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Sylvia Eckermann und Gerald Nestler in ihrem neu adaptierten Atelier, das aus der Zusammenlegung dreier unterschiedlicher Geschäftslokale entstand.

 

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Foto: Eckermann / Nestler
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Foto: Eckermann / Nestler
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Paradox inszenierte Gespräche zwischen Europa und China: Breathe My Air (2009). Unten: Installationsansicht im Kunstraum CPU:798 in Peking.

 

Links:
http://syl-eckermann.net
www.geraldnestler.net


Aus dem Archiv:
Expansion im neunten Himmel
Interview mit Sylvia Eckermann und Gerald Nestler über eine ihrer Installationen im Museum Stein.

Foto: Eckermann / Nestler

"Wir müssen den Raum zuerst mit unserer eigenen Arbeit beleben", sagen Sylvia Eckermann und Gerald Nestler, die ihr kürzlich eröffnetes Atelier genießen wollen, bevor sie ein öffentliches Programm starten. In den Arbeitsraum kann man aber jederzeit kommen, denn einer der beiden Künstler ist so gut wie immer vor Ort. Obwohl sich der großzügige Raum für Ausstellungen geradezu anbietet, soll er in Zukunft eher für Diskussionsveranstaltungen, Round Tables und Präsentationen dienen. Diskurs wird also im rund sechs Meter hohen Tonnengewölbe mit offener Bibliothek im Zwischenstock groß geschrieben.

"Wir können uns gut vorstellen, dass KünstlerInnen bei uns ihre Werke präsentieren und dabei über ihre Arbeits- und Produktionsprozesse sprechen." Das Atelier im dritten Wiener Gemeindebezirk ist aus drei nebeneinander liegenden Geschäftslokalen entstanden, die zusammengelegt und adaptiert wurden. Lediglich die unterschiedlich gefärbten und nicht restaurierten Doppelflügeltüren, die früher die einzelnen Geschäfte auszeichneten, lassen noch etwas Geschichte des nach Außen hin offenen und einladenden Ateliers erahnen. Die Transparenz des Arbeitsraums der beiden Künstler steht programmatisch für ihre gemeinsam realisierten Projekte, in denen sie sich mit dem Thema Raum im weitesten Sinne auseinandersetzen.

Globalisierte Wirtschaftsräume

Während des Steirischen Herbstes war etwa ihre Installation The Trend Is Your Friend! (2009) im MedienKunstLabor Graz zu sehen. Bei diesem interaktiven künstlerischen Experiment, das im Frühjahr 2010 in einer aktualisierten Version noch einmal gezeigt wird, handelt es sich um eine raumgreifende Installation, bei der Besucher buchstäblich in die Mechanismen globaler Waren- und Finanzströme eingreifen konnten. Durch vorgefertigte Löcher in einer Membran, die das gesamte Labor in Brusthöhe überspannte, konnte man seinen Kopf stecken, um als lebendiger Joystick an der Trendkreation mitzuwirken. Kaufen, verkaufen, etwas taktieren, wieder kaufen und so weiter... Mit "buy"- und "sell"-Rufen und unter der Begleitung so genannter Roboter, programmierter Mitspieler, konnten die Benutzer durch drei unterschiedliche Szenarien navigieren und ihre Spielfiguren, kleine insektenartige Kreaturen, steuern.

Virtualisierte Realräume

"Utopie", "Kampf" und "Wert" heißen die dafür von Sylvia Eckermann entwickelten Videoszenarios, in denen brisante Fragen nach dem Individuum und seiner Rolle im Zusammenhang mit aktuellen Themen wie etwa der Finanzkrise durch imposante Bildwelten aufgeworfen werden. Der Markt, der Trends in Sachen Finanzen, Mode, Medien und - noch allgemeiner - Konsum vorgibt, ist bestimmt von globalisierter Mobilität und Performance, dauernder Bewegung also. Ohne die von neoliberaler Seite so hoch geschätzte Flexibilität würden sich keine neuen Trends ausbilden, ohne neue Trends, würde der Markt zum Stillstand kommen. "Bei The Trend Is Your Friend! geht es uns sehr stark um den Body- und Mind-Split, der unsere Welt bestimmt - eine scheinbare Virtualisierung der Realität. Diese Trennung von Körper und Geist sollte bei der Installation auch wirklich spürbar sein", erklären Eckermann und Nestler den Hintergrund der dreidimensionalen Bild- und Soundwelt, mit der sie subtile Formen ökonomisierter Disziplinierung und konsumistischer Selbstkontrolle visualisieren.

Kollaborative Räume

Seine Arbeitsmethode, die meist in einem kollaborativen Prozess mit zahlreichen weiteren Künstlern aber auch Wissenschaftern mündet, beschreibt das Duo recht pragmatisch: "Es gibt ein Grundkonzept, eine Idee und einen Ort. Danach wird das Produktionsteam zusammengestellt, das wirklich einen wesentlichen Beitrag leistet." Bei The Trend Is Your Friend! zeichnen etwa für Architektur, Display Environment, Animation, Robotics und Kamera mehr als zehn Leuten verantwortlich. Die 24-Kanal-Komposition, die das MedienKunstLabor um Winfried Ritsch und Mirjana Peitler in eine akustische Erlebnislandschaft verwandelte, stammt vom Sound-Architekten Peter Szely, mit dem Eckermann und Nestler regelmäßig zusammenarbeiten.

Einziger Wermutstropfen an den langen Creditlisten: "Markttechnisch ist das keine so gute Idee, denn da ist der Einzelkünstler gefragt. Der Markt ist 'romantisch', er verkauft gern das Künstlersubjekt. (Boy)groups gehen auch noch ganz gut, dass hat Pop geschafft. Aber die anderen Namen interessieren niemand. Für uns sind aber gerade die komplexen Möglichkeiten interessant, die aus der Zusammenarbeit entstehen. Bei The Trend is Your Friend! funktionierte das schon fast schwarmartig - eine gemeinsame Entwicklung aus unterschiedlichsten Kompetenzen. Es wäre nicht nur eine absolute Lüge, würden wir behaupten, alles sei von uns, wir würden uns gegen unser eigenes Modell einer heutigen Kunstpraxis wenden."

Transkulturelle Gesprächsräume

Nicht den Finanzraum, sondern soziale Zusammenhänge kulturellen und ökologischen Lebens bearbeiten Eckermann und Nestler mit dem Projekt Breathe My Air (2009). Interviews mit  Kulturschaffenden wie Künstlern, Kuratoren, Philosophen oder Theoretikern in Österreich und China dienen ihnen dazu, um Begriffe wie "Fortschritt", "Veränderung" und "Utopie" in einer paradoxen Gesprächssituation zu erörtern. Die 3-Kanal-Videoinstallation, die - initiiert vom Austro Sino Arts Program - vergangenen Herbst bei einer Ausstellung in der Pekinger Anni Art Gallery und im Kunstraum CPU:798 in Shenzhen gezeigt wurde, besteht aus drei Phasen: Zuerst begannen die Interviews in Europa. Mit dabei etwa der Medienkünstler und -theoretiker Thomas Feuerstein, der Medienkunstwissenschafter Oliver Grau oder Künstler wie PRINZGAU/podgorschek, Axel Stockburger und Karel Dudesek. Mit dem aufgenommenen Videomaterial im Gepäck hat das Künstlerduo dann während eines Residency-Aufenthalts in China vor Ort Leute interviewt, die sich zu den in Wien bereits angeschnittenen Themen äußern wollten.

Innen- und Außenräume

"Der dritte Schritt ist die Videoinstallation, die die Thematik dann in eine Art Bewegung versetzt. Die österreichischen und chinesischen Aufnahmen haben wir als Ausgangsmaterial verwendet, um daraus ein Gespräch zu collagieren - das ist unser künstlerischer Eingriff und gleichzeitig die Paradoxie", so Eckermann und Nestler. Es gibt auch Ideen, das Projekt um eine zusätzliche räumliche Dimension zu erweitern. Beim EARTS-Festival in Shanghai soll ein temporärer Pavillon aus mit Sauerstoff angereicherter Luft errichtet werden. Die Umsetzung dieses Konzeptes ist auch für Peking geplant und zwar auf einem Platz, der sich unterhalb der Verzweigungen gleich mehrerer Autobahnen befindet. "Unsere Idee ist, dort einen zur Stadtlandschaft hin geöffneten Ort zu konstruieren, der als Setting für die Videos dient und gleichzeitig die Ideenwelten der Interviews mit dem öffentlichen Raum in Verbindung setzt."

Texträume

Während ihrer Recherche für das Projekt Breathe My Air sind Eckermann und Nestler auf das chinesische Wort für Pavillon gestoßen, das so viel wie "sich die Landschaft als Aussicht borgen" bedeutet und dessen Entstehungsgeschichte bis in die alte chinesische Philosophie und Kunst zurückreicht. "Einerseits ermöglicht dieser Begriff einer geborgten Landschaft einen Blick auf den Natur- und Kulturbegriff der alten Chinesen, der heute wieder interessant sein könnte. Andererseits existiert in China der Begriff der Natur, wie wir ihn kennen, nicht - es gibt kein Schriftzeichen dafür. Man schrieb ein Gedicht in die Natur ein, eröffnete sozusagen einen Diskurs über und mit der Natur. Erst durch die Rezeption durch andere wurde 'Natur' im Sinne einer Umwelt wahrgenommen, als Kunst. Heute eröffnet der Blick nach Außen im urbanen Raum einen Blick auf andere Einschreibungen, Diskurse: Werbebotschaften, unterschiedlichste Formen der Architektur und die Logistiken des Raums. Außerdem ist das unsichtbare Medium all dieser Vorstellungen, die Luft, heute in ganz prekärer Weise in den Mittelpunkt gerückt. Das reizt uns."

Was bedeutet die Gegenwärtigkeit eines Ortes, den wir nie bestimmen können? Bleiben räumliche Grenzen, die man ausdehnt, nicht dennoch als Grenzen bestehen? Sylvia Eckermanns und Gerald Nestlers Projekte sind als großformatige künstlerische Recherchen angelegt. Erst in der Gleichzeitigkeit aus Bewegung, Raum, Bild, Klang, Sprache und Text verbinden sich ihre künstlerischen Anordnungen zu Informationsarchitekturen. Orientierung leistet dabei die nebulöse Doppeldeutigkeit des Begriffs Transparenz, der sich am feinen Grat zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit bewegt. Die Künstler modellieren Reflexionsräume, die den Betrachter dazu ermutigen, sich seiner eigenen Definitionsmacht bewusst zu werden. (fair)