Verliefe der Irakkrieg bisher nach den Vorstellungen der Rumsfeld-Fraktion, dann gäbe dies den Unilateralisten in der US-Regierung und ihren geistig-strategischen Wegbereitern weiteren Auftrieb. Wer also in deren Kurs eine fundamentale Gefahr für eine einigermaßen stabile Weltordnung sieht, müsste eigentlich auf möglichst erfolgreichen irakischen Widerstand hoffen.

Dass dieser Erfolg immer mehr zivile Opfer bedeuten würde und einem brutalen Regime zugute käme, macht die Perversität des Kalküls deutlich. Aber einen bequemen Ausweg aus diesem Dilemma gibt es nicht, weder militärisch noch politisch.

Das Militärische unterliegt der Eigengesetzlichkeit, die jeder Krieg entwickelt. Was das Politische betrifft, so sind die Auswirkungen im Nahen und Mittleren Osten und darüber hinaus gleichfalls noch nicht absehbar. Anderes gilt für das Verhältnis zwischen den USA und Europa. Das war schon schwer beschädigt, noch ehe die erste Bombe auf Bagdad fiel. Blessuren haben alle Beteiligten davongetragen.

Der bisherige Kriegsverlauf aber scheint den Riss nicht weiter vertieft zu haben. Im Gegenteil: Zumindest in der europäischen Antikriegsfront mehren sich die Verständigungssignale. Und so gleicht die heutige Brüsseler Aussprache von US-Außenminister Colin Powell mit seinen Kollegen aus Nato und EU einem ersten Treffen von Kriegsversehrten, die aus den traumatischen Erfahrungen der Schützengräben den versöhnlichen Neubeginn suchen.

Die Voraussetzungen dafür sind nicht so schlecht. Jene, die vor diesem Krieg gewarnt haben, können sich bestätigt fühlen, müssen sich aber angesichts der steigenden Opferzahlen vor jedem Triumphalismus hüten. Frankreich als Wortführer der Antikriegsfront gibt sich neuerdings betont versöhnungsbereit.

Mit einer Reihe von Signalen an Washington reagiert man in Paris offensichtlich auf zweierlei: die wachsenden Differenzen zwischen den Alliierten USA und Großbritannien - in der Kriegsstrategie, der Frage der Nachkriegsordnung und im Nahostkonflikt; und, gewissermaßen spiegelgleich dazu, die Spannungen innerhalb der US-Regierung.

Die Blockade im UN-Sicherheitsrat brachte Powell gegenüber Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in die Defensive. Er war es, der Präsident George W. Bush dazu bewog, in die UNO zu gehen - und das habe man nun davon. Inzwischen hat der Kriegsverlauf allerdings die US-Falken ihrerseits in Bedrängnis gebracht. Die Kriegskosten werden viel höher sein als veranschlagt, daher wird man auch beim Wiederaufbau des Irak weit mehr als zunächst geplant und gewünscht auf Partner angewiesen sein.

Eine Schlüsselfunktion als Vermittler könnte dabei Tony Blair zufallen. Auch weil er zu Hause massiv unter Druck steht, pocht der britische Premier auf eine führende Rolle der UNO im Nachkriegsirak. Und erst recht werden die USA auch auf der "Gegenseite" respektierte Verbündete brauchen, um den enormen weltweiten Imageschaden dieses Krieges zu begrenzen.

Auch der Fall Türkei macht deutlich, dass Washington es allein nicht schaffen wird. Wenn Ankara tatsächlich der Versuchung widersteht, im Nordirak einzumarschieren, dann wird vermutlich die Perspektive eines EU-Beitritts dafür entscheidender gewesen sein als das Winken der USA mit Dollarmilliarden. Darauf ließ schon das Nein des türkischen Parlaments zur US- Truppenstationierung schließen. Hier offenbart sich übrigens auch die Kurzsichtigkeit jener Kräfte in der EU, die der Türkei noch immer keine klare Beitrittsperspektive geben wollen. Dazu zählt auch das Frankreich Chiracs, was seinem europäischen Anspruch kein gutes Zeugnis ausstellt.

Und dann wäre da noch die Zukunft der Nato. Dass die Allianz nach allem, was geschehen ist, zur Tagesordnung übergehen kann, glaubt wohl niemand mehr. Die Frage nach ihrem Sinn und Zweck muss ganz neu gestellt werden. Auch das sollten die Kriegsversehrten dies- und jenseits des Atlantiks inzwischen begriffen haben.(DER STANDARD, Printausgabe, 3.4.2003)