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Foto: STANDARD/APA/AP/Reuters/EPA

Die Regierungschefs haben die Außenminister vor die Tür gesetzt.

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Fast sieben Jahre lang haben die Regierungen der Mitgliedstaaten beinahe sehnsüchtig darauf gewartet, dass ein neuer EU-Vertrag für die seit dem Jahr 2004 von 15 auf 27 Mitglieder kräftig erweiterte Union endlich mehr Effizienz, weniger Leerläufe, mehr kraftvolle Entscheidungen bringen möge. Seit 1. Dezember ist der Vertrag von Lissabon nun in Kraft.

Wenn sich die Staats- und Regierungschefs heute, Donnerstag, in Brüssel zum EU-Gipfel versammeln, dann beginnen die neuen Zeiten dennoch mit ein wenig "Katzenjammer". Denn was ursprünglich als Vereinfachung gedacht war und - nicht zuletzt den fernen Unionsbürgern - mehr Klarheit bringen sollte, erweist sich in der Praxis als schwierig zu handhabender Dschungel an Kompetenzen der einzelnen EU-Institutionen und Funktionen, die sich überschneiden. Gleichzeitig lässt der Vertrag viele Zuständigkeiten einfach offen.

So dürfte die erste Sitzung des "Europäischen Rates", wie das höchste Entscheidungsgremium der Union offiziell heißt, unter den neuen Vertragsbedingungen vor allem einer Frage gewidmet sein: Wie will die Union bei der politischen Entscheidungsfindung in Zukunft vorgehen, wer ist genau wofür zuständig - und wofür auf keinen Fall? Die inhaltlich wichtigen Fragen auf der Tagesordnung, wie der laufende Umweltgipfel in Kopenhagen, der Ausblicke auf die EU-Erweiterung im Jahr 2010 oder die weiteren Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise, könnten dabei in den Hintergrund gedrängt werden.

Dies "ist ein einmaliger Moment in der Geschichte", hatte der schwedische Außenminister Carl Bildt am Dienstagabend in Brüssel mit ein bisschen Wehmut angemerkt, als er auf die Konsequenzen aus den neuen Regeln hinwies: "Dies ist nach Jahrzehnten der letzte Ministerrat, der vom Außenminister eines wechselnden EU-Vorsitzlandes geführt wird", so Bildt quasi in einer Selbsterklärung. In Zukunft gelten ganz andere Spielregel, verwies er auf die neben ihm sitzende neue EU-Außenministerin Catherine Baroness Ashton.

Was er höflich zu erwähnen vergaß war, dass er selbst und seinesgleichen beim anstehenden EU-Gipfel sozusagen gleich das erste "Opfer" sein werde. Denn der schwedische Ratsvorsitz bringt umgehend und rigide zur Anwendung, was der Lissabon-Vertrag ausdrücklich ermöglicht: Dass die 27 Staats- und Regierungschefs gemeinsam mit ihrem neuen ständigen Präsidenten Herman Van Rompuy und Kommissionspräsident José manuel Barroso beschließen, wenn sie mit am Tisch haben wollen oder nicht. Rompuy tritt sein Amt erst am 1. Jänner an, worum er gebeten hatte. Dafür bestimmte der konservative schwedische Premier Fredrik Reinfeldt im Vorgriff, dass die Außenminister zum EU-Gipfel nicht eingeladen werden. Die "Chefs" wollen offenbar ganz unter sich bleiben.

Nach den bisherigen EU-Verträgen sind jahrzehntelang die Außenminister zwingend Teilnehmer an Europäischen Räten gewesen. Somit war, insbesondere in Ländern, in denen mehrere Parteien eine Regierung bilden, für einen politischen Ausgleich gesorgt. Damit ist es jetzt vorläufig vorbei, was bei vielen Ländervertretern für Unmut sorgte (siehe Interview mit Außenminister Spindelegger). Wenn aber die Außenminister nicht teilnehmen, so kommt nicht nur die bisherige Gesamtarchitektur der politischen Willensbildung der Union ins Rutschen. Auch in deren Sachbereich, der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wird damit vieles eher undeutlicher als klarer.

Der Lissabon-Vertrag sieht nämlich nicht nur die Schaffung des ständigen Präsidenten mit Rompuy vor, der die Union rein protokollarisch nach außen vertritt - er ist der Mann, der US-Präsident Obama bei einem Besuch als erster die Hand schüttelt.

Der Vertrag verändert auch vollkommen die Rolle des bisher alle sechs Monate wechselnden EU-Ratsvorsitzes durch die Regierung eines Mitgliedslandes. Nach Schweden kommt Spanien. Aber noch weiß man nicht, was Premierminister José Luis Zapatero neben Rompuy eigentlich tun soll. Der leitet die EU-Gipfel. Schon gibt es Befürchtungen, dass die Premierminister Richtung Ministerrat "ausweichen" und dort die Außenminister verdrängen.

Die haben es auch nicht einfach: Denn um die Außenpolitik kümmert sich die neue starke Person der EU: Catherine Ashton. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, Printausgabe, 10.12.2009)