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Massimo T. nach dem Attentat. Er befindet sich im Mailänder San Vittore-Gefängnis.

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Silvio Berlusconi nach dem Attentat. Er liegt im Mailänder San Raffaele-Spital.

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Keine zehn Minuten soll es gedauert haben, bis die mediale Schlacht eröffnet wurde: Kurze Zeit, nachdem Massimo T. dem italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi eine Miniaturausgabe des Mailänder Doms ins Gesicht geschleudert hatte, spaltete sich die Internetcommunity auf, in Pro- und in Contra-Massimo. Damit häufen sich nicht nur gefakte Massimo T.-Profile auf Facebook, sondern auch diverse Gruppen innerhalb des sozialen Netzwerks: Sie heißen etwa "Töten wir Massimo T.", "Schande Massimo T." oder eben "Viva Massimo T." und "Sammelaktion für Massimo T.".

In der Zwischenzeit hat der Angreifer laut Corriere della Sera "eine starke Abneigung gegen die Pdl (Popolo della Libertà, Berlusconis "Volk der Freiheit", Anm.) und insbesondere gegen den Premier" als Motiv für seine Tat genannt. Innenminister Roberto Maroni sagte, er hoffe, dass das Geschehen zu einer Auflockerung des politischen Klimas dienen werde. Er sagte, dass Berlusconi bei dem Angriff getötet hätte werden können. Gleichzeitig bestritt er, dass Mängel im Sicherheitssystem um den Premierminister eine Rolle bei dem Angriff gespielt haben könnte. Das Innenministerium erwäge die Abschaltung einiger Internetseiten, die gegen Berlusconi aufhetzen würden.

Die Repubblica berichtet, dass sich zahlreiche Schaulustige bei Verkaufs- und Kioskständen rund um den Domplatz in Mailand auf die Suche nach jener Art von Miniaturen des Mailänder Doms gemacht hätten, mit der Massimo T. den Premier beworfen haben soll.

"Skandalös und moralisch inakzeptabel"

"Es ist skandalös und moralisch inakzeptabel, was sich derzeit im Internet und den sozialen Netzwerken abspielt", erklärte der italienische Europaminister Andrea Ronchi. Er werde das Innenministerium dazu aufrufen, etwas gegen die mediale "Verherrlichung von Gewalt" und die Polemik, die gegen den Premier ausgebrochen sei, zu unternehmen. Was er anspricht, sind Gruppen, die sich beispielsweise dafür aussprechen, Berlusconi "den echten Dom ins Gesicht zu werfen". Oder Gruppen, in denen sich der Wasserspeier des Mailänder Doms fragt, "warum in aller Welt" gerade er dazu dienen musste, "das Gesicht des alten, schmierigen Scheißkopfs" zu erwischen. Vermutlich meinte er auch eines der vielen Pseudo-Massimo-Profile, in denen sich der Dom-Werfer - Eigenbeschreibung: "42 Jahre alt, unbescholten und sehr mutig", knappe 62.000 Fans - fragt, wer sonst noch "Eier hat".

Vor dem San Raffaele-Spital in Mailand haben sich laut Corriere della Sera zahlreiche Berlusconi-Fans zusammengetroffen, um dem Premier baldige Besserung zu wünschen. "Die echten Italiener werden immer bei dir sein", steht auf Plakten geschrieben. Berlusconi selbst habe eine ruhige Nacht verbracht, schreibt der Corriere weiter. "Bringt mir die Zeitungen", sollen seine erste Worte nach dem Aufstehen gewesen sein. Er habe starkes Kopfweh und der Angriff sei ihm "nahegegangen", so Bonaiuti. Inzwischen erhielt der Premier Besuch von Gianfranco Fini, Präsident der Abgeordnetenkammer, Senatspräsident Renato Schifani und von Oppositionschef Pierluigi Bersani (Partito Democratico, PD). Genesungswünsche erhielt er von mehreren Regierungs- und Staatschefs, darunter vom russischen Premierminister Wladimir Putin und von dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy.

Berlusconi könne sich nur schwer ernähren, teilte der behandelnde Artz und Primar Alberto Zangrillo mit. Der 73-Jährige erlitt einen Nasenbeinbruch und Verletzungen an der Unterlippe, die genäht werden mussten, weiters brachen zwei Zähne ab. Berlusconi habe wegen der Verletzungen einen halben Liter Blut verloren. Er werde mit Antibiotika und Schmerzmitteln behandelt. Zangrillo stellte klar, dass es entgegen erster Berichte nicht fix sei, dass Berlusconi bereits am Dienstag aus dem Spital entlassen werde. "Wir entscheiden morgen", sagte Zangrillo laut Repubblica. Die Verletzungen, die der Premier davongetragen habe, seien schlimmer als anfangs angenommen. "In den kommenden 24 bis 36 Stunden kann noch keine Rede von Entlassung sein", so Zangrillo. Seine Teilnahma am UN-Klimagipfel hat Berlusconi laut Repubblica abgesagt. Am Mittwoch wollte der Premier eigentlich in Kopenhagen sein.

"Antrieb für die kommende Wahl"

Wieder andere fürchten, dass das Attentat erst recht dem Premier zugutekommen werde. Ein Gedanke, den auch die Zeitung L'Unità teilt: "Leider wird der Dom, der ihn vielleicht für kurze Zeit entkräftet hat, Antrieb für die nächste Wahl geben", schreibt die Tageszeitung der italienischen Linken. "Berlusconi wird die gestrige Gewaltaktion nicht für den nächsten Wahlkampf instrumentalisieren", sagte sein Pressesprecher Bonaiuti angesichts dieser Vorwürfe gegenüber der Tageszeitung La Repubblica. Maria Rosaria "Rosy" Bindi, Vizepräsidentin der italienischen Abgeordnetenkammer, sprach ihre Solidarität mit dem Premier aus. "Aber er soll nicht das Opfer spielen", so die PD-Politikerin auf ihrer Website. Bindi sagte gegenüber der Repubblica: "Er soll seinen Teil dazu beitragen, dass das Klima des politischen und institutionellen Feuergefechts, für das er selbst nicht unwesentlich Schuld trägt, beendet wird." Leider könne es da passieren, "dass Personen den Kopf verlieren", so Bindi.

Die Zeitung La Stampa sieht das anders: "Es gibt Momente, in denen zwei Wörter abgeschafft werden müssten - wenn und aber. Der tätliche Angriff auf einen Menschen, in diesem Fall auf den Regierungschef, ist einer dieser Augenblicke", schreibt die Turiner Tageszeitung. "Das verletzte und von Blut überströmte Gesicht des Silvio Berlusconi kann nur Bestürzung auslösen und man kann sich keinen ernsthaften, sich demokratisch und anständig definierenden Menschen vorstellen, der da anders reagiert." In dieselbe Kerbe schlägt auch Oppositionschef Bersani: "Jeder Gewaltakt ist zu verurteilen, ohne Wenn und Aber."

Luigi Maria Verzé, Priester, Berlusconi-Freund und Gründer des San Raffaele-Spitals, zitierte Berlusconi mit diesen Worten: "Ich verstehe nicht, warum sie mich so hassen." Es seien nicht nur die physischen Verletzungen, an denen Berlusconi leide, so Senatspräsident Renato Schifani, sondern vor allem "wegen des politischen Hasses gegen ihn".

"Massimo ist psychisch labil"

Auch der Vater des Attentäters, Alessandro T., gibt laut Repubblica dem giftigen politischen Klima in Italien zu einem großen Teil Mitschuld an der Tat: "Massimo ist psychisch labil" und habe sich in der Mailänder Poliklinik in Behandlung befunden. Aber sein Sohn habe "noch keiner Fliege etwas zuleide getan: Er arbeitet ehrenamtlich beim WWF". T., wie seine gesamte Familie, wählt die größte Oppositionspartei in Italien, Partito Democatrico (PD), schreibt La Repubblica. "Wir haben oft kommentiert, was in der Politik vor sich geht", so Alessandro weiter. "Aber niemand hat jemals besondere Aggressionen gezeigt, auch mein Sohn nicht. Keiner hasst Berlusconi in dem Maße." Alessandro hatte am Sonntag Abend in der Klinik angerufen und sich "konsterniert" gezeigt über das Verhalten seines Sohnes.

Der Attentäter verbrachte die Nacht unter Aufsicht in einer Zelle der Mailänder Strafanstalt San Vittore, nachdem er Sonntag Abend von Anti-Terrorismus-Staatsanwalt Armando Spataro verhört worden war. Ihm wird vorsätzliche, schwere Körperverletzung vorgeworfen.

Massimo T. habe an besagtem Tag das Haus verlassen, "weil er eine Freundin besuchen wollte", so sein Vater. Der 42-Jährige habe bisher "in der eleganten Villa" seiner Eltern in Mailand gelebt und als Grafiker bei der Firma des Vaters gearbeitet, die Fahrkartenentwerter für Autobusse baut. T. befinde sich bereits seit zehn Jahren in psychiatrischer Behandlung, schreibt die Repubblica weiter. Er habe keine Vorstrafen. Die Ermittler gehen davon aus, dass es sich nicht um eine geplante Tat handle, sondern dass das Vorgehen mit dem Geisteszustand von Massimo zu tun habe. (fin, derStandard.at, 14.12.2009)