese seien anders als adulte Zellen nicht multi-, sondern totipotent, könnten sich nicht nur zu ein paar spezifischen, sondern zu allen Zelltypen ausdifferenzieren und seien schon deshalb erste Wahl. Zudem würden sie bei der Therapie wohl nicht solche Probleme bereiten wie ihre erwachsenen Schwestern. Aber darf man zur Entwicklung möglicher Therapien Embryonen zerlegen dürfen?

"Die Ethik sollte sich hüten vor Geboten und Verboten", mahnt Peter Kampits, Vorstand des Instituts für Philosophie der Uni Wien. Aber dass in Österreich bei künstlicher Befruchtung eingefrorene "überzählige Embryonen nach einem Jahr vernichtet werden" und dies mit "ethischem Anspruch argumentiert" werde, sei "eine Heuchelei". Anstatt sie wegzuwerfen, sollte mit ihnen, wenn sie denn schon da sind, geforscht werden dürfen. "Verwerflich wäre eine Produktion von Embryonen rein zu diesem Zweck."

Josef Penninger sieht das ähnlich. Zwar müsse die Forschung an adulten Stammzellen weiterhin massiv gefördert und vorangetrieben werden. Aber für den Chef des neuen Wiener Instituts für Molekulare Biotechnologie sind weitere Studien an embryonalen Stammzellen immens wichtig: "Nur so können wir die Erkenntnisse gewinnen, die zur Entwicklung solcher Therapien notwendig sind." Für den klinischen Einsatz jedoch lehnt er embryonale Stammzellen aus ethischen Gründen kategorisch ab. "Wenn sich jemand zu Tode säuft, kann ich für ihn nicht einfach einen Embryo abtreiben", bringt es Penninger auf den Punkt.

Genetiker Markus Hengstschläger, Chef des pränatalmedizinisch-genetischen Labors am Wiener AKH, hat eine andere Idee: Da die ursprüngliche "molekulare Struktur der DNA auch noch in adulten Stammzellen vorhanden" ist, müsse zunächst erforscht werden, wie man erwachsene Zellen "reprogrammieren kann", damit sie dieselbe therapeutische Qualität wie embryonale Zellen erlangen. Gelinge dies, bräuchte es keine Embryonen, andernfalls käme man vermutlich nicht drum herum. Aber bis die Frage nach einer Reprogrammierbarkeit adulter Zellen eindeutig geklärt sei, solle man "die Finger von embryonalen Zellen lassen". (DER STANDARD, Print-Ausgabe vom 3.4.2003)