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Liu Xia verlas vor Sympathi-santen in Peking das Urteil, das die Richter gegen ihren Mann gefällt hatten: Liu Xiaobao, der führende chinesische Dissident, wurde zu elf Jahren verurteilt.

Foto: REUTERS/David Gray

Peking/Brüssel/Washington - „Das Huhn töten, um den Affen zu erschrecken" (shaji geihoukan), heißt die Methode in China. Politische Beobachter im In- und Ausland haben die Verurteilung des Dissidenten Liu Xiaobao am vergangenen Freitag zu elf Jahren Haft in erster Linie als Warnung an alle Kritiker im Inneren verstanden: An der Macht der kommunistischen Partei darf nicht gerüttelt werden.

„Ich fühle nichts mehr", sagte Liu Xiaobos Frau Liu Xia direkt nach der Urteilsverkündung, ebenso erschöpft wie gefasst. Das Mittlere Volksgericht in Peking verhängte die Gefängnisstrafe gegen Liu, der heute, Montag, 54 Jahre alt wird, wegen „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt". Liu ist einer der Initiatoren der „Charta '08", eines Manifests, das zu politischen Reformen und mehr Demokratie in China aufruft.
Vor dem Gerichtsgebäude in Peking forderte der US-Diplomat Gregory May erneut die sofortige Freilassung des Dissidenten. Peking müsse das „Recht aller Bürger respektieren, ihre politischen Ansichten friedlich zu äußern".

Die UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay sprach von einer „neuen schwerwiegenden" Beschneidung der Meinungsfreiheit in China. Die Entscheidung werfe ein schlechtes Licht auf die jüngsten Ankündigungen Chinas, mehr für die Menschenrechte zu tun. Die schwedische EU-Ratspräsidentschaft nannte die Strafe „unverhältnismäßig".

Partei und Patriotismus

Auch bei der Urteilsverkündung waren Beobachter wieder ausgeschlossen. Inzwischen ist das Urteil aber ins Internet gelangt und verbreitet sich über Blogs. Liu sei ein „schwerer Verbrecher", der „die Staatsmacht der volksdemokratischen Diktatur" untergraben wollte und im Internet Artikel von „bösartigem Einfluss" schrieb. Die vom Gericht verdammten Beispiele sprechen für sich: „Seitdem die KP die Macht innehat, haben sich ihre Diktatoren vorwiegend um den Erhalt ihrer Macht und am wenigsten um das Wohlergehen des Volkes gekümmert." Die Partei nütze den Patriotismus aus, um die Liebe der Bürger zu ihrem Land mit der Liebe zu ihrer Herrschaft gleichzusetzen. Das Gericht verurteilt bei der „Charta '08" ihre Forderungen nach Ende der Ein-Parteien-Monopolherrschaft und der Umwandlung Chinas in „eine föderale Struktur auf Grundlage einer demokratischen Verfassung".

Das Urteil führt für Lius führende Rolle beim Entwurf der Charta mehrere Zeugen an. Keiner von diesen hat allerdings jemals gegen Liu vor Gericht ausgesagt. Die Polizei hatte Unterstützer der Charta, die, wie das Gericht feststellt, bis heute von 10.390 Personen unterzeichnet wurde, befragt, wann und wie sie unterzeichnet hatten. Aus den Antworten machte sie Zeugenaussagen.

In politischen Kreisen Pekings wird kolportiert, dass die „Charta '08" wegen ihrer Breitenwirkung höchste Parteiführer maßlos aufgeregt hat. Sie verordneten der Partei eine Schulungskampagne gegen bürgerlich demokratisches Denken. (erl, dpa, DER STANDARD, Printausgabe, 28.12.2009)