Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Roma-Bub in Butmir bei Sarajewo. Roma-Familien zündeten diesen Sommer ihre Häuser an, nachdem sie neue Wohnungen zugewiesen bekamen.

Foto: EPA/STR

Sarajewo/Mostar - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat am Dienstag Bosnien-Herzegowina wegen diskriminierenden Verhaltens gegenüber Juden und Roma bei der Wahl des dreiköpfigen Staatspräsidiums und der Völkerkammer des gesamtstaatlichen Parlamentes verurteilt. "Das Verbot für die Minderheiten, an den Wahlen teilzunehmen, hat keine objektive und vernünftige Rechtfertigung und steht daher im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention, welche eine Diskriminierung verbietet" , stellte der Gerichtshof laut Medienberichten fest.

Bosnien war vor dem Menschenrechtsgerichtshof von dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Sarajewo und Diplomaten Jakob Finci und von Dervo Sejdić, dem Leiter einer Roma-Organisation verklagt worden. Finci und Sejdić beschwerten sich über die Tatsache, dass sie als Angehörige von Minderheitengruppen in Bosnien-Herzegowina diskriminiert worden seien. Entsprechend der Verfassung werden nur Vertreter der drei Staatsvölker - Bosniaken (Muslime), Serben und Kroaten - in das Staatspräsidium und die Völkerkammer des Parlaments Bosnien-Herzegowinas gewählt. Die Minderheitengruppen sind nicht vertreten.

Der bosnische Staat ist nach dem Krieg (1992-1995) nach strengen ethnischen Proporzregeln aufgebaut worden. Diese Regeln sollten den Frieden zwischen den drei großen Volksgruppen festigen. Allerdings wurden damit auch jene ausgeschlossen, die sich weder zu den Kroaten, Serben oder Bosniaken zählen, etwa all jene aus sogenannten Mischehen, also Menschen, die sich selbst einfach als "Bosnier" oder noch immer als "Jugoslawen" bezeichnen. Im bosnischen Staatspräsidium ist ein Sitz für einen Serben, einer für einen Kroaten und einer für einen Bosniaken reserviert. Željko Komšić, der seit 2006 auf dem "kroatischen" Sitz sitzt, erhob erstmals den Anspruch, nicht nur die Kroaten, sondern alle Bürger Bosnien-Herzegowinas vertreten zu wollen. Komšić bezeichnet sich selbst als Bosnier.

Seit Jahren wird in Bosnien über die Abschaffung der ethnischen Proporzregeln diskutiert, weil sie auch oft politische Entscheidungsprozesse lähmen. In den zuletzt in Butmir geführten Gesprächen zur Verfassungsänderung wurde etwa darüber nachgedacht, die gesetzgebende Funktion der Völkerkammer abzuschaffen. Das Urteil könnte die Verfassungsreform ankurbeln. Der Menschenrechtsgerichtshof hat den bosnischen Staat verpflichtet, die von den Klägern getragenen Kosten in der Höhe von 21.000 Euro an Finci und Sejdić zurückzuerstatten. (awö/APA, DER STANDARD, Printausgabe 23.12.2009)