Der junge Kaiser Franz Joseph (hinter ihm Marschall Radetzky) im vor kurzem ausgestrahlten "Sisi" -Film. Im ersten Kommentar zur Gewerbeordnung (re.) heißt es: Österreich wird "bankrott oder frei" sein.

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Vor genau 150 Jahren löste die vom Staatsbankrott bedrohte Habsburgermonarchie die Fesseln für Unternehmer. Die Gewerbeordnung 1859 ermöglichte die Gründerzeit – eine auch für heute relevante Erfahrung.

Sisi-Filme haben zum Jahreswechsel Hochkonjunktur. Aber neben den Beziehungsdramen mit der Kaiserin hatte Franz Joseph I. vor 150 Jahren mit ganz anderen Krisen zu kämpfen. Ende 1859 stand die Habsburgermonarchie nach der Niederlage bei Solferino und dem Verlust der Lombardei vor dem finanziellen Kollaps. Die Staatsschuld überstieg mit 2,3 Milliarden Gulden das Siebeneinhalbfache der jährlichen Einnahmen, allein der Zinsendienst von über 100 Mio. Gulden drohte in Verbindung mit dem Agio für Papiergeld mehr als ein Drittel der Erträge zu verschlingen.

Nach einer Denkschrift des Finanzministers Karl Ludwig v. Bruck sei eine Stabilisierung des Reiches nur möglich, wenn neben einer scharfen Trennung von Kirche und Staat "eine "Entfesselung der Productivkräfte, der Arbeit, des Kapitals, des Grund und Bodens, des Credits, der Intelligenz durch Beseitigung hemmender Gesetze, durch Verbesserung des Unterrichtes, durch Belebung des Corporations- und Genossenschaftsgeistes" gelänge. Außerdem bedürfe es der "Kräftigung der Mittelstände, als der Hauptträger der Cultur und des Gesammtstaatsprincips, nicht blos durch Förderung ihres corporativen Lebens, sondern auch ihre Mitwirkung an den öffentlichen Geschäften und an den Vertretungen von der Gemeinde aufwärts" .

In diesen für den Fortbestand der Monarchie entscheidenden Wochen setzte die Regierung einen wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag. Am 20. 12. 1859 erging ein Patent, "womit eine Gewerbe-Ordnung für den ganzen Umfang des Reiches erlassen" (RGBl. 227/1859) wurde. "Von der Absicht geleitet, die gewerbliche Betriebsamkeit in Unserem Reiche gleichmäßig zu regeln und möglichst zu erleichtern" , wurden "sämmtliche derzeit in Kraft bestehende Vorschriften über die Erlangung von Gewerbe-, Fabriks- und Handels-Berechtigungen, sowie alle mit dieser Gewerbe-Ordnung unvereinbarlichen, älteren Normen über deren Ausübung" außer Kraft gesetzt.

Vom 1. Mai 1860 an galt vom Bodensee bis nach Galizien ein einheitliches Wirtschaftsrecht. Weder Geschlecht noch Religionsbekenntnis oder Gemeindebürgerrecht machten einen Unterschied: Es war ein radikaler Bruch mit den überkommenen feudalen Bindungen und den Privilegien, Standesregeln und Gebräuchen der Zünfte, Innungen und Gremien.

Freiheit fürs Gewerbe

  • 3 der GewO 1859 statuiert den Grundsatz der Gewerbefreiheit. "Alle Gewerbe, welche nicht als concessionirte erklärt werden, sind freie Gewerbe" – Wer nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, "ist zum selbständigen Betriebe eines jeden freien Gewerbes berechtigt" (§ 13). Für nur noch 14 Tätigkeiten wird der Nachweis einer besonderen Qualifikation verlangt. Und erstmals steht der "Unternehmer" im weiteren Sinn im Zentrum einer Kodifikation. Juristische Personen sind gleichgestellt (§ 5).

Weitere entscheidende Punkte:

  • Der Umfang des Gewerbsrechtes wird nach dem Inhalt des Gewerbescheines oder der Concession" ... "beurtheilt" (§ 42).
  • "Jeder Gewerbetreibende hat das Recht, alle zur vollkommenen Herstellung seiner Erzeugnisse nöthigen Arbeiten zu vereinen und die hiezu erforderlichen Hilfsarbeiter auch anderer Gewerbe zu halten" (§ 43).
  • "Die Berechtigung zur Erzeugung eines Artikels schließt das Recht zum Handel mit gleichen und fremden Erzeugnissen in sich" (§ 44).

Gleichzeitig wurde durch die Schaffung von "Genossenschaften" die Grundlage für das heutige Kammerwesen geschaffen (§§ 106-130). Der Beitritt zu den Genossenschaften wurde für Gewerbetreibende verpflichtend.

Während die Monarchie von einer Krise zur anderen taumelte, schuf die "Magna Charta des Unternehmertums" jenen Spielraum, den die bürgerliche Gesellschaft zur Entfaltung brauchte. Sozialer und gesellschaftlicher Aufstieg durch unternehmerische Leistung lautete die Verheißung. Die rasche Industrialisierung und der Aufbruch der "Gründerzeit" wären ohne diesen gesetzlichen Rahmen nicht möglich gewesen. Das agrarisch geprägt, von feudalen Fesseln gelähmte, politisch rückständige Habsburgerreich wandelte innerhalb weniger Jahre sein Antlitz. Der am Christtag 1859 verkündete Kassasturz erzwang den Übergang zur konstitutionellen Monarchie.

Politischer Befreiungsschlag

Der politische Befreiungsschlag stieß in ganz Europa auf große Resonanz. Als geradezu visionär sollten sich die Ansätze eines modernen Anlagen-, Arbeits-, Berufsbildungs-, Konsumentenschutz- und Sozialrechts bis hin zum Gebot der Verfahrenskonzentration erweisen. In der österreichischen Rechtsgeschichte nimmt die GewO 1859 eine einzigartige Stellung ein;es ist an legislativer Genialität, sprachlicher Präzision und wirtschaftspolitischem Einfluss bis heute unerreicht.

Und nicht zuletzt ist die Einsicht der damaligen Staatsführung, dass eine Gründerwelle den besten Ausweg aus einer Krise der Staatsfinanzen weist, auch für die heutige Zeit von höchster Bedeutung. (Harald Steindl, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.12.2009)