Michael Spindelegger (ÖVP), geboren 1959, seit Dezember 2008 Außenminister und seit 2009 Chef des Arbeiter- und Angestelltenbundes ÖAAB. Zuvor war er Zweiter Präsident des Nationalrates.

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Er hofft, dass Kanzler Faymann sich an EU-Vereinbarungen hält. Mit ihm sprach Thomas Mayer.

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STANDARD: Beim EU-Gipfel wird erstmals der neue EU-Vertrag von Lissabon angewendet. Erstmals sind die Außenminister nicht dabei. Was bedeutet das für die Vertretung der österreichischen EU-Politik?

Spindelegger: Dass nur der Bundeskanzler teilnimmt, und nicht der Außenminister, der auch eine andere Partei repräsentiert, ist neu. Aber nicht von vornherein etwas, woran man sich nicht gewöhnen kann. Ich sehe es konkret als einen Versuchsballon, von dem nicht klar ist, ob das von Dauer sein wird. Es gibt eine Fülle von Stimmen in den Mitgliedstaaten, die meinen, das das der falsche Ansatz ist. Das ist auch durch den Vertrag nicht automatisch so festgelegt.

STANDARD: In vielen Staaten ist das deshalb kein Problem, weil der Premierminister ohnehin der Chef ist und der Außenminister sein ausführendes Organ, den er jederzeit per Weisung zu etwas zwingen kann. Oft sind die auch von derselben Partei. Bei uns haben die großen Koalitionspartner oft gestritten.

Spindelegger: Das spielt eine Rolle. Aber im Vorfeld haben immerhin zwei Drittel der Staaten die Kritik geteilt. Letztlich es ist mehr als das. Es gibt ein EU-Prinzip, das besagt, dass diejenigen, die ein Treffen vorbereitet haben auch daran teilnehmen, um eben über alles Bescheid zu wissen, was vordiskutiert wurde. So wie der Botschafter mit dem Außenminister im Rat sitzt, so sollte auch der Außenminister mit dem Bundeskanzler beim Europäischen Rat sitzen. Das hat eine Logik, die weit über das hinausgeht, was Befindlichkeiten oder Eitelkeiten betrifft.

STANDARD: Wo ist das Konfliktpotential. Sehen Sie die Gefahr, dass der Kanzler die Europaebene sozusagen missbrauchen könnte um Politik nur in seinem Sinne zu machen, nämlich als Sozialdemokrat, an der ÖVP vorbei?

Spindelegger: Das ist alles eine Frage der internen Abstimmung. Ich gehe davon aus, dass wir das wie bisher machen und die wesentlichen Fragen miteinander abstimmen. Ich sehe da pragmatisch keine Probleme.

STANDARD:Wäre es ein Vorteil, wenn der Außenminister von derselben Partei ist wie der Kanzler?

Spindelegger: Ganz egal, von welcher Partei er ist, die Frage ist, was tut man für Österreich? Und wie versucht man diesen Standpunkt nach außen zu vertreten? Da gibt es immer verschiedene Facetten, auch innerhalb einer Partei. Es ist notwendig, dass man sich darauf einigt, was die österreichische Linie ist. Dafür ist eine gute Vorbereitung nötig.

STANDARD: Das Überraschende ist, dass die Regierungen jetzt überrascht sind. Das steht ja so seit Jahren im Lissabon-Vertrag.

Spindelegger: Der Vertrag besagt, dass es im Ermessen der Regierungschefs ist, wen sie beiziehen. Aber viele sind davon ausgegangen, dass es selbstverständlich so bleibt, dass die Außenminister dabei sind, weil es eine bewährte Art der Zusammenarbeit ist.

STANDARD: Aber die Idee war doch offenbar eine Präsidialisierung der Europapolitik. Bisher wurde die Politik in der EU sehr stark von den Fachleuten, von den Ministerien, insbesondere den Außenämtern bestimmt. Jetzt drängen sich die Regierungschefs in alle Fragen, auch operativ, hinein. Das war ja vor zehn Jahren so angedacht. Und sie stellen dann natürlich die Weichen, das ist ja nicht von der Hand zu weisen.

Spindelegger: Auf der anderen Seite dürfen das keine einsamen Entscheidungen sein, die von den Staats- und Regierungschefs getroffen werden. Das muss ja aus den Staaten heraus kommen, innerstaatlich politisch akkordiert sein, was da an Argumentation nach Brüssel getragen. Wir werden sehen, ob sich das neue System bewährt.

STANDARD: In der österreichischen Regierung hat es in der Europapolitik immer Streit gegeben

Spindelegger: Was sich ändert ist, dass die Dinge vorverlagert werden. Was beim EU-Gipfel vertreten wird, muss dann eben abgestimmt werden, ob per SMS oder per Telefon. Entscheidend ist, dass man an einem Strang zieht.

STANDARD: Befürchten Sie eine Premierministerisierung der österreichischen Europapolitik durch Werner Faymann?

Spindelegger: Nein, das glaube ich nicht. Das liegt nicht in seiner Absicht, und in meiner schon gar nicht.

STANDARD: Gibt es da Vorstellungen, wie man das in neue Formen gießt?

Spindelegger: Nein, noch nicht, weil es für uns doch überraschend war, dass man dieses Procedere jetzt schon anwendet. So ist zum Beispiel der Außenministerrat zur Gipfelvorbereitung noch nach dem alten Procedere abgelaufen, mit der schwedischen Präsidentschaft im Vorsitz. Auch da hätte man streng genommen, die neue Vorsitzführung anwenden können.

STANDARD: Was wird der Effekt sein im Ratsaal, wenn da nur noch einer pro Land, der Regierungschef, im Saal sitzt. Was ist, wenn der mal kurz raus muss?

Spindelegger: Das wäre niemand anzuraten. Gerade in dieser Zeitphase könnte nämlich eine Entscheidung anstehen, oder eine neue Diskussion beginnen, wo man dann nicht in der Lage ist, seinen eigenen Standpunkt zu vertreten. Man muss künftig Sitzfleisch bewahren.

STANDARD: Und die Kapazität von zwei aufbringen.
Spindelegger: Let's wait and see, warten wir ab, ob es so bleibt.

STANDARD: Es gibt auch noch die Neuerung, dass es eine deutlich aufgewertete EU-Außenministerin gibt. Die soll in der Welt umherfahren, die Iran-Krise verhandeln, gleichzeitig die Ratssitzungen leiten, als Vizepräsidentin in der Kommission arbeiten, den künftigen diplomatischen Dienst mit 8000 Beamten leiten, um nur die wichtigsten Funktionen zu nennen. Ist das nicht eine Fehlkonstruktion von vornherein?

Spindelegger: Auch das muss sich schrittweise herausbilden, auch wie man das rein zeitlich unter einen Hut bringt. Eine Richtung wird sein, dass man stärker Vertreter einsetzt, etwa einzelne Außenminister von EU-Staaten. Ashton wird sich auf mehrere abstützen müssen.

STANDARD: Sie wird also Vertreter um die Welt schicken.

Spindelegger: Es ist etwa denkbar, dass eine Gruppe von Außenministern sich um die Erarbeitung einer Problemlösung kümmert und dann im Ministerrat Bericht erstattet.

STANDARD: Hat Sie bereits Konkretes vorgeschlagen.

Spindelegger: Nein, sie hat gesagt, dass sie jetzt erst sechs Tage im Amt ist. Aber sie hat angedeutet, dass sie die Erfahrung der Außenminister der Union auch nützen möchte.

STANDARD: Nun kommt auch der ständige Präsident Van Rompuy dazu, der die Union ebenfalls nach außen vertritt. Ist besprochen, welchen Part er spielt?

Spindelegger: Auch das wird sich erst herausbilden müssen. Ich nehme an, er wird sich sehr rasch mit Ashton abstimmen, was sie wahrnimmt und was er. Aber vom Vertrag her ist klar, dass sie in erster Linie den operativen Teil abzudecken hat.

STANDARD: Er ist vor allem Repräsentant, so wie bei uns der Bundespräsident, formell für die Außenvertretung zuständig, aber nicht operativ.

Spindelegger: Stimmt. Unter dem neuen EU-Vertrag ist es notwendig, das im Detail abzustimmen.

STANDARD: welche Rolle spielt dabei das Parlament?

Spindelegger: Es wird sich seiner neuen Befugnisse sehr rasch bewusst werden. Was wir auch nicht unterschätzen dürfen, sind die nationalen Parlamente. Die werden ihre Rolle sicher viel stärker wahrnehmen als bisher. Man hat sich also auf neue starke Mitspieler einzustellen. Da gilt es starke Kontakte aufzubauen und da und dort Informationsdefizite abzudecken.

STANDARD: Wie genau soll das gehen, im Vertrag ist das nicht beschrieben.

Spindelegger: Das stimmt. Das österreichische Parlament hat dazu aber schon einiges an Vorarbeit geleistet. Wenn ein Vorschlag der EU-Kommission in irgendeiner Weise die Subsidiarität, die Mitsprache der Staaten, angesprochen hat, dann hat sich schon bisher der zuständige Ausschuss im Parlament damit beschäftigt. Jetzt gilt es, mit anderen Parlamenten ein Netzwerk zu bilden. Man wird auch eine Arbeitsteilung brauchen, denn es kann nicht jeder alles gleichzeitig bearbeiten oder beurteilen. Dazu wird es einen dichten Informationsaustausch geben müssen.

STANDARD: Das Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages scheint die nächste EU-Erweiterung anzuschieben, geht das jetzt schneller?

Spindelegger: Eines kann man sagen: Man hat jetzt die Hände frei für die Erweiterung, muss sich nicht ständig damit beschäftigen, was man macht, falls der Vertrag nicht kommt. Jetzt geht es wieder darum, die Union nach außen stärker zu forcieren. Daher ist die Erweiterung ein besonderes Thema. Das Jahr 2010 kann ein Jahr werden, wo man sich mit dem Westbalkan besonders auseinandersetzt.

STANDARD: Was heißt das für Österreich?

Spindelegger: Für uns ist die Balkanregion besonders wichtig. Es gibt den historischen Konnex, es ist das die Nachbarschaft vor der Haustür. Auch aus ökonomischen Gründen ist es sehr wichtig, dass wir in der Union der Anwalt für diese Region sind. Wir werden unsere bilateralen Beziehungen verstärken, damit wir von der entstehenden europäischen Dynamik profitieren können.

STANDARD: Gibt es da spezielle Projekte?

Spindelegger: Die gibt es. So habe ich beispielsweise gemeinsam mit dem griechischen Außenminister eine „Balkan-Partnerschaft" in Planung. Wir werden uns beide gemeinsam für den Balkan einsetzen und versuchen, die Dinge voranzutreiben.

STANDARD: Was ist konkret bei der Erweiterung in den Westbalkan zu erwarten? Zum Beispiel Schlagzeilen, dass sich Flutwellen von Bürgern aus Ex-Jugoslawien nach Österreich bewegen?

Spindelegger: Mag sein, dass es diese Besorgnis gibt. Die getroffenen Maßnahmen sprechen aber absolut dagegen. Die Visa-Liberalisierung mit drei Ländern, Serbien, Montenegro und Mazedonien, führen wir nur deshalb durch, da von ihnen strenge Sicherheitsgarantien umgesetzt wurden. Zum Beispiel, dass dort nur Reisepässe mit biometrischen Daten ausgegeben werden. Das gab es bisher nicht. Das heißt, das Sicherheitsniveau wird angehoben. Ich sehe nicht die Gefahr, dass jetzt mehr Kriminalität zu uns kommt. Verbrecher werden durch Visazwang nicht abgehalten.

STANDARD: Das klingt ja fast nach mehr Sicherheit.

Spindelegger: Es gibt einen klaren Vorteil. Diese Länder werden dadurch sogenannte sichere Drittländer. Da gibt es dann gar keine Diskussion , wenn jemand aus diesen Ländern zu uns kommt und um Asyl ansucht. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch mehr Information und Aufklärung. Es geht ja nicht darum, dass alle Länder dieser Region jetzt auf einmal der EU beitreten. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2009)