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Die Sprengkraft der Silvesterkracher kann leicht ganz schreckliche Verletzungen verursachen

Foto: APA/Jochen Lübke

Die Explosionsverletzung erzeugt Wunden mit großen Traumazonen.

Foto: Klinische Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie/AKH Wien

Manfred Frey ist Facharzt für Plastische und Wiederherstellungschirurgie an der Abteilung für Plastische und Wiederherstellungschirurgie der II. Chirurgischen Universitätsklinik in Wien.

Foto: Manfred Frey

derStandard.at: Hat die Anzahl an Verletzungen infolge Silvesterkracher in den letzten Jahren zugenommen?

Frey: Ich würde sagen, sie hat sich sicher nicht verkleinert. Ich denke aber, die Anzahl derer, die Feuerwerkskörper zünden und der Leichtsinn im Umgang damit hat zugenommen.

derStandard.at: Mit welchen Verletzungen sind Sie denn vornehmlich konfrontiert?

Frey: An erster Stelle stehen logischerweise die Handverletzungen, gefolgt von den Gesichtsverletzungen. Der Ablauf ist dabei fast immer der gleiche: entweder explodiert der Feuerwerkskörper zu früh oder der Benutzer glaubt an eine vermeintliche Fehlzündung, nimmt den Böller wieder in die Hand und in genau in dem Moment explodiert er. Ein derartig gewaltiges Trauma unmittelbar auf der Haut, beziehungsweise in der Hand, erzeugt einen unglaublichen Gewebeschaden, der nicht selten zum Verlust von Fingern oder der ganzen Hand führt.

derStandard.at: Was ist mit Selbstentzündung von Knallfröschen, die im Hosensack herumgetragen werden?

Frey: Kommt durchaus vor und geht mitunter mit Verbrennungen im Genital- und Lendenbereich einher. Allerdings sehen wir an unserem Verbrennungszentrum diese Art von Verletzungen eher selten. Hier sind wir vorwiegend mit den Verletzungen konfrontiert, die im wahrsten Sinn des Wortes explosionsartig verlaufen und eine Reihe sekundärer Folgen nach sich ziehen.

derStandard.at: Lässt sich anhand des Verletzungsmusters die Sprengkraft des Feuerwerkkörpers einschätzen?

Frey: Natürlich steigt mit der Größe der Sprengkraft und der Nähe der Explosion auch die Traumawirkung. Deshalb macht eine gewisse räumliche Distanz zu den Raketen auch Sinn. Das Spezifische an der Explosionsverletzung ist die Ausbreitung der Druckwelle im Gewebe. Angenommen die Sprengkraft des Feuerwerkkörpers ist relativ klein, dann reißt die Haut ein, tiefere Strukturen bleiben aber erhalten. Die Druckwelle kann aber dazu führen, dass der Nerv vorübergehend ausgeschaltet wird, also für kurze Zeit gelähmt ist. Wir bezeichnen das als Neurapraxie. Der Nerv ist in seiner Kontinuität noch erhalten und erholt sich entweder innerhalb weniger Stunden oder mehrer Wochen wieder.

derStandard.at: Was passiert, wenn die Sprengkraft der Silvesterkrachers größer ist?

Frey: Dann haben wir es mit einem zerfetzenden tief eindringenden Trauma zu tun. Da der Feuerwerkskörper in die Hand genommen wird, zerreißen dann häufig nicht nur die Nerven und Gefäße, sondern auch die unmittelbar danebenliegenden Beugesehnen. Das Problem ist, die Beugesehnen sind im Gegensatz zu den Strecksehnen, die sich am Handrücken befinden, wesentlich schwieriger zu rekonstruieren.

derStandard.at: Muss die Mehrzahl der Verletzungen operativ versorgt werden?

Frey: Die Verletzungen, die wir zu Gesicht bekommen, sind durchwegs operativ zu versorgen. Da ist es mit einem Pflaster nicht mehr getan, sondern hier muss rasch interveniert werden. Eine Explosionsverletzung kann trügerisch harmlos aussehen, die Hand ist aber trotzdem gefährdet, weil die Druckwelle der Explosion sekundär eine Anschwellung des umgebenden Gewebes bedingt. Dieser gesteigerte Druck kann wichtige Gefäße abdrücken. Das kann bedeuten, dass wir eventuell Gewebe einschneiden müssen, damit die Gefäße durchgängig bleiben und die Blutversorgung der Hand gewährleistet ist.

derStandard.at: Lässt sich denn bei so einem zerfetzenden Trauma überhaupt noch irgendetwas rekonstruieren?

Frey: Genau das ist das Problem. Eine Explosionsverletzung ist von allen Traumaverletzungen so ziemlich die ungünstigste, das Non plus ultra das man sich aussuchen kann. Im Gegensatz zur Schnittverletzung erzeugt sie nämlich keine glatte Wunde, sondern besitzt eine sehr große Traumazone. Die Ausgangslage einer Explosionsverletzung ist also denkbar schlecht und ein komplizierter Verlauf entsprechend häufig. Im Wesentlichen geht es bei dieser Verletzung aber um zwei Dinge: Primär muss die Wunde gereinigt werden. Das bedeutet das gesamte kaputte Gewebe und sämtliche Einsprengungen werden radikal entfernt. Der Grad der Verschmutzung ist bei der Explosionsverletzung sehr groß. Splitter und Russteilchen werden in das Gewebe eingesprengt. Jeder einzelne Fremdkörper ist dabei ein potentielle Risikofaktor für einer sekundäre Infektion. Und diese gilt es auf alle Fälle zu verhindern, weil sie zu einem weiteren Verlust von Haut und Gewebe führen kann.

Im zweiten Teil der ersten Operation versuchen wir dann zu retten, was akut rettbar ist. Abgerissene Gefäße, die ein Überleben der Hand sichern, werden beispielsweise rekonstruiert.

derStandard.at: Mit einer Operation ist es demnach nicht getan?

Frey: Nein, es wäre völlig falsch in der Akutversorgung an eine Sehnentransplantation zu denken. Das Infektionsrisiko wäre zu diesem Zeitpunkt einfach zu groß. Es gehört aber dazu, bereits im Zuge der ersten Operation vorauszuplanen welche operativen Maßnahmen für eine sekundäre Rekonstruktion getroffen werden können.

derStandard.at: Die Silvesternacht lädt viele Menschen auch zum exzessiven Alkoholkonsum ein. Stellt der Alkoholspiegel im Blut der Verletzten für die Versorgung ein Problem dar?

Frey: Der Alkoholkonsum ist in Österreich ein generelles Problem, nicht nur zu Silvester. Und natürlich erschwert es die Lage für den Anästhesisten. Aber letztendlich ist jedes Nicht-Nüchternsein ein Narkoserisiko. Ob Alkohol oder Weihnachtskarpfen ist also ziemlich egal. Problematisch beim Alkohol ist eher die nicht vorhandene Compliance der Patienten. Es ist praktisch unmöglich bei einem völlig Betrunkenen eine regionale Anästhesie durchzuführen.

derStandard.at: Wie kann man dem Verletzten helfen, bevor der Notarzt eintrifft?

Frey: Das hängt vom Schweregrad der Verletzung ab. Bei medizinischen Laien wäre ich, was das Abdrücken einer eröffneten Arterie betrifft, mit einer Empfehlung aber eher vorsichtig. Nur wenn wirklich ein lebensbedrohlicher Blutverlust droht, macht eine solche Maßnahme Sinn. Am besten drückt man dann das Gefäß manuell oberhalb der Verletzung ab. Von Abschnüren kann ich nur abraten, weil der Schaden dadurch oft nur noch größer wird. Ansonsten möglichst wenig selber tun. Keine Desinfektionsmittel auf die Wunde schütten, falls aber ein steriler Verband vorhanden ist, dann ist es kein Fehler diesen über die Wunde zu legen.

derStandard.at: Sind sie ein Gegner von Feuerwerkskörpern?

Frey: Gefährlich sind Billigprodukte aus Asien oder Osteuropa am Schwarzmarkt, die unsachgemäß produziert werden. Sie stellen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko dar, zusätzlich sind die Gebrauchsanweisungen unleserlich. Es ist besser, ein bisschen mehr auszugeben und dafür geprüfte Produkte zu haben und nicht Billigartikel, die möglicherweise schon in der Hand explodieren.

Nein, bei entsprechender Vorsicht bin ich kein absoluter Gegner. Ich kann nur nicht nachvollziehen, warum Erwachsene ihre Kinder mit Böllern hantieren lassen oder warum häufig viel zu nahe bei Personengruppen gezündet wird. Offensichtlich kennen sich viele Menschen im Umgang mit Feuerwerkskörpern viel zu wenig aus und halten sich auch nicht an die beiliegenden Gebrauchsanweisungen. Ich persönlich sehe jedenfalls lieber zu und überlasse das Zünden der Raketen den Experten. (derStandard.at, 30.12.2009)