Christoph Leitl: "Wir Österreicher sind alle toll bei der Zielformulierung, aber miserabel bei der Umsetzung."

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"Da könnte ein alter Optimist zum Pessimisten werden": Wirtschaftskammerboss Christoph Leitl über den Aufstand der Jungen, weihnachtliche Geschenkstrategien und zügellose Wallstreet-Boys. Von Gerald John.

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Wien - Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl (ÖVP) kritisiert im STANDARD-Gespräch die Regierung für ihren mangelnden Reformeifer: So hätten der Bundeskanzler und der Vizekanzler versprochen, bei der staatlichen Administration 3,5 Milliarden Euro einzusparen, aber: "Niemand hat eine genaue Vorstellung, in welcher Zeit, mit welchen Mitteln, in welchem Prozess."

Neben "der Reform bürokratischer Systeme" plädiert Leitl auch für eine Erneuerung der Pensionssysteme, des Gesundheitssystems sowie der Bundesbahnen: "Aber leider gilt: Wir waren bisher unfähig zu Reformen, wenn es um staatlich finanzierte Apparate geht."

Um nach der Wirtschaftskrise "wieder auf eine vernünftige Verschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes" zu kommen, fehlen etwa zehn Milliarden Euro, rechnet der Wirtschaftskammerpräsident vor. Unter anderem will Leitl bei den Pensionen fünf Milliarden einsparen, was einerseits durch den Wegfall der Hacklerregelung, andererseits durch das Anheben des faktischen Pensionsalters von 58 auf 62 Jahre zu gewährleisten wäre. 

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STANDARD: Haben Sie Ihre Weihnachtseinkäufe schon erledigt?

Leitl: Ja, bereits während des ganzen Jahres. Immer, wenn mir etwas einfällt, das jemandem eine Freude machen könnte, schlage ich zu, beschrifte das Geschenk und stecke es in die Geschenkelade meines Schreibtischs. Zu Weihnachten brauche ich dann nur mehr das eine oder andere zu ergänzen.

STANDARD: Wie viel muss ein Wirtschaftskammerchef ausgeben, um bei seiner Klientel gut dazustehen?

Leitl: Auch ein Kammerpräsident denkt wie ein normaler Mensch: Nicht der Wert, sondern Herz und Idee dahinter sind das Entscheidende an einem Geschenk. Das lässt sich auf die Politik umlegen. Wünsche, die viel Geld kosten, können wir uns derzeit nicht leisten. Gefragt sind intelligente Projekte, die zu Selbstläufern werden.

STANDARD: Die Regierung hat heuer viel ausgegeben. Sinnvollerweise?

Leitl: Fürs erste Jahr stelle ich ein sehr gutes Zeugnis aus. Womit sich die Deutschen zum Teil jetzt noch abmühen, haben wir rasch zusammengebracht: erstens die Banken gesichert, zweitens wirtschaftliche Impulse gesetzt, drittens Kaufkraft generiert. Obwohl Österreich stark von den Turbulenzen in Mittel- und Osteuropa betroffen ist, hat sich das Land beachtlich gehalten.

STANDARD: In der Gegenwart - aber wie schaut's für die Zukunft aus?

Leitl: Früher hatten wir im Fortschrittsbericht der Systeme Platz eins abonniert. Nun sind wir Letzter im Dreiländervergleich mit Deutschland und der Schweiz. Wir brauchen eine vierfache Erneuerung: der bürokratischen Systeme, der Pensionssysteme, des Gesundheitssystem und der Bundesbahnen. Leider gilt: Wir waren bisher unfähig zu Reformen, wenn es um staatlich finanzierte Apparate geht.

STANDARD: Woran hapert's?

Leitl: Wir Österreicher sind alle toll bei der Zielformulierung, aber miserabel bei der Umsetzung. Bundeskanzler und Vizekanzler haben gleichermaßen versprochen, bei der staatlichen Administration 3,5 Milliarden Euro einzusparen. Aber niemand hat eine genaue Vorstellung in welcher Zeit, mit welchen Mitteln, in welchem Prozess.

STANDARD: Die Regierung arbeitet eh intensiv daran, die Fuhrparks der Ministerien zu fusionieren ...

Leitl: ... und Sie verschweigen ein anderes epochales Projekt, das Zusammenlegen der drei Wetterdienste in Österreich. Wir lachen darüber, für eine Faschingszeitung wäre das lustig. Aber natürlich sind das Nebenthemen, während das Wesentliche übersehen wird. Nehmen wir die Themen Gesundheit und Schule. Reden Sie mit einem Arzt, reden Sie mit einem Lehrer. Beide werden klagen, dass sie 40 Prozent ihrer Zeit für bürokratischen Kram aufwenden, statt Schülern und Patienten zu betreuen.

STANDARD: Ärzte und Lehrer werden aber auch sagen, dass man Schulen und Spitäler kein Geld streichen dürfe, um Budgetlöcher zu stopfen.

Leitl: In Bildung und Forschung muss man investieren, richtig. Dort liegt unsere Zukunftshoffnung.

STANDARD: Dann ist aber auch der von Ihnen propagierte Plan, die Staatsschulden via Verwaltungsreform abzubauen, eine Illusion.

Leitl: Um nach der Krise wieder auf eine vernünftige Verschuldung von 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu kommen, fehlen uns etwa zehn Milliarden. Grob gerechnet soll die Hälfte beim Pensionssystem eingespart werden, indem die Menschen im Schnitt so wie in Schweden wenigstens bis 62 statt bis 58 arbeiten. Dazu kommen 3,5 Milliarden aus der staatlichen Bürokratie, zwei Milliarden aus der Gesundheitsverwaltung, eine Milliarde aus der Schulverwaltung.

STANDARD: Dafür müsste man bei Spitälern und Schulen kürzen.

Leitl: Ich gehe davon aus, dass bei der Berechnung des Budgetlochs die steigenden Kosten in diesen Bereichen inkludiert sind. Eingespartes Geld könnten wir in Sinnvolleres als Bürokratie stecken, etwa in eine moderne, differenzierte Gesamtschule. Tun wir das nicht und heben stattdessen neue Steuern ein, passiert etwas anderes: ein Aufstand der jungen Generation, die es sich nicht mehr bieten lassen wird, dass sie für uns Ältere stets die Rechnung zahlen soll.

STANDARD: Einsparungen, die niemandem wehtun, werden nicht ausreichen.

Leitl: Reformen mit dem Wattebausch gibt es nicht. Mit klugen Begleitmaßnahmen lassen sich in Verwaltungen und Organisationen in drei Jahren zehn Prozent einsparen. Das hat unsere Reform der Wirtschaftskammer gezeigt.

STANDARD: Sie sind seit zehn Jahren Präsident der Wirtschaftskammer. Haben Sie den Glauben an den freien Markt nun revidieren müssen?

Leitl: Nein. Ich wollte nie, dass der Staat ins letzte Ecke gestellt wird. Leider ist die nationale Politik unfähig, sich international zu organisieren. Obama ist nicht imstande, die Wallstreet-Boys einzubremsen, Europa schafft keine klaren Finanzspielregeln. Die Überheblichkeit der Finanzwelt nimmt wieder zu, die nächsten Blasen bauen sich auf, der Virus verbreitet sich von Neuem. Da wird selbst der alte Optimist Leitl zum Pessimisten. (Gerald John, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20.12.2009)