Das N900 bietet eine vollständige QWERTZ-Tastatur.

Foto: Nokia

Im Dashboard werden alle offenen Anwendungen angezeigt.

Foto: Nokia

Das Menü ist besonders übersichtlich und einfach gestaltet

Screenshot: Birgit Riegler

Auf den vier Homescreens lassen sich App-Icons, Widgets und Shortcuts ablegen

Screenshot: Birgit Riegler

Neben dem Maemo-Browser steht auch Firefox Mobile zur Verfügung

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Über die Status-Leiste hat man Zugriff auch zentrale Informationen und Einstellungen (die beiden unteren Icons für Screenshots und Screencasts können mit der Anwendung Load-applet hinzugefügt werden)

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Bislang hatte der finnische Handy-Hersteller Nokia dem iPhone kaum etwas entgegen zu setzen. Das N97 war im Sommer als Flaggschiff angetreten, doch der veraltete Symbian-Unterbau ist auf viel Kritik gestoßen. Mit dem N900 setzt Nokia nun auf die Linux-Variante Maemo, die man bereits jahrelang für Internet Tablets entwickelt und nun auf Smartphones ausgedehnt hat. Das N900 macht damit einen vielversprechenden Anfang. Vor Nokia liegt aber noch ein weiterer Weg, der sich möglicherweise als zu lang herausstellen könnte, um sinkende Marktanteile abfangen zu können.

Üppige Hardware

Als erstes fällt beim N900 die gelungene Verarbeitung auf. Das Gerät ist mit Abmessungen von 110,9 x 59,8 x 18 Millimetern und einem Gewicht von 181 Gramm (inklusive Akku) zwar alles andere als ein Leichtgewicht, das Gehäuse ist jedoch robust und sehr gut verarbeitet. Das simple und unverspielte Design erinnert stark an HTCs erstes Android-Handy Dream (T-Mobile G1). Hinter dem aufschiebbaren Touchscreen verbirgt sich eine QWERTZ-Tastatur. Kleines Manko: dem Keyboard wurde relativ wenig Platz eingeräumt, sodass man beim Tippen mit den Fingerkuppen teilweise die Nachbartasten erwischt. Mit etwas Fingernageleinsatz klappt aber auch das Tippen längerer E-Mails wunderbar.

Resistiver Touchscreen

Leider hat Nokia noch immer keinen kapazitiven Touchscreen wie der des iPhones verbaut, der eine sehr flüssige Bedienung ermöglicht. Das N900 verfügt über einen resistiven Screen, der einen gewissen Druck für Eingaben benötigt. Im Vergleich zum ebenfalls resistiven Screen des N97 ist der Bildschirm des N900 jedoch weiter entwickelt. Scrollen mit dem Finger funktioniert sanfter. Nur im Randbereich kommt es manchmal dazu, dass Eingaben nicht erkannt werden. Zur Sicherheit hat Nokia jedenfalls einen Stift mitgeliefert, der im Gerät steckt. Das 3,5 Zoll große Display bietet eine Auflösung von 800 x 480 Pixel und stellt Farben leuchtend und lebendig dar. Die Helligkeit kann in mehreren Stufen angepasst werden, jedoch wird man meist die höchste Stufe benötigen, da die anderen Einstellungen relativ dunkel sind.

Maemo5

Softwareseitig bildet Maemo5 die Grundlage des N900, und damit die neueste Generation der eigenen mobilen Linux-Variante von Nokia. Sein Debüt hat Maemo bei den Internet Tablets (N770, N800, N810) des Unternehmens gegeben, nun wird das Ganze aber erstmals für ein Smartphone genutzt. Im Gegensatz zu anderen mobilen Linux-Varianten, wie etwa Android, das nur mehr rudimentär etwas mit seiner Herkunft zu tun hat, nutzt Maemo zahlreiche Komponenten, die auch aus dem Desktop-Umfeld bekannt sind. Dazu gehören etwa das Multimedia-Framework GStreamer, das Kommunikationssystem Telepathy oder die Desktop-Suche Tracker. Als Basis dient die Debian-Distribution, wie sie etwa auch Ubuntu nutzt.

Ohne Jailbreak 

Kein Wunder also, dass sich schon die vorangegangenen Internet Tablets bei Linux-EntwicklerInnen großer Beliebtheit erfreut haben, das N900 ist aus dieser Perspektive betrachtet ebenfalls wieder ein äußerst verlockender Mini-Computer. Nokia ist sich dessen wohl durchaus bewusst, und bemüht sich seine Geräte möglichst einfach "hackbar" zu machen. "Jailbreaks" oder ähnliche Tricks sind hier schlicht unnötig - das N900 erlaubt relativ einfach den Zugriff auf das gesamte System.

Neue Version 2010

Nicht verschwiegen sei allerdings dass Maemo5 nur einen Zwischenschritt darstellt, schon im Herbst 2010 soll Maemo6 kommen - und aus Entwicklungssicht einen entscheidenden Wechsel vollziehen. Statt des bisher bei Maemo eingesetzten GTK+ wird dann das zwischenzeitlich von Nokia gekaufte Qt als grafisches Toolkit zum Einsatz kommen. Da Nokia offenbar kein zweites Gerät mit Maemo5 mehr plant, ist also eher fraglich ob sich hier ein wirklich relevantes Software-Ökosystem etablieren kann, oder das N900 seinen primären Einsatz als Entwicklungplattform für Maemo6 erfahren wird.

Benutzeroberfläche

Die Benutzeroberfläche von Maemo5 ist bereits sehr gut gelungen. Insgesamt stehen vier Homescreens zur Verfügung, auf denen Apps, Widgets und Shortcuts abgelegt werden können. Durch Druck auf den Homescreen erscheint am oberen Bildschirmrand ein Icon für weitere Einstellungen. Darüber können Shortcuts, Lesezeichen, Kontakte und Widgets hinzugefügt oder gelöscht werden, sowie Hintergrund und Themen verändert werden. Über ein Icon links oben (in Form von sechs Kästchen) gelangt man ins Menü. Dieses hat Nokia meisterhaft einfach gehalten. Das Menü beinhaltet die wichtigsten Anwendungen Internet (der Maemo-eigene Browser auf Mozilla-Basis), Mediaplayer, Kalender, Fotos, Kontakte, Telefon, Karten, Kamera, E-Mail, Gespräche (SMS und Chats), Uhr, Rechner, den Ovi Store und Einstellungen. Weitere Anwendungen und Spiele, die man selbst auf dem Gerät installieren kann, werden unter "Mehr" gelistet. Und das war's auch schon - simpel und übersichtlich wie es bei anderen Betriebssystemen wie Symbian oder Windows Mobile noch vermisst wird.

Warten auf den Ovi Store

Anwendungen können über den Store Maemo Select und über den Programmmanager aus dem Internet heruntergeladen und installiert werden. Über den Programmmanager können die Anwendungen auch deinstalliert und aktualisiert werden. Nokias eigener App Store Ovi wurde für die Plattform leider noch nicht geöffnet. Zum Start des N900 am österreichischen Markt hieß es nur, dass man den Shop "bald" auch für Maemo5 verfügbar machen wolle. Über Maemo Select findet man Apps und Widgets aus dem Ovi Store und von der Maemo-Community. Wieso Nokia seinen Programm-Shop Ovi nicht gleich auf dem Gerät zur Verfügung stellt, ist unklar. Die Anzahl nachladbarer Programme ist noch relativ begrenzt. Und da das N900 das einzige Maemo5-Gerät bleiben soll, ist fraglich ob Entwickler hier noch viel mehr nachliefern werden.

Gewöhnungsbedürftige Bedienung

Mit der simplen Menüstruktur findet man sich auf dem Gerät sehr schnell zurecht. Etwas Flexibilität verlangt das Gerät dem Benutzer jedoch bei der Bedienung ab. Denn um von einer unteren Menüebene einen Schritt zurückzugelangen gibt es keinen eigenen Zurück-Button, stattdessen muss man in den Randbereich des Displays klicken. Anwendungen werden normal über x-Buttons geschlossen. Dank des 600-MHz-Prozessors ARM Cortex-A8 und bis zu 1 GB Speicher für Anwendungen (256 MB Arbeitsspeicher) funktioniert Multitasking tadellos. Aus einer Anwendung gelangt man mit einem Klick auf das Menü-Icons links oben zu einer Übersicht aller geöffneten Programme. Auch über zehn geöffnete Apps machen dem Gerät keine Probleme.

Fehlende Hardware-Steuerung

Die Bedienung funktioniert fast ausschließlich über den Touchscreen. Eine Zurück- oder Menütaste gibt es nicht, was in einigen Anwendungen deutlich abgeht. Hardware-Buttons wurden nur zum Ein- und Ausschalten, für die Lautstärkeregelung und als Kamera-Auslöser verbaut. Etwas unpraktisch ist zudem, dass sich die Buttons auf der Geräteseite befinden, die bei aufgeschobener Tastatur hinter dem Display verschwindet. Systeminformationen wie WLAN-Verbindungen, Bluetoothverfügbarkeit und Akkuladestand werden am Display links neben Menü-Icon und Uhrzeit angezeigt - mit einem Klick darauf können Einstellungen direkt vorgenommen werden - um etwa die WLAN-Verbindung zu trennen.

Gerät einrichten

Sehr positiv fällt das Einrichten von Instant Messaging- oder E-Mail-Konten auf. Hier kann man aus einer Liste verfügbarer Anbieter wählen - beispielsweise Nokias Ovi-Dienst, Skype, Google Talk und Jabber bzw. Exchange und verschiedene Mail-Provider. Mit dieser Auswahl werden die richtigen Einstellungen übernommen, der Nutzer muss nur seinen Usernamen und Passwort eingeben - bei Bedarf können weitere Einstellungen natürlich selbst vorgenommen werden. Nicht aufgeführte Mail-Provider können selbst eingegeben werden. Das Nokia-Gerät unterstützt die E-Mail-Protokolle MS Exchange, IMAP, POP3 und SMTP. In der "Gespräche"-App werden alle Konversationen über SMS und Instant Messenger nach Google-Art chronologisch gelistet. In der Kontakte-Anwendungen werden Infos der Accounts übernommen, beispielsweise die Skype-Verfügbarkeit. MMS unterstützt das Gerät nicht.

Browser

Neben dem Maemo-eigenen Browser steht auch eine mobile Version von Firefox zur Verfügung, die statt Fennec den Namen Firefox Mobile trägt. Der Browser fällt durch seine innovative Benutzeroberfläche auf - Einstellungen und Funktionsbuttons befinden sich platzsparend links bzw. rechts zum Aufschieben neben dem Browser-Fenster. Am linken Rand werden offene Seiten als Thumbnails angezeigt. Der mobile Browser bringt die bekannte Awesome-Bar, einen Download-Manager und Add-Ons mit. So kann etwa das Synchronisierungsfeatures Weave als Add-On integriert werden. Damit stehen Booksmarks, Verlauf und Logins auf mehreren Computer bzw. auf dem Smartphone zur Verfügung. Dank Flash-Support ist das mobile Surferlebnis damit nahezu perfekt. Allerdings wird Multitouch nicht unterstützt, weshalb das Zoomen von Websites etwas mühsam ausfällt. Über den eigenen Maemo-Browser können Seiten über die Lautstärketasten und Fingerkreisen vergrößert werden, beides funktioniert stufenlos und sehr zuverlässig. Ein negativer Punkt, der vor allem beim Surfen auf langen Seiten auffällt: in den meisten Anwendungen wird nur die Landscape-Ansicht unterstützt. Nokia hat jedoch versprochen, in Kürze ein Update zu liefern, das den Portrait-Modus in mehreren Anwendungen ermöglicht.

Kamera

Das N900 verfügt auch über eine gute Kamera mit 5-Megapixel-Auflösung mit Optik von Carl Zeiss. Pluspunkte gibt es für den Autofokus, die Schiebeabdeckung der Linse, mehrere Kamera-Modi (Marko, Landschaft, Action, Hochformat und Automatisch), einstellbaren Weißabgleich, Belichtungsregler und einstellbare ISO-Empfindlichkeit. Allerdings hat Nokia keinen Xenon-Blitz, sondern nur zwei LED-Lichter integriert. Fotos können zudem mit Schlagworten versehen werden. Auch Geotagging wird unterstützt. Videos werden mit bis zu 800 x 480 Pixeln und 25 Frames pro Sekunde aufgezeichnet. An der Forderseite sitzt eine zweite Kamera mit VGA-Auflösung.

Weitere Ausstattung

An der weiteren Ausstattung ist nichts zu bemängeln. Für Fotos, Musik und Videos stehen 32 GB interner Speicher zur Verfügung, der sich microSD-Karten nochmals erweitern lässt. Das Quadband-Handy für GSM- und EDGE-Netze unterstützt flottes HSPA mit 10 MBit/s im Download und 2 MBit/s im Upload. Zur weiteren Ausstattung gehören WLAN, UKW-Radio GPS, Bluetooth 2.1, TV-Ausgang, 3,5-mm-Anschluss sowie ein microUSB-Anschluss. Etwas schwach auf der Brust ist der 1320 mAH-Akku. Bei intensiver Nutzung muss das Gerät nach ein bis zwei Tagen wieder aufgeladen werden. Die Sprechzeit für GSM soll neun Stunden, für 3G fünf Stunden betragen.

Zu spät dran?

Teilweise erinnert das N900 eher an die ersten Android-Geräte, mit Ausnahme von Prozessor und Kamera. Mit Maemo5 bietet das Gerät zwar eine vielversprechende Plattform, allerdings wird das N900 vermutlich das einzige Gerät dafür bleiben. 2010 soll voraussichtlich nur ein weiteres Maemo-Smartphone veröffentlicht werden, dann aber mit Version 6. Die Hardware weiß zu überzeugen, beim Touchscreen hinkt Nokia aber immer noch hinter der Konkurrenz hinterher. Wenn Nokia erst im kommenden Jahr einen Nachfolger bringt, hat der Mitbewerb bereits zahlreiche weitere Smartphones nachgeschoben. Unverständlich ist auch der hohe Preis des Geräts, das in Österreich bei A1 je nach gewähltem Tarif zwischen 299 und 469 für Neukunden erhältlich ist. Ohne Vertrag kostet es 619 Euro. Es könnte sein, dass das N900 ein Nischendasein als Geek-Tool und Entwicklerhandy fristen wird, anstatt am Massenmarkt durchzustarten. (Birgit Riegler/Andreas Proschofsky, derStandard.at 20. Dezember 2009)