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Günter Hujara

APA - FOTO:BARBARA GINDL

Standard: Kommen Sie beim Zählen der Verletzten noch nach?

Hujara: Ich stelle mich nicht hin morgens und zähle, wie viele Verletzte wir haben. Es ist aber eindeutig eine Häufung aufgetreten. Es hat begonnen mit der Niki Hosp in Sölden und setzt sich durch alle Rennen fort. Mich beunruhigt, dass nahezu jeder Sturz mit einer Verletzung endet. Wir sollten aber nicht in Panik verfallen. Und das ist nicht etwas, das uns jemand von außen aufs Hirn drucken muss, damit wir es bemerken. Wir haben gesagt, lasst uns das genau untersuchen.

Standard: Ist dabei schon etwas herausgekommen?

Hujara: Fakt ist, dass alle Überseerennen bei sehr kalten Temperaturen stattfanden, wie auch jetzt die Rennen in Val d'Isère und in Gröden. Da kann es einen Zusammenhang geben - dass dadurch besondere Schneebeschaffenheiten entstehen, und die Abstimmung des Materials bewirkt, dass schon kleine Fehler zu Verletzungen führen.

Standard: Macht eine höhere Temperaturuntergrenze Sinn?

Hujara: Die derzeitige Untergrenze bezieht sich auf den Gesundheitszustand des Läufers, dass er vor allzu großer Kälte verschont wird. Vor zwei Wochen sind wir in Lake Louise trotzdem bei minus 27 Grad gefahren. Da waren alle der Meinung, dass es geht, und es hat keine Erfrierung gegeben. Das ist so eine Sache, wenn man aus Ad-hoc-Erlebnissen Grenzen einführt. Wenn wir auf der Straße fahren, hören wir im Radio, dass wir die Winterreifen montieren sollen. Es liegt aber in unserer Entscheidung.

Standard: Die Rennläufer sind Profis.

Hujara: Die Abstimmung wird immer so gewählt, dass sie, banal gesagt, größtmöglichen Grip haben. Das heißt, dass sie das System, also Ski, Bindung, Platte, Schuh, Knochen, Sehnen, Muskulatur, so aufladen, dass sie extreme Radien fahren können. Dass es zu Überladungen im System Rennläufer kommen kann, ist erklärbar.

Standard: Sie wissen also, was sie tun.

Hujara: Interessant in der Sitzung mit den Rennläufern war, dass sie dazu aufrufen, die Klassik des Sports nicht zu verändern. Die wollen keine Schnellschüsse, sie sind mit ihrem Material zufrieden.

Standard: Interessant ist, dass Experten vor zwei Jahren beschlossen haben, die Skier aus Sicherheitsgründen breiter zu machen. Jetzt hört man, die breiten Skier sind schuld an vielen Unfällen.

Hujara: Manche greifen sich ein Momentum heraus, weil sie meinen, sie sind in der Biomechanik, in der Kinetik und in der Physik so bewandert, dass sie genau beurteilen können, was ein Millimeter Verbreiterung tatsächlich bewirkt. Mit den schmäleren Skiern gab es viele Verschneider. Wir haben nach Landungen extrem viele Knieverletzungen gehabt. Die sind weg. Dafür sind andere da. Der Läufer passt sich immer an, nimmt immer den extremen Weg.

Standard: Kann man ihm nicht quasi etwas in diesen legen?

Hujara: Es laufen viele Sachen. Gestern zum Beispiel fand ein Treffen in Oslo statt, wo sich Wissenschaftler zusammensetzten, um Lösungswege zu finden. Es gibt viele Mosaiksteine und keine einfachen Antworten. Ich bin jetzt 19 Jahre bei der Fis, war vorher Trainer. Als Trainer warst du ein Idiot, und jetzt bin ich ein Fis-Idiot. Das ändert an meiner Lebensweise wenig.

Standard: Wir haben einmal über die Forschung bei Kleidung gesprochen, über militärische Dinge wie schuss- und reißfeste Anzüge, über Motorrad-Utensilien. Lässt sich etwas umlegen auf den Skisport?

Hujara: Freilich, ich habe jetzt eine Sitzung mit einer Firma, die entwickeln neue Protektoren. Und an einer hochsensiblen Elektronik wird gearbeitet.

Standard: In welchem Bereich soll die Elektronik eingesetzt werden? Ein ABS kann es doch nicht geben.

Hujara: Warum nicht. Wir wissen, dass die passive Masse, die Dreh- und Hebelkräfte, sehr viel geringer wären, wenn sich bei einem deutlichen Sturz die Skier immer lösen würden.

Standard: Man liest immer wieder, die Fis sei an allem schuld. Sie sind ein Repräsentant der Fis. Gibt es Situationen, wo Sie sich denken, jetzt hau ich den Krempel hin?

Hujara: Überhaupt nicht. Weil ich weiß, dass die, die das sagen, absolute Dilettanten sind, weil keiner von denen weiß, was wirklich dazugehört. Das ist bekundet von den Organisatoren, von den Rennläufern, den Trainern.

Standard: Machen Sie die vielen Unfälle persönlich betroffen? Wie weit geht Ihre Verantwortung?

Hujara: Betroffen machen die mich ganz besonders. Das sind ja Rennläufer, zu denen ich Kontakt habe. Ich hoffe immer, dass nichts Schlimmeres passiert. Der falsche Ansatz, der von außen immer hereingebracht wird, ist der, dass man von einem völlig sicheren Sport ausgeht. Wir sind ein Sport, bei dem Stürze Teil der Bewegungsausführung sind .

Standard: Beim Zielsprung in Kitzbühel passieren sehr wenige Unfälle. Aber die, die passieren, sind fatal. Ist das nicht zu verhindern?

Hujara: Durch die Geschwindigkeit im Zielhang, durch die Kompression entstehen Dynamiken, durch die Folgenschweres passieren kann. Das ist aber die Sache: Wo veränderst du Klassik in deinem Sport? Die Fahrer wehren sich, wenn du den Hundschopf in Wengen rausnimmst, den Zielhang auf der Streif. Auch wird vergessen, dass der Zielsprung in Kitzbühel keine künstliche Maßnahme ist. Was wir tun können, machen wir auch.

Standard: Die Kamelbuckel in Gröden sind auch so ein Klassiker, und die wurden vor ein paar Jahren so verändert, dass es kaum noch zu Stürzen kommt.

Hujara: Wir haben dort etwas aufgebaut und überspringen etwas, was uns am Anfang als Hirnrissigkeit ausgelegt wurde. Jetzt stellt sich heraus, dass es weniger gefährlich ist. Und wenn der Zielsprung in Kitzbühel mit der technischen Fertigkeit gefahren wird, die alle Läufer haben, passiert dort nichts. Wir können dort auch nicht den Berg ändern. Grundsatzfrage: Wenn wir alles am Schlimmstmöglichen ausrichten, dann gibt es darauf nur eine Antwort: Nicht fahren. (Benno Zelsacher, DER STANDARD Printausgabe 19.12.2009)