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Um in die Studie aufgenommen zu werden, musste jede Minderheit mindestens fünf Prozent der Gesamtbevölkerung im jeweiligen Staat stellen. In Österreich waren aus diesem Grund nur Einwanderer aus der Türkei und Ex-Jugoslawien in die Befragung einbezogen

Foto: APA/Patrick Lux

Wien/Stockholm - "Es müssen dringend Maßnahmen gesetzt werden, um das Auseinanderdriften der einheimischen und zugewanderten Bevölkerung EU-weit zu stoppen", sagt Morten Kjaerum. Denn das Ausmaß, in dem sogenannte Fremde von Diskriminierungserfahrungen in den Aufnahmegesellschaften betroffen seien, werde in der gesamten EU systematisch unterschätzt.

95 Prozent der Übergriffe werden nicht gemeldet

"Ein Großteil der Benachteiligungen und Übergriffe wird weder der Polizei noch den Gleichbehandlungsbehörden gemeldet", sagt der Leiter der in Wien angesiedelten EU-Grundrechtsagentur (FRA) im Gespräch mit dem Standard. Bei den türkischen Einwanderern in Österreich etwa liege die Nichtmeldungsrate bei 95 Prozent. Umgekehrt betrachtet bedeutet das, dass nur fünf Prozent aller Diskriminierungserfahrungen offiziell als solche wahrgenommen würden - von der Anpöbelei über Nachteile in der Schule oder bei der Arbeit hin zu körperlichen Angriffen.

EU-weite Befragung von Einwanderern

Die Basis von Kjaerums Aussagen ist solide. Am Mittwoch stellte die EU-Grundrechtsagentur in Stockholm den vollständigen "Discrimination Survey", den Bericht der ersten repräsentativen und EU-weiten Befragung von Einwanderern und Angehörigen ethnischer und nationaler Minderheiten über deren Diskriminierungserfahrungen, vor. Teile des Berichts, etwa über die Roma und Muslime in der EU, waren im heurigen Jahr schon vorab präsentiert worden. Blickwinkel, Methodik und Ergebnisse des Surveys seien "derart neu und überraschend, dass US-Behörden Interesse daran bekundet haben", schildert Kjaerum. Im März werde daher eine Abordnung des US-Census Bureau bei der FRA in Wien erwartet.

Nur Einwanderer aus der Türkei und Ex-Jugoslawien einbezogen

Insgesamt wurden für den Survey im Jahr 2008 23.500 Menschen über 16 Jahren in der gesamten EU von Mitarbeitern des Meinungsforschungsinstitutes Gallup interviewt. Um in die Studie aufgenommen zu werden, musste jede Minderheit mindestens fünf Prozent der Gesamtbevölkerung im jeweiligen Staat stellen. In Österreich waren aus diesem Grund nur Einwanderer aus der Türkei und Ex-Jugoslawien sowie ihre Nachfahren in die Befragung einbezogen, die einheimischen Roma, Slowenen oder auch afrikanischen Einwanderer nicht.

Top Ten der diskriminierten Minderheiten

Unter den Top Ten der EU-weit diskriminierten Minderheiten befinden sich die in Österreich Befragten eindeutig nicht. Als in besonderem Maß Drangsalierungen ausgesetzt stellten sich vielmehr die Roma in Tschechien heraus: 64 Prozent von ihnen berichteten von Benachteiligungen oder Übergriffen im Jahr davor. Ähnlich bedenklich (mit 63 Prozent Übergriffserfahrungen) ist die Lage der Afrikaner auf der Insel Malta, wo viele Bootsflüchtlinge stranden - aber etwa auch jene der Roma in Ungarn (62 Prozent) oder der Nordafrikaner in Italien (52 Prozent).

Geringe Bildung in Österreich

Durchaus gesellschaftlichen Sprengstoff birgt laut Kjaerum in Österreich hingegen "der Zusammenhang zwischen geringer Bildung und schlechten Jobs von Migranten". Tatsächlich stellten sich die hiesigen Angehörigen sowohl der türkischen als auch der exjugoslawischen Community als jene mit den EU-weit niedrigsten Bildungsgraden heraus: Nur fünf Prozent der Türken gab ab, 14 Jahre oder länger in Schule und Ausbildung verbracht zu haben.

Und: Die österreichischen Türken haben EU-weit die größten Schwierigkeiten mit der Landessprache. Nur 53 Prozent gaben an, fließend Deutsch zu beherrschen.(Irene Brickner, DER STANDARD Printausgabe 10.12.2009)