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Straßenszene in Belgrad. Mehr als 70 Prozent aller Roma-Kinder in Serbien schließen die Grundschule nicht ab.

Foto: AP/Vojinovic

Enis trägt blonde Strähnen im Haar und einen großen Ohrring. "Jeder sagte: ,Hey, schau dir mal den Zigeuner an, was glaubt der denn, wer er ist?" In Deutschland habe keinen gekümmert, wie er aussieht, sagt Enis.

Aber Enis ist nicht mehr in Deutschland. In einem Café in Bujanovac, einer verarmten Stadt in Südserbien nahe der Grenze zum Kosovo, trifft er sich mit anderen jungen Roma, und alle plaudern auf Deutsch. Es ist die Sprache des Landes, in dem sie geboren sind oder viele Jahre gelebt haben. Ihre Familien sind in den 1990er-Jahren nach Deutschland gezogen, als auf dem Balkan Krieg war. Manche von ihnen kehrten freiwillig zurück, manche nur unter Zwang.

Der 19-jährige Enis Demirovic erinnert sich, wie geschockt er war, als er wieder nach Serbien kam: "Ich habe tagelang geweint. Ich konnte nicht akzeptieren, dass ich alles verloren hatte. Dies hier war eine komplett andere Welt."

Enis ist in Wuppertal zur Grundschule gegangen. Als er nach Serbien zurückkehrte, hat er die Schule abgebrochen wie die meisten Rückkehrer-Kinder. "Ich konnte nicht mal die Sprache und hatte Angst vor allem", erinnert er sich. Enis sieht entspannt aus, wenn er unter seinen Freunden im Café sitzt. Aber auf einer Baustelle, wo er Zementsäcke ablädt, lächelt er wenig. Sie liegt im Roma-Viertel der Stadt, wo die Straßen von abbruchreifen Häusern gesäumt sind. Die meisten Rückkehrer landen in Siedlungen und Häusern wie diesen.

Enis sagt, keiner in seiner Familie habe eine feste Arbeit, aber sie wollten auch nicht um Jobs betteln. "Ich bin nicht mehr so traurig. Richtig glücklich bin ich aber nur, wenn ich an Deutschland denke. Manchmal träume ich auf Deutsch. Ich träume davon, zurückzugehen."

Tausende junger Roma, die nach Serbien gegangen sind oder geschickt wurden, erzählen eine ähnliche Geschichte. Sie haben die guten Schulen, die komfortablen Wohnungen in Deutschland zurückgelassen. In Serbien ist ihr Leben oft hoffnungslos. Kriminalität ist für einige der einzige Weg, aus dieser Situation herauszukommen. Es gab auch Selbstmord.

Obwohl die Regierung Hilfsstrategien ausgearbeitet hat, obwohl viele Nichtregierungsorganisationen kurzfristige Hilfsprojekte anbieten, gibt es nicht genug Geld, um eine langfristige Eingliederung zu unterstützen.

Hunderttausende haben Serbien in den 1990er-Jahren verlassen, auf der Flucht vor Armut und Kriegen. Die meisten sind in EU-Staaten gelandet. Viele haben Asyl beantragt. Und sogar diejenigen, die abgewiesen wurden, mussten lange nicht nach Serbien zurück, wegen der politischen Instabilität des Landes und der Sanktionen gegen das Milosevic-Regime.

Nach dem Sturz Slobodan Milosevics am 5. Oktober 2000 aber änderte sich die Lage. In den folgenden Jahren unterzeichnete Serbien Abkommen mit den meisten EU-Ländern, worin das Land sich verpflichtet, jene Serben aufzunehmen, die die Bleibekriterien im Ausland nicht erfüllen.

Zoran Panjkovic vom Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte schätzt, dass etwa 25.000 Rückkehrer zu diesem Schritt gezwungen wurden. Etwa doppelt so viele sollen freiwillig gegangen sein. Unklar ist, wie viele noch abgeschoben werden. Im Jahr 2003 schätzte der Europarat, dass es zwischen 50.000 und 100.000 sein könnten, aber in den vergangenen Jahren war auch von 150.000 Personen die Rede.

Etwa 70 Prozent der Menschen, die bisher zurückgekehrt sind, kommen aus Deutschland. 60 bis 70 Prozent von allen Rückkehrern sind Schätzungen zufolge Roma.

Enis' Familie ist freiwillig zurückgekehrt. Sonst hätte sie die Abschiebung riskiert, mit all ihren Folgen. Sie hätte in Zukunft nicht mehr in ein EU-Land einreisen dürfen und außerdem den größten Teil ihres Eigentums in Deutschland verloren.

Genau das ist Enis' Freundin aus Bujanovac passiert, der 16-jährigen Ivona (Name geändert). Die Polizei klopfte 2004 eines Morgens an die Tür ihrer Familie in Frankfurt. "Ich war gerade aufgestanden, um mich für die Schule fertigzumachen, aber sie sagten, wir müssten gehen", erinnert sich Ivona. "Drei Stunden später saßen wir in einem Flugzeug nach Serbien."

Ein fremdes Land

Pavao Hudik, Psychologe bei Südost-Europa Kultur e. V., einer Berliner Organisation, die Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien hilft, sagt, die meisten jungen Rückkehrer würden aus einer Gesellschaft herausgerissen, in die sie sich gut integriert hätten. "Was offiziell ,Rückkehr' genannt wird, sehen sie als Exil", sagt er. "Serbien wie auch jeder andere Balkanstaat ist ein fremdes Land für sie."

Das Wort "Duldung" löst bei den meisten dieser Menschen, die noch in Deutschland sind, Unbehagen aus, denn eine Duldung ist nur eine Aussetzung der Abschiebung. Wer geduldet ist, darf nicht arbeiten oder auf die Universität gehen. Sanela Selimagic, Assistentin im Beratungszentrum der Internationalen Organisation für Migration (IOM), erklärt, wie man aus dieser Situation herauskommt: "Um vom Duldungsstatus zum normalen Status aufzusteigen, muss man die Sprache lernen oder Willen zur Integration zeigen - und dafür gibt es viele Möglichkeiten."

Trotzdem nutzten viele Flüchtlingsfamilien diese Möglichkeiten nicht, sie seien zufrieden mit den Sozialleistungen, die sie bekommen. "Sie erwarten, dass ihr Status endlos verlängert wird, weil ihre Kinder in Deutschland geboren wurden und hier zur Schule gehen", sagt Sanela. "Aber die Gesetze werden strenger. Die Wirtschaftskrise betrifft jeden, und Sozialleistungen werden gekürzt, genauso wie das Bleiberecht eingeschränkt wird", erklärt sie. "Am Ende müssen sie gehen."

Dieses Schicksal erwartet nun Ceca, Anka und Vesna Nikolic. Die drei Roma-Mädchen sitzen auf einer Bank im Berliner Preußenpark und hören serbische Volksmusik und Madonna auf ihren CD-Playern. Ihre Großmutter, bei der sie leben, hat entschieden, sie nach Serbien zurückzubringen. "Wir werden dorthin gehen, wir müssen", sagt Ceca. "Aber wir haben ein bisschen Angst. Alles dort ist so komisch."

Mehr als 70 Prozent der Roma-Kinder in Serbien schließen nie die Grundschule ab. Aber mehr als 90 Prozent der Rückkehrer-Kinder haben der serbischen Zulassungsbehörde zufolge im Ausland die Schule besucht. Die Organisation Grupa 484 hat den Werdegang der Kinder aus 64 Rückkehrerfamilien im Belgrader Stadtteil Palilula untersucht: 62 Prozent haben die Schule nicht weiter besucht, nachdem sie nach Serbien kamen.

Ivona ist ein Mädchen, das nicht aufgeben wollte. Einige Monate nach ihrer Rückkehr lernte sie Serbisch zu sprechen, zu lesen und zu schreiben. Sie schloss die Grundschule mit exzellenten Noten ab und besucht nun seit zwei Jahren eine weiterführende Schule in Bujanovac. Sie will Medizin studieren und einen guten Job bekommen. Obwohl sie sich an Serbien gewöhnt hat, bezeichnet Ivona Deutschland noch immer als ihre Heimat, in die sie gern zurückkehren würde.

"Aus dem Weg, du Idiot!"

Nicht nur Sprache, Wohnsituation und Schulfragen machen vielen Rückkehrern das Einleben unmöglich, sondern auch die anderen Sitten. "Ich wäre fast von einem Auto angefahren worden, als ich in Belgrad über die Straße ging", erinnert sich Milan (Name geändert). Dem 20-jährigen Rückkehrer war nicht klar, dass serbische Autofahrer Zebrastreifen komplett ignorieren. "In Deutschland hält jedes Auto an, um Fußgänger über die Straße zu lassen. Hier schrie ein Polizist, der in der Nähe stand: ,Aus dem Weg, du Idiot! Warum hast du das Auto nicht vorbeigelassen?'", erinnert er sich lachend.

Sonst lacht Milan selten. Sein Bruder hat sich umgebracht, zwei Jahre nachdem er aus Deutschland zurückkam. Er war 16 Jahre alt. "Du gehst mit Freunden weg, du gehst zur Schule, alles scheint normal zu sein, und dann ist im Bruchteil einer Sekunde alles vorbei, und du landest hier. Manche Menschen zerbrechen daran", sagt Milan leise.

Deutschland und Serbien bieten ebenso wie viele Organisationen in beiden Ländern verschiedene Hilfsprojekte für Rückkehrer an. Aber die Hilfen sind zeitlich begrenzt. Viele Rückkehrer fühlen sich von beiden Ländern alleingelassen. "Am schwierigsten ist es zu verstehen, dass der Staat, den du als deine Heimat betrachtest, es nicht erwarten kann, dich loszuwerden", sagt Milan. "Und der Staat, in den du zurückgekehrt bist, hat nur eine Botschaft: ,Warum bist du da? Wir brauchen dich nicht.' Niemand will uns. Wir gehören nirgendwo hin." (Momir Turudic, Übersetzung aus dem Englischen von Susanne Klaiber/DER STANDARD, Printausgabe, 22.12.2009)