"The Hub", das neueste Projekt der Organisation Witness, hat Menschen auf der ganzen Welt mit Kameras ausgerüstet, um auf Menschenrechtsverletzungen aufmerksam zu machen.

Screenshot: red

"Soldaten, habt keine Angst: Ihr bekommt Uniformen, Autos und Bohnen umsonst - alles ist umsonst." Mit Marschliedern wie diesen haben Rebellentruppen in der Demokratischen Republik Kongo seit 1996 mehr als 20.000 Kindersoldaten angeheuert. Viele Buben sind dabei, aber auch Mädchen.

Sie sei noch keine zehn Jahre alt gewesen, als man sie rekrutiert habe, sagt January, den Blick starr in die Kamera gerichtet. Bei ihr reichten Drogen aus, um sie in eine Killermaschine zu verwandeln. Doch das war nur einer von vielen Wegen, um den Willen der Kinder zu brechen. Die Kommandanten hätten sie vergewaltigt, gibt die 16-jährige Mafille zu und bittet dann sichtlich verlegen darum, nicht weiter gefilmt zu werden.

Auf humane Ausbeutung aufmerksam machen

Dass die Welt vom Schicksal der beiden Mädchen erfährt, ist hub.witness.org zu verdanken - einer Art Youtube für die Menschenrechte, wo jeder, der auf eine humane Ausbeutung aufmerksam machen will, Videos hochladen kann. Die Webseite ist das neueste Projekt von Witness. Peter Gabriel hat die Organisation mit Hauptsitz im New Yorker Stadtteil Brooklyn gegründet. Der Sänger begann sich für Menschenrechte einzusetzen, als die Polizei von Los Angeles 1992 den afroamerikanischen Autofahrer Rodney King brutal zusammenschlug. Ein Anwohner filmte die Szene zufällig und ging damit an die Öffentlichkeit. Das brachte Gabriel auf die Idee, Menschenrechtsopfer rund um den Globus mit Kameras und Handys auszurüsten.

Witness arbeitet heute mit mehr als 300 Partnergruppen in 70 Ländern. Die leiten die aus New York verschickten Kameras und Handys an Aktivisten vor Ort weiter. Manche kennen das Elektronikzeitalter nur vom Hörensagen und brauchen erst einmal eine Menge Training. 2001 half Witness auf den Philippinen. Dort kam es zu Massakern, weil ein Stamm Ansprüche auf das Land seiner Ahnen erhob. Witness gab den Einheimischen eine Kamera, die sie bei einer Zeremonie zu Sonnenaufgang in Empfang nahmen. Sogar ein Hühnchen wurde zur Feier geopfert. Die Videos, die die Einheimischen danach drehten, bewirkten, dass die philippinische Regierung immerhin eine offizielle Untersuchung der Massaker anordnete.

Weiterleitung an Politiker

Sam Gregory ist der Programmdirektor von Witness: Er sorgt dafür, dass die bei hub.witness.org hochgeladenen Aufnahmen kein Schattendasein im Cyberspace fristen, wie es etwa bei Youtube der Fall sein kann. "Die brisantesten Videos leiten wir gezielt an Politiker und Meinungsmacher weiter, die etwas bewegen können", sagt er. Die Bilder von den Philippinen haben Gregory und sein Team der philippinischen Präsidentin Gloria Arroyo als Videotape in die Hände gedrückt. Andere wurden per E-Mail an Mitglieder des US-Kongresses verschickt, und noch andere an Luis Ocampo, den Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs.

In Den Haag feierte Witness seinen bisher größten Erfolg: Filmaufnahmen des Aktivisten Bukeni Waruzi dienten als Beweismaterial, um Anklage gegen Thomas Lubanga zu erheben. Seit Januar wird dem kongolesischen Kriegsherrn der Prozess gemacht. Es ist das erste Mal, dass es überhaupt zu einem Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof kommt. "Wir wollen Menschenrechtsopfern in erster Linie eine Möglichkeit geben, auf ihre Situation hinzuweisen", resümiert Sam Gregory, "aber das muss natürlich auch zu Gerechtigkeit führen, denn sonst haben sie das Gefühl, dass sie doch nicht gehört werden."

Und vielleicht liegt genau darin die größte Errungenschaft von hub.witness.org: Die Webseite gibt all denen eine Stimme, die keine haben. Oder nicht wussten, dass sie eine haben konnten.(Beatrice Uerlings aus New York/ DER STANDARD Printausgabe, 11. Dezember 2009)