Eine Marketingmaßnahme: 1885 war der stolze Sitting Bull vier Monate lang Mitglied von Buffalo Bills Show "Wild West".

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Wien - "Der Weiße Mann versteht es zwar, Güter herzustellen, nicht aber, sie zu verteilen." - Sitting Bull hat das gesagt, nicht Winnetou. Letzterer war aber auch eine Erfindung des "Weißen Mannes" Karl May. Ersterer hatte zeitlebens mit dem Nachteil zu kämpfen, keine Erfindung zu sein, ganz im Gegenteil, sich kämpfend selbst erfinden zu müssen.

Gegen alle kämpfend: gegen den "Weißen Mann" , gegen Amerika, gegen den Widerstand der eigenen Leute. Mit allen Mitteln: Neben Pfeil und Bogen mit erbeuteten Gewehren und seiner Tradition entsprungenen Beilen vor allem auch unter genialem Einsatz der Medien des Feindes - der Fotografie, der Show, des Managements. Und: Sitting Bull nutzte seine spirituelle Begabung zur Wahl ruhmversprechender Daten, um großes Tun auch nachdrücklich historisch zu verankern.

Schlacht am Little Bighorn

Ausgerechnet am 4. Juli 1876, dem 100. Jahrestag der Unabhängigkeit, erfuhr eine darob dann recht bestürzte amerikanische Öffentlichkeit erstmals vom Sieger der Schlacht am Little Bighorn. An diesem Tag war das 7. U.S. Kavallerieregiment aufgerieben worden und sein Anführer, der Volksheld George Armstrong Custer, in der Schlacht gefallen. Seit diesem Tag existiert ein höchst widersprüchliches Bild von Tatanka Iyotanka, von Sitting Bull, dem sitzenden Bisonstier. "Er sagte niemals die Wahrheit, wenn ihm eine Lüge dienlicher war", behauptete eine der ersten Biografien, die kurz nach dem 15. Dezember 1890 erschienen war. An diesem Tag war der Häuptling der Hunkpapa in einem Feuergefecht getötet worden, als er sich seiner Verhaftung durch Mitglieder der Stammespolizei widersetzte.

Fast gleichzeitig beschrieb ihn ein anderer Zeitgenosse als "das Orakel der Geheimnisse und Kenntnisse, die der Masse verborgen sind". Jedenfalls hatte er Zugang zu "außermenschlichen" Mächten, was wiederum Freund wie Feind gleichermaßen irritierte, langfristig aber einer Verklärung seiner Person äußerst zweckdienlich war. Antiamerikanismus in Verbindung mit einem spirituell gedeuteten Naturverständnis beförderten Sitting Bull zum ersten aller Vorreiter einer "alternativen" Lebensform, die damit verbundenen Sympathiewerte machten den zweitwichtigsten aller "Indianer" zum hochpotenten Werbeträger.

Er war heroisch und trotzdem anders, er war Kriegs- und zugleich Weiberheld - ohne Sitting Bull kein Tiger Woods. Bull zählt zu den am häufigsten porträtierten "Indianern". Die Keule, die er auf einer der letzten Fotografien in der Hand hält, kennzeichnet ihn als reformresistenten Krieger, das Kruzifix um den Hals als Kandidat für eine dämmernde Bekehrung.

Seine dunkle Brille ist das Eingeständnis an eine teilweise Gesichtslähmung, die ihn zunehmend behinderte, und zugleich damit "the birth of the cool". Die Vielfalt seiner Kopfbedeckungen spiegelt die Vielfalt seiner Rollen und sein Verständnis für die kapitalgenerierende Kraft der Mode. Das öffentliche Gesicht vermittelt - je nach Anlass - Ernst oder Groll, "private" Fotos zeigen einen stets lächelnden Sitting Bull, der den Frauen zugetan war, der seine Kinder und Enkel liebte.

Kollektives Gedächtnis

Sitting Bull war bis auf kleine Details ein vorbildlicher Amerikaner und hatte - ohne je davon gehört zu haben - seinen Winnetou gelesen. Kollege Crazy Horse konnte da nicht mithalten. Der brauchte erst einen Pariser Nachtclub, um namentlich ins kollektive Gedächtnis einzugehen. Und Häuptling Geronimo wartet immer noch auf eine geeignete Anwendung seines Namens. Sitting Bull allein ist es gelungen, als Repräsentant aller Vertreter indigener Völker unter den verheerenden Einwirkungen der stets gemeinen Kolonialmacht anerkannt zu werden. Er allein hat es geschafft, um sich herum einen volkstümlichen Handapparat an Mythen anzulegen, der die ewigen Jagdgründe endlich von dieser Welt erscheinen lässt.

Und also ist ihm auch jetzt wieder eine Ausstellung gewidmet - im Völkerkundemuseum. Eine selbstredend große Ausstellung. Eine die - ganz dem statischen Bullen entsprechend - Versatzstücke aus dem wirklichen Leben mit posthum zum beliebigen Zweck gefertigten Gimmicks vermischt. Und: die einen großen dokumentarischen Apparat beistellt, der - in aller Absicht zu klären - weiter an der Verklärung arbeitet. Weil er das so will. (Markus Mittringer, DER STANDARD/Printausgabe, 29.12.2009)