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Die ersten Regeln zur Lawinensicherheit lauten: Keine Lawine auslösen. Und: Nein zu sagen kann Leben retten. Erst danach kommt der Umgang mit der Notfallausrüstung - also mit Pieps, Sonde und Schaufel.

Die Grundlagen von "Stop and Go" sowie im Handling des Notfallequipments werden u. a. beim Alpenverein gelehrt.

Speziell auf jugendliches Risikoverhalten ist das Trainingskonzept von Risk 'n' Fun abgestimmt.

Seriöse Freeride-Schnupperkurseund Skischul-Powder-Gruppen sollten zumindest einen Crashkurs in Lawinensicherheit beinhalten.

Der Streit, ob die Wiege des alpinen Skilaufes in Stuben oder in St. Anton liegt, ist etwas für i-Tüpferl-Reiter: Beide Gemeinden liegen am Arlberg - und der Begründer der modernen Skitechnik, Hannes Schneider, stammt aus Stuben, während das ihm gewidmete Museum in St. Anton liegt. Schneider flüchtete 1939 vor den Nationalsozialisten in die USA und baute dort in New Hampshire ein großes Skigebiet auf. Präparierte Pisten befuhr er am Arlberg kaum: Auch der Galzig, der St. Antoner Hausberg, auf dem 1937 die erste reguläre Gondelbahn Österreichs ihren Betrieb aufnahm, war nach heutiger Lesart eine "Variante". www.stantonamarlberg.com

Foto: TVB St. Anton / Josef Mallaun

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Peinlich, dass ausgerechnet Schweizer den ersten österreichischen Free- ride-Atlas herausbringen. Das Konzept erprobten Jürg Buschor, Christian Penning und Philipp Radtke schon in ihrer Heimat - und begeisterten jene, die selbst keine Zeit, zu wenig Mut oder einfach nicht das Auge zum Entdecken der coolsten Rides, schönsten Hänge und geilsten "Sweetspots" haben. "Die schönsten Freeride-Touren Österreichs" ist eine Sammlung von 50 der schönsten heimischen Tracks. Aber Hardcore-Freeskier können dennoch beruhigt sein: Manche Geheimtipps werden in dem Buch (absichtlich?) ausgelassen. www.freeride-map.com

Mühseliges Aufwärtsstapfen, gibt Sandra Keszthelyi unumwunden zu, ist nicht ihre Sache: "Ich bin eine Luxus- und Schönwetterskifahrerin: Ich liebe es, im Gelände zu fahren - aber ich will dafür nicht stundenlang gehen müssen." Eine halbe, maximal eine Dreiviertelstunde, erklärt die Wienerin, sei sie bereit, ihre Ski zu tragen "oder vom Lift ins Gelände zu queren." Und das, betont die Mitarbeiterin einer Werbeagentur, "auch nur mit Guide: Ich bin zu selten in den Bergen, um mich mit alpinen Gefahren auszukennen. Außerdem kennt der die besten Spots, Hänge und Routen."

Mögen puristische Skitourengeher angesichts derartiger Geständnisse die Nase rümpfen: Die Werberin aus Wien liegt mit diesem Verhalten im Trend. Nicht dass es tatsächlich neu wäre, dass Skifahrer die gesicherten, präparierten Pisten verlassen. Aber dem Lockruf der Wildnis, weiß Martin Ebster, Geschäftsführer des Tourismusverbandes von St. Anton am Arlberg, folgen immer mehr Menschen, die "bis vor ein paar Jahren nicht im Traum daran gedacht hätten, ins Gelände zu gehen."

Wirklich harte Zahlen, bedauert der Arlberg-Touristiker, könne er dafür allerdings nicht vorlegen: Zählbar sind nur die bergauf beförderten Gäste, "aber da auch die Variantenfahrer wieder beim Lift ankommen, ist das schwer zu quantifizieren." Erst recht, zumal Ebster stolz ist, dass "gerade hier in St. Anton und am ganzen Arlberg das Variantenskifahren schon immer ein Thema war."

Das Lied des Arlbergs singt auch Kestzthelyi: Seit vier Jahren gehört sie jener Glaubensgemeinschaft an, deren Bekenntnis mit dem Satz "Die Piste bringt mich zum Schnee" beginnt. Und obwohl es überall in den Alpen abseits der präparierten Hänge jede Menge weißer Gegend gibt, schwört die Werberin auf St. Anton: "Ich habe mich früher auch über den Arlberg-Hype gewundert - aber der Mix aus Vielfalt im Backcountry und touristischer Infrastruktur ist sonst kaum wo zu finden."

Doch auch wenn sich Ebster freut, wenn Gäste seine Region lobpreisen und in Lech, Zürs und St. Anton heute ein mitunter seltsam anmutender Parallellauf von Pelz- und Hardcore-Tiefschneeoutfitträgern stattfindet, will der Touristiker den Trend zum Ausbruch nicht massiv bewerben.

So wie die meisten anderen Skigebiete: Obwohl Wintersportwerbung ohne Freeridebilder nicht mehr denkbar ist, kommuniziert kaum eine Gemeinde das wilde, ungezähmte Hinterland an erster Stelle. Mit gutem Grund: Geländefahrer verlassen die Pisten ohnehin von selbst - und "wenn wir das zu laut bewerben, könnte es passieren, dass bei der klassischen Pistenklientel der falsche Eindruck entsteht", räumt Ebster ein.

Stattdessen propagiert man das Motto "Safety first" - gerade im Buhlen um Variantenfahrer: "Verbieten ist zwecklos - und auch nicht sinnvoll. Und wir können und wollen die freie Natur auch nicht hinter Zäunen und Absperrungen verstecken." Stattdessen setzen immer mehr Skigebiete heute massiv auf Aufklärung und Schulung. Nicht nur am Arlberg, weiß Ebster: "Es wäre hochgradig unseriös, die Gefahren zu verschweigen und nur vom Pulverschnee zu reden."

Dass diese Einstellung aber tatsächlich Common Sense aller heimischen Tourismusstrategen wird, ist noch Zukunftsmusik. Denn die Freerider-Realität sieht erschreckend anders aus: "Die Leute sehen nur den Raum, spüren die Freiheit - und haben nicht die geringste Ahnung, worauf sie sich da einlassen", klagt Michael Larcher, der Bergsport-Chef des Österreichischen Alpenvereins. Das, sagt Larcher - der im Alpenverein auch für alpine Sicherheit und Lawinen zuständig ist -, sei belegbar: Eine Umfrage des Alpenvereins ergab, dass über zwei Drittel der Variantenfahrer keinerlei Notfallausrüstung mit sich führten. Bei den Tourengehern haben demnach immerhin über 70 Prozent immer einen Lawinenpieps (LVS) sowie Schaufel und Sonde mit dabei. Larcher: "Das Risikobewusstsein der Variantenfahrer im Liftgebiet ist also extrem niedrig."

Dass das im schlimmsten Fall auch tödlich enden kann, ist statistisch ebenfalls belegt: "Von den 27 Lawinentoten des Vorjahres entfallen ungefähr 15 auf den Variantenbereich." Und auch bei den nicht-tödlichen Unfällen stößt Larcher immer wieder auf die gleichen Unfallursachen: das fehlende Gespür für Schnee. "Es mangelt am primitivsten Wissen."

Was den Bergsicherheitsprofi besonders ärgert: "Kein Mensch glaubt, dass der Airbag im Auto hilft, Unfälle zu vermeiden: Das ist ein Rettungsmittel für den Fall, der nicht eintreten soll - aber mit einem LVS halten sich viele Skifahrer dann für unverwundbar." Und davon, dass auch professionelle Bergretter den Umgang mit der Notfallausrüstung ständig üben, habe auch kaum ein Komfortskifahrer gehört, wenn er Pulverträume zu träumen beginnt und sich "immerhin" (Larcher) das Notfall- equipment besorgt: "Es gibt da mittlerweile ja wirklich stylishe Sets."

Die Hilfe aus der Industrie kam für den Alpinexperten in den vergangenen Jahren nicht ganz unerwartet: Seit der Freerider im Pulverschnee der allein seligmachende Bild- und Imagebotschafter des Skitourismus ist, tritt Backcountry-Ausrüstung ihren Siegeszug auch auf den Pisten an: Freiheit ist ein Potenzial. Auch der biederste Familienvater will so aussehen, als könne er jederzeit ins freie Gelände ausbüchsen.

"Der Variantenmarkt ist der interessanteste Bereich für Produkte und Werbung", formuliert das der Österreich-Geschäftsführer des Schweizer Outdoor-Hardwareherstellers Mammut. Und Reiner Gerstner, Marketingchef des Südtiroler Alpinlabels Salewa ergänzt, dass die Branche davon ausgehe, dass in einigen Jahren der Skimarkt zu 30 Prozent "bergsteigerische Relevanz" haben werde, "wobei hier in erster Linie 'Dazugehörigkeit' gemeint ist."

Daran, dass zumindest "optisch die Grenze zwischen Piste und Tour verschwimmt" (Duda), knüpfen die in der European Outdoor Sport Group in Sicherheitsfragen über Labelgrenzen zusammenarbeitenden Hersteller aber auch Umsatzhoffnungen: Seit etwa Notfallausrüstung, Helm oder Protektoren als cool gelten und dazu beitragen, das eigene Image aufzupolieren, investieren auch bis vor kurzem noch eher puristische Berg-Marken plötzlich ins Trend-Marketing: Lawinensicherheitstrainings werden da ebenso gesponsert wie die in der Szene wie Popstars verehrten Spitzenfahrer oder Workshops in Sportgeschäften - für Personal genauso wie für Kunden. "Das Interesse", sagt Duda, "ist da. Wenn man den Leuten beibringt, worauf sie sich einlassen, wie sie mit ihrer Ausrüstung umgehen können und wann sie trotzdem besser umdrehen, wird das gern angenommen."

Freilich nicht überall: Nachdem der Schweizer Konzern am Arlberg eine Station, an der jeder die Funktionstüchtigkeit seines Piepsers testen kann, aufgebaut hatte, ermutigte ihn das Feedback, auch andernorts in Österreich derartige Sponsoraktivitäten anzubieten - aber man erlebte, so Duda, sein blaues Wunder: "Die Liftbetreiber wollten das nicht. Sie sagten, so eine Anlage in ihrer Region sähe ja so aus, als wäre das Gebiet unsicher." (Thomas Rottenberg/DER STANDARD/Printausgabe/19.12.2009)