Vom Spion zum Messias eines bedrohten Naturvolkes: Jake (Sam Wor-thington) dringt als Avatar in James Camerons gleichnamigem Film in neue Dimensionen vor - ab Freitag im Kino.

Foto: Centfox

Wien - Erwartungshaltungen sind eine zweischneidige Sache. Von nichts weniger als der Zukunft des Kinos war im Vorfeld von Avatar - Aufbruch nach Pandora die Rede: Da steigt die Hoffnung auf ein ungeahntes Filmerlebnis etwa im gleichen Ausmaß wie die Erwartung, fürchterlich enttäuscht zu werden. Doch James Cameron, von seiner Exfrau Kathryn Bigelow einmal bezichtigt, in Liebe zu Maschinen entflammt zu sein, bürgt immerhin wie kein anderer für Innovation. Über ein Jahrzehnt ist es her, dass er die "Titanic" sinken ließ: Er war, heißt es, den technischen Möglichkeiten gedanklich zu weit voraus.

Angesichts solcher Zeitspannen mutet es fast ironisch an, dass am Anfang von Avatar ein Tropfen schwerelos vor dem unscharfen Gesicht des Söldners Jake (Sam Worthington) schwebt. Ein winziger Tropfen, der dem Besucher gleich einmal die räumliche Tiefe des Films vor Augen führt. Vor allem auf 3-D in Imax-Kinos eröffnet er der Science-Fiction, die immer auch von den Möglichkeiten der Gegenwart erzählt, eine neue Dimension. Der Held sitzt eigentlich im Rollstuhl und träumt davon, sich frei bewegen zu können: Cameron, der größenwahnsinnige Schöpfer des Blockbuster-Kinos, wird es ihm (und uns) erfüllen.

Dies ist die innere und ungleich interessantere Geschichte von Avatar - eine, die das Streben nach der perfekten technischen Illusion mit einer Art romantischer Wunscherfüllung zusammenführt. Jake, der Ex-Marine, wird einen Avatar steuern, eine Kreuzung aus menschlicher DNS und jener der Na'vi, der Ureinwohner des Planeten Pandora: blaue Riesen, die ein wenig wie Katzen aussehen und in jenen Wäldern leben, an denen die Menschen Raubbau treiben, weil sie vom Rohstoff "Unobtainium" abhängig sind. Jake ist ein Spion, ein Doppelagent sogar, der die außerirdische Kultur auskundschaften soll. Doch er wird sich ihr anpassen, sich in seine Ausbildnerin Neytiri verlieben, die geliehene Wirklichkeit der anderen vorziehen - bis er, eine Art Lawrence der Aliens, selbst zum Mythos wird.

Cameron bemüht damit zwar einen alten Topos, aber er versieht ihn mit einem sehr zeitgenössischen Twist, indem er ihn an die technische Ebene des Films koppelt. Denn die Welt der Na'vi, der Dschungel, in dem sie in Einklang mit einer schillernd wuchernden Natur leben, verdankt sich zur Gänze der Rechenleistung von Computern. Mithilfe der ausgefeilten "performance capture" , einer Technologie, die menschliche Bewegungen und Ausdrücke auf animierte Modelle überträgt, gelang eine bildmächtige Ausgestaltung dieser Fantasiewelt. Cameron bevölkert sie mit Reptilien in giftig grellen Farben, er stattet sie mit quallenartigen Lichtwesen aus, die wie aus den dunkelsten Ecken der Tiefsee gefischt wirken, und er erschafft Berge und Wasserfälle, die wie Wolken im Himmel hängen.

Flug- und Reitprothesen

Wie eine Art Fortführung der Wasserwesen aus The Abyss, jenem Film Camerons, an den Avatar mit seiner mahnenden, globalisierungskritischen Botschaft am direktesten anschließt, erscheinen wiederum die Na'vi selbst. Doch gerinnt selbst die Beschwörung einer noch intakten Natur, in der Lebewesen und Pflanzenwelt miteinander netzartig verwoben sind, noch zum multifunktionalen Erlebnispark. So archaisch die Ureinwohner auf den ersten Blick scheinen, vermögen sie sich mit tentakelhaften Sensoren an Tiere anzudocken - Prothesen, um frei dahinzugaloppieren oder durch die Lüfte zu gleiten.

Dies sind letztlich nur primitivere (oder je nach Perspektive: ungleich avanciertere) Formen der Immersion: Um das Eindringen in andere Wirklichkeiten geht es in Avatar auf allen Ebenen. Es garantiert erst den ultimativen Lustgewinn und gilt für den gehbehinderten Protagonisten Paul wie für den Zuschauer, der mit 3-D-Brille in den Film abtaucht. Von der Sucht nach solchen Ersatzerfahrungen erzählte Cameron bereits in seinem Drehbuch für Strange Days, in dem es Transmitter gab, die menschliche Empfindungen übertragen konnten.

Doch technische Errungenschaften können sich leider auch verselbstständigen. Der Aufwand, der um Flora und Fauna der planetarischen Alternative getrieben wurde, prallt in Avatar gleichsam auf die erzählerischen Schrotthalden einer sterbenden Welt. Alles, woran der Mensch in Gestalt holzschnittartiger Figuren wie eines gewissenlosen Unternehmers (Giovanni Ribisi) und eines martialischen Sicherheitschefs (StephenLang) denken kann, ist der schnellste Weg zur Durchsetzung seiner Interessen. Das treibt den Film, rasanter als es sein müsste, auf die direkte kriegerische Konfrontation der beiden Gruppierungen zu, in der auch die Nuancen der ersten Hälfte nach und nach verlorengehen.

Aufgrund der großformatigen Inszenierung einer Schlacht unter Ungleichen wirkt dann auch Camerons ökologiefreundliche Ausrichtung des Films gleich noch naiver. Mit schwerem Geschütz fressen sich die Eindringlinge ihren Weg zu den Heiligtümern der Na'vi, die mit Pfeil und Bogen gegen Stahl scheinbar nichts ausrichten können. Das Schlachtengewitter ist das deutlichste Zugeständnis an einen Markt, der einem Blockbuster in der Größe von 250 Millionen Dollar eben auch Action-Schauwerte abverlangt. Zwingender werden sie aber in auffrisierter Form nicht.

So mag Avatar am Ende auch eine Parabel über die Zukunft des Kinos sein: Er liefert eine berauschende Ahnung von dem, wohin es gehen könnte - und er zeigt zugleich auf, dass auf diesem Weg noch einige Hindernisse liegen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe 16.12.2009)