Washington/Wien - Die Air Force One musste bis Donnerstag auf dem Boden bleiben, die Präsidententöchter Sasha und Malia ihren Ferienbeginn verschieben. Daddy hatte in Washington noch wichtiges Business zu erledigen: Statt nach Hawaii aufzubrechen, blieb Barack Obama sicherheitshalber in der Stadt - und zwar solange, "bis meine Freunde im Senat ihre Arbeit erledigt haben." Er wollte, lautete der deutlich vernehmbare Subtext, keinerlei Risiko eingehen, dass an diesem Heiligabend noch irgendetwas schiefgehen könnte bei der letzten, um 8 Uhr Ortszeit angesetzten Abstimmung über seine Gesundheitsreform.

Nach monatelangem Hin und Her war auch die zweite Kammer des US-Kongresses zu einem Gesetzesentwurf gelangt, der passieren konnte. Immer mussten die Verhandlungsführer der Demokraten im Senat darauf achten, dass sie keinen ihrer Leute mit zu wagemutigen Vorschlägen verschreckten. Und gleichzeitig sollte zumindest ein Unabhängiger oder Republikaner mit ihnen stimmen, um auf jene 60 Senatoren zu kommen, die einen Filibuster, Obstruktion durch endlose Reden, abschmettern konnten. Harry Reid, dem demokratischen Mehrheitsführer, gelang das schließlich in einer Nachtsitzung am vergangenen Wochenende. Aber der Preis war hoch.

Das Gesetzespaket des Senates deckt sich in einigen Punkten nicht mit jenem, das schon vor einigen Monaten vom Repräsentantenhaus beschlossen worden ist. Die größten Differenzen gibt es darüber, ob es eine staatliche Krankenkasse ("public option" ) neben privaten Anbietern geben soll, und darüber wie in den Polizzen die Kosten für Abtreibungen abgedeckt werden. In einem wohl langwierigen Verfahren müssen diese Unterschiede in den kommenden Wochen wegverhandelt werden.

Public option und Abtreibung

Im Detail: Das Senatspaket sieht keine public option vor. Vielmehr soll die US-Bundespersonalbehörde, die für die Beschäftigungsverhältnisse aller Bundesangestellten zuständig ist, ähnlich wie für Bundesbedienstete bei privaten Anbietern Krankenversicherungsverträge aushandeln. Diese sollen dann auch für "normale Bürger" zugänglich sein. Das Repräsentantenhaus schlägt dagegen eine staatliche Krankenversicherung vor.

Daneben hat der Senat strengere Regeln in Sachen Abtreibung vorgesehen. Dessen Entwurf sieht etwa vor, dass einzelne Bundesstaaten den Verkauf von Krankenversicherungspolizzen verbieten können, in denen Abtreibungen bezahlt werden.

Schon am Dienstag wurde klar, wie schwierig diese Verhandlungen, auch innerhalb der demokratischen Partei, werden würden. Parker Griffith, 2008 für die Demokraten ins Repräsentantenhaus gewählt, lief zu den Republikanern über. Seine Entscheidung begründete er damit, dass seine Wähler in Alabama mit der Gesundheitsreform unzufrieden seien. Nach Griffiths Entscheidung führen die Demokraten im Repräsentantenhaus nunmehr mit 257 zu 178 Sitzen.

Unerwartete Schützenhilfe bekam Obama unterdessen von den Pharmakonzernen, die 80 Milliarden Dollar der in den kommenden zehn Jahren rund 900 Milliarden Dollar teuren Reform mitfinanzieren werden. Sollte sich das Preisschild des Gesetzes erhöhen, sei man bereit, einen fairen Anteil daran zu übernehmen, ließen Vertreter der Branche wissen.

Aus reinem Samaritertum geschah das natürlich nicht. Pharmakonzerne und auch Versicherungsunternehmen, die ihren vehementen Widerstand gegen die Reform inzwischen aufgegeben haben, wittern das große Geschäft nach Inkrafttreten des Gesetzes. Immerhin bringt es ihnen 31 Millionen neue Kunden, die heute noch nicht im US-Krankenversicherungssystem sind. Das war letztlich auch der Hebel, mit dem Obama - im Gegensatz zu Hillary Clinton 1994 - die Reform durch den Kongress wuchten konnte. (Christoph Prantner, DER STANDARD, Printausgabe 24./25./26./27.12.2009)