Wie alles hätte man auch die Reden "Österreich:gemeinsam" und "Projekt Österreich" immer noch besser machen können. Doch mieselsüchtige Besserwisser gefallen sich als Überkanzler, indem sie Kanzler und Vize abkanzeln: "Reden ist Blech", "von einer jährlichen Wiederholung ist abzuraten", raten "profil"ierungssüchtige Beckmesser. Denn wer nicht zuhört, hört nix Neues.

Taub-blinden Medien nach werden wir von einfalls-und mutlosen Deppen regiert, die sie aufgeregt steril rituell beschimpfen, um als kleine Lichter heller zu scheinen - und nachher scheinheilig den Aufstieg des Rechtspopulismus zu beweinen. Auf die Gefahr hin, wie die Objekte medialen Spotts verhöhnt zu werden, sage ich: Die Reden an die Nation waren interessant, mutig, diskutierenswert. Wir sollten sie weiter debattieren, durchaus kritisch. Denn "weniger versprechen, mehr halten" etwa wäre hierzulande eine geradezu revolutionäre Wende zum Besseren.

Versprechen Halten erst recht. Haltbare Vorschläge statt haltloser Zusagen ebenso. Darin war vor allem der Kanzler überraschend mutig, mit konkreten Zielen statt vager Ankündigungen: 200.000 statt der derzeit bloß 4.000 Ganztagsschulplätze für 700.000 SchülerInnen bis 2018, das sind 37 Prozent der theoretisch 541.000 nach best practice Standards in Europa, 170 Millionen Mehrkosten. Verdoppelung der Schulversuche zur neuen Mittelschule. Zumindest 1 von insgesamt 3,5 Milliarden RH-Einsparpotenzial bei den Spitälern, 1,8 Milliarden bei den SV, im Gegenzug ihrer Sanierung um 700 Millionen. 500.000 Euro steuerliche Gehaltsabsetzgrenzen (diese Moralisierung des Kapitalismus allein erlaubte jährlich 50 Millionen zusätzlich für Studienplätze). Weiters: Ein "Transfer-Konto", "unverzügliche" Rücknahme der Hacklerei (Pröll); Offenlegungspflichten für Spitzengagen, keine Spekulationsfrist für Aktiengewinne (Faymann).

Über all das kann und soll man "miteinander statt gegeneinander" durchaus streiten, sinnvoll und kreativ; beidseits mit respektvollem "ja, aber" oder "ja, wenn" statt reptilienhirnartiger Angstbeißreflexe "nein, weil". Wenn einmal im Jahr die Lenker des Landes sagen was sie mit uns gemeinsam erreichen, uns abverlangen und zusichern wollen, so ist das zu begrüßen. Wir sollen sie beim Wort nehmen, an ihren Taten messen, denn Wahltag ist Zahltag. Wer das Risiko prüfbarer Zusagen wagt verdient einen Mut-Bonus gegenüber pointenreichen Dampfplauderern und heiseren Kampfschreiern.

Und wenn wir nicht wie schlechte Oberlehrer Kanzler und Vizekanzler für ihre Grenzen schmähten statt auch ihre Talente zu sehen, könnten wir uns an kleinen Sprachperlen und visionären Lichtblicken erfreuen: "destruktive Konservierung" ist von Schumpeter'scher Qualität, "Steuer-Rad statt Steuer-Schraube" oder "verwachsener Föderalismus" klug und köstlich. Zwei Varianten der Verknüpfung von Leistungsgerechtigkeit und Solidarität, ein "gemeinsamer öffentlicher Dienst für Österreich" oder "das Land wieder zur Vollbeschäftigung führen" sind echte Utopien wie die frühe Förderung verpflichtender Gratisvorschule oder die Ganztagsschule. Und auch die Schmerzlinderung der Krise wird glaubwürdiger - und überprüfbarer - durch eine lange Liste präziser Arbeitsmarktmaßnahmen. (Bernd Marin/DER STANDARD, Printausgabe, 15.12.2009)