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Barbara Musil auf Durchreise in Wien: das gemeinschaftlich genutzte Atelier muss sie zwar aufgeben, ein neuer Mietvertrag ist aber bereits unterschrieben.

 

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Die Arbeit vicinity inc. (2009/2010) entsteht in Istanbul aus dem persönlichen Bedürfnis der Verortung in der Fremde - unpolitisch ist sie dennoch nicht.

 

Foto: Barbara Musil
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In Reality Check (2010) stülpen Barbara Musil und Astrid Hager das Innenleben öffentlicher Gebäude nach Außen: Zwischen Richterzimmer und Teeküche liegt nur ein Raum.

 

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Enttäuschungen ins Positve verkehren: mit Shift Expectations (2005) zeichnet Barbara Musil die Mechanismen des Kunstbetriebs anhand von Absageschreiben nach.

 

Links:
Barbara Musil (bei basis wien)
Videos von Barbara Musil bei filmvideo.at

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Noch sind Schreibtische und Computer installiert, Barbara Musil muss ihr Atelier aber aufgeben. Der gemeinschaftlich genutzte Arbeitsraum befindet sich im Erdgeschoß eines Hauses, das verkauft wurde: hier ein paar Kartonschachteln, dort eine nicht mehr ganz so weiße Wand. Zwei Wochen ist noch Zeit, um vom fünften in den zweiten Wiener Gemeindebezirk zu übersiedeln. Der Mietvertrag für das neue Atelier ist bereits unterschrieben. "Wir werden den Ofen vermissen", sagt die Künstlerin, die nach zahlreichen Auslandsaufenthalten an ein nomadisches Leben gewöhnt zu sein scheint.

Im Moment befindet sich Barbara Musil wieder einmal auf Durchreise in Wien, denn noch bis Anfang 2010 nimmt sie an einem Artist-in-Residency-Programm in Istanbul teil. Die Beschäftigung mit den spezifischen Bedingungen von Orten zieht sich durch ihre Arbeit, wie die Destinationen Cluj, Vilnius oder Tallinn durch ihren Lebenslauf. Dem ständigen Reagieren auf neue Orte und dem Finden relevanter Fragestellungen steht die Absolventin der Klasse für Experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz aber auch kritisch gegenüber. "Wenn man mehrere Jahre lang ortsspezifisch arbeitet, merkt man, dass das pausenlose Reagieren auf jeweils neue lokale Zusammenhänge in Bezug auf die Produktion und die involvierten Abläufe auch etwas Inflationäres bekommt", sagt sie. "Man produziert in gewisser Weise Kunst aus dem Versandhauskatalog und liefert auf Bestellung."

Subjektive Verortungen

Dass in einem begrenzten Zeitraum von meist nur ein paar Monaten komplexe gesellschafts­politische Fragestellungen nicht tiefgreifend erörtert werden können, provozierte bei Barbara Musil zuletzt eine Art Verweigerungsreflex: "Wenn man am jeweiligen Ort der Residency ankommt, stehen automatisch die fünf offensichtlichsten Themen im Raum. Vielleicht erwischt man noch ein sechstes, das bisher noch niemand bearbeitet hat - aber ehrlich gesagt, das ist mir etwas zu oberflächlich und beliebig." Aus dieser Haltung resultiert in Istanbul gerade das Projekt vicinity inc. (2009/2010), für das die Künstlerin Etikettenbänder von Plastikwasserflaschen sammelt. Zu ihrem Material kommt sie teils durch eigenes Leergut, teils sucht sie die Kunststoffbanderolen am Müll, der abends einfach auf den Straßen landet, bis er von Sammlern beseitigt wird.

Getragen vom Bedürfnis, ihre Identität im Ausland zu verorten, collagiert sie die auf den Etiketten befindlichen Symbole von Bergen zu einem großformatigen Bild, das sich langsam in das Bild eines Meeres verwandeln soll. "Ich wollte einmal etwas Kleines, Persönliches, vielleicht für alle anderen Bedeutungsloses machen", sagt Musil, die in vicinity inc. die schneebedeckten österreichischen Berge und die schäumenden Wellen des türkischen Meeres miteinander korrespondieren lässt. "Diese Arbeit ist mir passiert", zeigt sie sich offen, "Auch das Verständnis dieser Arbeit ist mir passiert. Ich sehe mich ja wirklich nicht vorrangig als Person, die aus den Bergen kommt." Trotz der persönlichen Befindlichkeiten, die als Ausgangspunkt für vicinity inc. dienen, geht Musil - vielleicht ungewollt - über die rein subjektive Ebene hinaus. Bei der Verortung ihres Selbst im aktuellen Istanbuler Lebenskontext wirft sie grundsätzliche Fragen auf, die das türkische Alltagsleben betreffen, Fragen etwa nach Wasserversorgung und Müllbeseitigung - also doch wieder eine ortsspezifische Herangehensweise.

Funktionale Erweiterungen

Es sind die jeweiligen ästhetischen Erscheinungsformen, die Barbara Musil immer wieder zur Behandlung gesellschaftspolitischer Themen heranzieht. "Erst wenn man die Form nicht geringschätzt, kann die Kunst ihr Potenzial entfalten", behauptet sie. "Wenn das vordergründig Politische zu stark wird, beraubt sich die Kunst ihrer eigenen Möglichkeiten." In Zusammenarbeit mit der Architektin Astrid Hager setzt sie im Moment das Projekt Reality Check (2010) am Salzburger Rudolfsplatz um. Charakteristikum dieses Kreisverkehrs, der von öffentlichen Justiz- und Polizeigebäuden eingesäumt wird, ist ein alles überspannendes Gewirr aus Elektro- und O-Bus-Leitungen. Etwa in 4 Metern Entfernung von jenen Punkten, an denen die Kabel in den Hauswänden verankert sind, beschreibt ein Schriftzug, was sich am Ansatzpunkt der Leitung hinter der Fassade befindet: ein Richterzimmer, der große Gerichtssaal oder seien es auch nur das Aktenarchiv und die Teeküche. Das Spannseil zu jedem Wort, wird dabei durch eine Ummantelung in eine strichlierte Linie verwandelt und somit zur dreidimensionalen Entsprechung grafischer Bezugslinien, wie sie in technischen und architektonischen Plänen als Beschriftungshilfen üblich sind.

Mit einem Blick hinter die Kulissen und den elektrischen Leitungen als Trägermedium für grafische Repräsentanten fördern die beiden Künstlerinnen die Nutzung der dahinterliegenden Räume zu Tage. Die in mehreren Metern Höhe durch die öffentliche Hand vorgezeichneten Linien erweitern sie funktional, um die strukturgebenden Mechanismen genau dieser öffentlichen Hand zu visualisieren. "Es gibt einfach keinen anderen Ort, wo diese Arbeit installiert werden könnte", sagt Barbara Musil über ihre humorvolle Aneignung des öffentlichen Raums, die Anfang kommendes Jahr fertiggestellt sein wird: "Wer sich an diesen Ort begibt, kann die Situation einfach nicht ignorieren. Das ist ein eigenwilliger und spannender Platz, eine der ganz wenigen urbanen Zonen, die in Salzburg existieren."

Erwartungsvolle Umdeutungen

Die Gegenüberstellung von Innen- und Außenwelt setzt Barbara Musil nicht immer so buchstäblich um wie bei der Arbeit Reality Check. In Shift Expectations (2005) positioniert sich die Künstlerin selbst gleichzeitig innerhalb und außerhalb der Mechanismen des Kunstbetriebs. "Als Künstlerin ist man dauernd mit Absagen und Rückschlägen konfrontiert," erklärt sie, "Frustration ist aber eine schlechte Grundlage, um gute Arbeit zu machen." Um dem entgegenzuwirken hat sie über den Zeitraum von einem Jahr die Frequenz ihrer Einreichungen bei den unterschiedlichsten Wettbewerben um ein Vielfaches erhöht. Ziel war es, einen repräsentativen Prozentsatz an Absageschreiben zu generieren, um diese im Anschluß sowohl qualitativ als auch quantitativ zu analysieren: "Bei diesem Selbstexperiment wurde mir bewusst, dass die gefühlte und die analysierte Realität nicht immer übereinstimmen." Immerhin wurde etwa jede sechste Einreichung akzeptiert.

Die unterschiedlichen Formulierungen der Absageschreiben hat Musil schließlich in einer vierteiligen Videoinstallation verarbeitet. Jeder Brief, jedes 'Leider-Nein' wird von einem Film- oder Fernsehprotagonisten vorgelesen. So verkünden etwa Kaiserin-Mutter aus der Sissi-Trilogie oder der Centurio in Monty Pythons Das Leben des Brian die Hiobsbotschaften genauso wie Heroen aus Mantel- und Degen-Filmen, Micky Maus, Charly Brown oder die Simpson die besten Glückwünsche für den weiteren Lebensweg aussprechen. Musil kehrt den Spieß einfach um. Sie benutzt Festivalleiter, Programmdirektoren und Kuratoren, um Lustgewinn aus einer Situation zu ziehen, die in der Regel Unlust bereitet. Indem sie die Absageschreiben einfach umfunktioniert und ins Positive verkehrt, entzieht sie den Entscheidungsträgern ein Stück ihrer vermeintlichen Macht.

Fassbare Konstruktionen

Barbara Musil arbeitet mit ganz konkreten Fragestellungen ihre Umwelt betreffend, Ausgangspunkt hierfür sind die formalen Bedingungen von Orten, Situationen und Kontexten, sie arbeitet also mit Realitäten. Mehr noch, als diese Wirkichkeiten aber einfach in die Welt hinauszutragen, versucht die Künstlerin die Welt als Entwurf, Modell und Skizze sichtbar zu machen. "Das Begreifen der bestehenden Gegebenheiten als nur eine von vielen Alternativen", sagt sie abschließend, "macht die zahllosen außerdem verfügbaren Möglichkeiten denk- und realisierbar. Alles verliert seine Absolutheit." Ihre konstruktivistischen Erkenntnisse formuliert Musil als Gedankensprünge, die die Welt als das fassbar machen, was sie ist: ein jederzeit veränderbares Regelwerk, kollektives Halluzinieren und letztenendes eine Übereinkunft, in der wir uns alle - mehr oder weniger persönlich - treffen. Gerne, bis zum nächsten Mal! (fair)