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Zur Person
Alma Guillermoprieto (60) ist mexikanische Journalistin, die für die britische und amerikanische Presse über Lateinamerika berichtet. 2009 publizierte sie das Buch "Havanna im Spiegel".

Foto: Reuters/Guerrero

Diese würde eine neue Identität ermöglichen, sagte sie zu Adelheid Wölfl.

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Standard: Chávez intensiviert die Allianz mit Kuba. Was plant er?

Guillermoprieto: Chávez verkauft 70 Prozent seines Öls an die USA. Aber er braucht auch Prestige und Respekt. Und wenn er nun von Fidel Castro für das Öl, das Kuba dringend braucht, im Gegenzug Respekt kaufen kann, dann ist das sicher günstig. Ich bezweifle aber stark, dass Fidel, wenn er sich den Pyjama anzieht, über Chávez sagt: Was für ein wunderbarer junger Mann dieser Hugo doch ist!

Standard: Zwischen Russland und Venezuela werden die Beziehungen immer enger. Was will Russland in Lateinamerika?

Guillermoprieto: Es geht darum, ob Putin zurückkehren will an die Macht und ob dies eine Ressource seiner Macht sein kann. Aber ich finde es interessant, weshalb die EU sich in Lateinamerika nicht mehr engagiert. Die EU könnte ein Gegengewicht zu den persönlichen Beziehungen zwischen Fidel und Chávez sein. Wir haben ja noch keine stabilen Staaten in Lateinamerika, die in der Lage sind, eine kontinuierliche Politik von einem Präsidenten zum nächsten zu gestalten. Und weil es keine Strategie gibt, spielen eben Individuen Schach.

Standard: Was kann Obama im Verhältnis zu Kuba ändern?

Guillermoprieto: Er hat während der Kampagne gesagt, dass er sich mit Raúl Castro zusammensetzen will, aber das kann er nicht. Er kann nur die Reiserestriktionen und die Handelssanktionen lockern. Nicht weil die kubanische Opposition in den USA dagegen ist, sondern weil die Republikaner Obama als Sozialisten darstellen wollen. Und Kuba ist dafür natürlich das Thema. Aber die Frage ist auch, wie sehr die Hände Raúls gebunden sind.

Standard: Durch Fidel Castro?

Guillermoprieto: Raúl Castro kann sich nicht bewegen ohne die Garde von Fidel um ihn. Er würde gerne einen rascheren Fortschritt haben. Aber Fidel schaut extrem gesund aus in diesen Tagen.

Standard: Sie schreiben, dass Spiegel in den 1970ern in Kuba verboten waren. Weshalb?

Guillermoprieto: Für die Revolution waren Spiegel Werkzeuge des Narzissmus. Und Selbstbeobachtung ist den Kubanern damals schwergefallen. Es hieß ja immer: Geh voran! Für Künstler war es besonders schwer, in sich selbst hineinzuschauen, weil ihnen das eine Identität jenseits der Revolution ermöglicht hätte. Und genau das hat die Revolution am meisten gefürchtet.

Standard: Wie haben Sie als Tanzlehrerin ohne Spiegel gearbeitet?

Guillermoprieto: Es war nicht schlecht. Es hat den kubanischen Tänzern eine Art Unschuld gegeben, weil sie sich nicht bewusst waren, wie sie gesehen werden.

Standard: Was passiert, wenn die Revolution zusammenbricht? Fidel wird ja nicht ewig leben.

Guillermoprieto: Vielleicht schon (lacht). Mehr Sorgen macht mir, was mit der kubanischen Gesellschaft nach dem Wechsel passieren wird. Das ist ein schrecklich armes Land, eigentlich hatte es nie etwas anderes zu bieten als Tabak, Zucker und Rum. Und daraus kann man kein reiches Land machen.

Standard: Sie haben nun kein Visum für Kuba bekommen, warum?

Guillermoprieto: Ich bin wahrscheinlich die freundlichste Reporterin, die sie finden können. Aber, wenn man das ganze Leben lang in diesem Staatsapparat war, kann man sich keine Alternative zur totalen Kontrolle vorstellen. Mehr als alles andere wollen sie die Sichtweise kontrollieren, damit die Rhetorik nicht leer wird.

Standard: So eine Kontrolle lässt erstarren. Kann Fidel nicht sterben, weil er selbst wie eingefroren ist?

Guillermoprieto: Er ist ziemlich eingefroren. Die Revolution lebt ja von den Worten, die er erlaubt. Und es geht nicht darum, ob diese Worte falsch oder richtig sind, es geht darum, ob sie noch immer Macht haben, in einem fast magischen Sinn. (DER STANDARD, Printausgabe, 14.12.2009)