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Mit 150 km/h schoss die nahezu tausendfache Wassermenge des Amazonas einst ins leere Becken des Mittelmeers, das binnen weniger Monate voll war.

Foto: AP Photo/NOAA/orbimage

Vor etwas mehr als fünf Millionen Jahren sah es da, wo sich heute das Mittelmeer befindet, ziemlich anders aus. Etwas mehr als 300.000 Jahre zuvor war in der Gegend des heutigen Gibraltar bzw. Tanger zwischen Afrika und Europa eine schmale Landbrücke entstanden. Die logische Folge: Das vom Atlantik abgetrennte Meer trocknete fast zur Gänze aus.

Bis über 3000 Meter Dicke verkrustete sich die Schicht des Salzgesteins in den tiefsten Talsohlen des verdampften, toten Meeres. Von der Rhônemündung sackte das Terrain mehr als 1000 Meter ab, von jener des Nils gar mehr als 2500 Meter (der STANDARD berichtete).

Dann aber, vor 5,33 Millionen Jahren, passierte es: Atlantische Wassermassen durchbrachen die Felsbarriere bei Gibraltar. Die fast tausendfache Durchflussmenge des Amazonas (150.000 Kubikmeter pro Sekunde) durchströmte die heutige Meerenge, unvorstellbare 100 Millionen Kubikmeter pro Sekunde ergossen sich in ausgetrocknete Meeresbecken.

Als unmittelbare Folge des Paläo-Dammbruchs stieg der Meeresspiegel um mehr als zehn Meter am Tag, wie das Team um den spanischen Geologen Daniel García-Castellanos vom Institut de Ciències de la Terra Jaume Almera (ICTJA) in Barcelona in der neuen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" (Bd. 462, S. 778) errechnete.

Der Durchbruch bei den wissenschaftlichen Recherchen waren seismische Tiefenanalysen sowie die jüngsten Daten der zur Planung des Tunnels zwischen Spanien und Marokko entnommenen Bohrkerne beiderseits der Meerenge. In 250 Meter Tiefe offenbarten sie eine tiefe, enge Furche. Dazu kamen Modelle der Erosion von Gebirgsflüssen.

Ein schmaler Kanal ...

Laut García-Castellanos ist der vor Jahrmillionen gefräste Kanal etwa 200 Kilometer lang, zwischen 300 und 650 Meter tief und hat eine Breite zwischen sechs und elf Kilometern. Der Atlantik-Zustrom arbeitete sich demnach mehr als 0,4 Meter täglich tiefer in das Erdreich. Zum Höhepunkt wurden gar 500 Kubikkilometer Gesteinsmasse in einer Zeitspanne von maximal zwei Jahren abgetragen.

Was insgesamt über einige Jahrtausende gedauert haben mag, gipfelte in einer einzigartigen Sturzflut. Rund 90 Prozent des Meerwassers strömten binnen weniger Monate in das fast leere Becken. "Wenn man die Größe des Kanals kennt, kann man die Fließgeschwindigkeit errechnen", sagt García-Castellanos im Gespräch mit dem Standard. Diese dürfte rund 40 bis 50 Meter pro Sekunde (rund 150 km/h) betragen haben.

Zum Auslöser des epochalen Ereignisses gebe es zwei Thesen, so der Geologe: "Der Anstieg des Meeresspiegels generell oder eine tektonische Aktivität, die das Absinken der Landbrücke bewirkte." Jedoch ergoss sich kein tausend Meter hoher Megawasserfall, den der chinesische Geologe Kenneth Jinghwa Hsü anhand der Daten aus Tiefenbohrungen vermutete.

Die Wiedergeburt des Mittelmeeres erfolgte laut García-Castellanos "über eine mehrere Kilometer breite Rampe", auf der sich das Wasser bei einem Gefälle von einem bis vier Prozent seinen Weg in die Salzwüste bahnte.

... mit immensen Wirkungen

Der Effekt auf das damalige Klima sei enorm gewesen, ist García-Castellanos überzeugt. Verglichen mit dem aktuellen Verlust des Aralsees muss die neue Wasserfläche massive Verdunstung bewirkt haben. Ein erdgeschichtlicher Einzelfall, für den es neuer Modelle bedürfe - um zu verstehen, welche Veränderungen ein derart abrupter Wandel auslösen kann. (Jan Marot aus Granada/DER STANDARD, Printausgabe, 10. 12. 2009)