Fast scheint es, als würde Ban Ki-moon unter akutem Realitätsverlust leiden. Ein Deal sei besiegelt, freute sich der Uno-Generalsekretär nach dem Abschluss des Klimagipfels in Kopenhagen. Einen "wichtigen Ausgangspunkt" nannte er das Dokument, das kurz vor Mitternacht am Freitag beschlossen wurde. Doch beschlossen ist gar nichts. Die schwierigen Entscheidungen sind aufgeschoben. Die Reden über einen Start und den ersten Schritt hin zu einem weltweiten Klimaabkommen sind der Versuch, das Gipfeldebakel als Erfolg zu verkaufen.

Dabei sind es Uno-Wissenschafter selbst, welche die Vorgaben gemacht haben, auf die es ankommt: minus 25 bis 40 Prozent Emissionsrückgang der Industriestaaten bis 2020, eine Halbierung der weltweiten Emissionen bis 2050. Das festzulegen hätte das Kopenhagener Abkommen leisten müssen.

Der einzige Punkt, der in das Gipfelergebnis Eingang gefunden hat, sind maximal zwei Grad Erderwärmung. Doch gibt es weder länderspezifische Emissionsvorgaben noch eine Frist, bis wann ein zukünftiges Abkommen rechtlich verpflichtend sein muss. Im Laufe des Jänners sollen die Staaten ihre Emissionsziele schriftlich festhalten. Ein vertraulicher Uno-Bericht hat errechnet, was das auf Grundlage der bisherigen Angebote bedeuten würde: eine Erderwärmung von drei Grad Celsius.Das verurteilt die kleinen Inselstaaten im Pazifik zum Untergang und auch in Afrika Millionen Menschen zur Flucht.

Die Führer dieser Welt haben in Kopenhagen schlicht ihre Verantwortung ignoriert und dafür ihre Wirtschaftsinteressen vertreten - allen voran China und die USA. Die Erklärung kann nicht einmal als Signal gewertet werden. Schon beim G-8-Gipfel in L'Aquila im Juli sprachen sich die größten Volkswirtschaften und Schwellenländer für das Zwei-Grad-Ziel aus - und, im Gegensatz zu Kopenhagen, auch für eine Halbierung der Emissionen bis 2050.

Dabei haben die USA selbst demonstriert, was notwendig gewesen wäre, um den Gipfel zu einem Erfolg zu machen. Monatelang war die Finanzierung für Klimaschutzmaßnahmen einer der größten Streitpunkte gewesen. Die Ankündigung von Hillary Clinton, sich an einem 100-Milliarden-Fonds zu beteiligen, hat ausgereicht, um die Entwicklungsländer zu beruhigen und den Streit zu beenden.Dass keiner der großen Akteure mit neuen Angeboten nach Kopenhagen kam, zeigt, dass ihnen schlicht und einfach der politische Wille fehlte.

Im nächsten Jahr wollen sich die Staaten zuerst in Bonn und dann im November in Mexiko treffen, um weiter an einem weltweiten Klimaabkommen zu arbeiten.Doch die Chancen, dass dieses gelingt, sind nach dem Gipfel in Kopenhagen eher gesunken als gestiegen. Noch nie waren so viele Staats- und Regierungschefs an einem Ort, um sich auf ein globales Maßnahmenpaket gegen eine gemeinsame Bedrohung zu einigen. Trotz dieses Momentums, trotz jahrelanger Vorarbeit und trotz des Bewusstseins, um was es geht, haben sie es nicht geschafft. Warum also sollte es in Mexiko gelingen?

Plus: Im nächsten Jahr sind Kongresswahlen in den Vereinigten Staaten - weitere Zugeständnisse vonseiten Washingtons werden dann noch schwieriger. Und je mehr Zeit verrinnt, desto drastischer müssen die Maßnahmen sein, um die Auswirkungen des Klimawandels abzuwenden.

Hoffnung macht das Engagement der Zivilgesellschaft: Tausende NGOs waren vor Ort. Zehntausende haben weltweit für ein Abkommen demonstriert. In vielen Erdteilen sind die Folgen der Erderwärmung schon spürbar. Das ist schlimm, könnte aber eine Chance sein. Der Druck der Öffentlichkeit muss steigen, damit sich die Akteure nicht weiter aus der Affäre ziehen. (Julia Raabe /DER STANDARD, Printausgabe, 21.12.2009)