"Ich glaub', ich komm' heut nimmer nach Bruck": Frau Weill

Foto: derStandard.at

Neongelb-Hemden helfen bei der Ticket-Auswahl

Foto: derStandard.at

Andere helfen sich selbst

Foto: derStandard.at

Frau Liu erklärt auf Anfrage auch Wiener Sehenswürdigkeiten

Foto: derStandard.at

Öffis sind gut beschildert, ...

Foto: derStandard.at

... Taxis sind es nicht.

Foto: derStandard.at

Besonders ältere Menschen tun sich schwer mit der Bahnhofs-Umstellung

Foto: derStandard.at

"Denen mach ich einen Wirbel! Da können S' Gift drauf nehmen!" Frau Weill ist etwas errötet. Sie will nach Bruck an der Leitha, und das schon seit einer Stunde. Der Zug fährt zwar pünktlich ab, aber leider am anderen Bahnhof. Dort kommt sie gerade her. "Ich schwör Ihnen, die haben mich vom Südbahnhof nach Meidlung geschickt! Und Sie wollen mir einreden, ich muss wieder zurück?" Ein bedauerndes Nicken dringt aus der roten Kaputze des jungen ÖBB-Servicemanns. Dann hilft er der Dame zum Bahnsteig und sagt: "Viel Glück".

"Es war zu erwarten, dass da das Chaos ausbricht", sagt der Student, der heute siebeneinhalb Stunden im kalten Bahnhof verbringen wird, um Info-Folder auszuteilen. Zwar sei alles gut organisiert. "Aber vor allem die alten Leute tun sich halt schwer mit der Umstellung."

Fahrstuhl "ein bisschen versteckt"

Eine andere Dame steht vor der Rolltreppe und signalisiert Verzweiflung. "Wie soll ich mit meinem Wagerl da raufkommen?", fragt sie. Dass es zu jedem Bahnsteig einen eigenen Lift gibt, hat ihr niemand erklärt, danach gefragt hat sie auch nicht. Der ÖBB-Promoter kennt das Problem: "Viele Leute suchen den Lift. Die Kabinen sind halt ein bisschen versteckt."

Oben am Bahnsteig 3 steht eine Frau mit einem Advent-Gesteck in der Hand und flüstert unhörbar Stoßgebet oder Fluchspruch. "Am Telefon haben sie mir gesagt, der Zug fährt um 12.03 ab." Jetzt ist es zehn nach zwölf. "Am Schalter haben sie jetzt gemeint, er geht in einer Viertelstunde. Und da auf der Anzeige steht wieder was anderes." Frau S. weiß nicht, was sie glauben soll und hofft auf einen Glücksengel. Dabei ist alles ziemlich simpel: Der Zug nach Wiener Neustadt hat zwanzig Minuten Verspätung, daher scheint auf der Anzeige die S-Bahn nach Mödling auf. Für geübte Abfahrtsplan-Lesende kein Problem - doch Frau S. war bisher nie gefordert, sich mit ÖBB-Digitaltafeln herumzuschlagen. "Bis jetzt bin ich am Südbahnhof immer am selben Bahnsteig eingestiegen. Und der Zug ist immer pünktlich weggefahren."

"Die stehen nur herum"

Dass es keinen Endbahnhof gibt, wo man schon zwanzig Minuten vor Abfahrt Waggonplätze mit Zeitung, Jackenbergen und Leberkässemmeln markieren kann, verärgert scheinbar viele. Wie immer sind es die am wenigsten Verantwortlichen, die den Grant abfedern. "Es beschweren sich schon einige", sagt Shuangwen Liu. Im roten ÖBB-Jacket ist sie menschlicher Kummerkasten am Bahnhof Meidling. Nicht nur Umstellungs-Schwierigkeiten nach dem Südbahnhof-Ende, auch der neue Zugfahrplan ist in den Augen vieler Menschen ihre Schuld. Die Sinologie-Studentin nimmt es gelassen und sieht den Nebenjob als Feldstudie. "Gestern waren zwei Touristen aus China hier. Ich habe ihnen Fahrkarten gekauft, einen Stadtplan besorgt und die wichtigsten Sehenswürdigkeiten erklärt." Eine Frau mit Raulederjacke weiß trotzdem, was sie vom Info-Personal halten soll: "Die stehen nur herum und kennen sich nicht aus und wenn man sie was fragt, drücken s' einem ein Hefterl in die Hand."

Rot und Neongelb

Jeder vierte Mensch hier am Bahnhof Meidling trägt heute Rot oder Neongelb. Wiener Linien und ÖBB haben ganze Kompanien an Service-Leuten abgestellt, um dem befürchteten Chaos vorzubeugen. Herr H. steht schon den ganzen Morgen hier, ihm ist ein bisschen fad. "Gestern am Südbahnhof war schon einiges los", schwärmt er: Ein nur beinahe fertig gebauter Fahrstuhl, ein defekter Ticket-Automat und schlecht beschilderte Wege zur Ostbahn - "da haben schon viele Leute Fragen gehabt, und die meisten haben kaum Deutsch können." Bratislava-PendlerInnen seien an der spärlichen und einsprachigen Beschilderung am ÖBB-Bahnhof gescheitert, erzählt der Wiener Linien-Beauftragte. Hingegen sei im U-Bahn-Bereich "heute gar nicht mehr los als an anderen Tagen."

Der Weg zu Bim und Bus ist gut und auf Deutsch und Englisch angeschrieben. Haarig wird's, wenn es um Taxis geht. Weder Hinweistafeln noch Wiener Linien-Servicedame wissen Auskunft über den nächst gelegenen Taxistand zu geben. Kein Wunder, meint Taxifahrer Abdullah, sichtlich verärgert: "Man hat uns einen Platz gegeben, wo uns garantiert niemand sieht. Das ist ein Wahnsinn." Ganze drei Stellplätze gibt es in der Nähe des Bahn-Aufgangs - und die sind gut hinterm Autobus-Standplatz versteckt. Auch, dass Bahnreisende am Weg zu seinem Taxi erst über zwei Auto-Fahrbahnen und zwei Straßenbahngleise marschieren müssen, ärgert Abdullah: "Was sollen die alten Menschen machen?"

Verunsichert

Frau S. wartet weiter auf den verspäteten Zug in Richtung Wiener Neustadt. Nicht, dass sie einen Termin erreichen müsste - sie fährt zum Friedhof in Sollenau. Dass jetzt alles anders ist als sonst, verunsichert sie trotzdem. Ihr einziger Trost ist die Vergänglichkeit des ÖBB-Fahrplans: "Der Südbahnhof ist ja nur bis 2012 gesperrt. Dann wird es wieder so sein wie vorher." (Maria Sterkl/derStandard.at, 14.12.2009)