Kopenhagen, der 7. Dezember 2009: Der Countdown ist abgelaufen. Jetzt muss sich die Staatengemeinschaft ihrer bisher größten Herausforderung stellen: dem Klimawandel. Was bei dem Gipfel zumindest in Grundstrukturen erreicht werden soll, ist ein globales Abkommen, ein Notfallplan, der die Menschheit vor den verheerenden Folgen der Erderwärmung bewahren soll.

Was blüht, wenn die Staaten weiter große Mengen Treibhausgase in die Luft blasen, trommeln Wissenschafter seit Jahren - allen voran der Weltklimarat IPCC: Hitzewellen und Hungersnöte, Überschwemmungen, Unwetter und Seuchen. Alles in allem eine "Autobahn zur Auslöschung", werde nicht eingelenkt, warnten die Experten. In den ärmsten Staaten verschlimmere der Klimawandel die ohnehin desolate Lage, sagt auch Cheick Sidi Diarra, Untergeneralsekretär der Uno für die am wenigsten entwickelten Länder, dem Standard. Durch den Anstieg des Meeresspiegels seien ganze Inselstaaten vom Untergang bedroht.

Die größere Hürde

Die Hürde von Kopenhagen ist ungleich höher als jene von Kioto, wo sich die Industriestaaten 1997 auf eine Begrenzung ihrer Emissionen einigten. Nun sollen erstmals alle Länder der Welt eingebunden werden, wie in Bali vor zwei Jahren beschlossen. Große Schwellenländer wie China, Indien und Brasilien, alle unter den Top Ten der Klimasünder. Die ärmsten Entwicklungsländer, die kleinsten Inselstaaten. Und vor allem die USA, die Kioto nie ratifiziert haben.

Wer drosselt seine Treibhausgase um wie viel? Wer bezahlt wie viel Geld an wen? - Das sind die Grundfragen, die in Kopenhagen beantwortet werden sollten. Doch "bisher waren die Verhandlungen nicht sehr erfolgreich", sagt ein Uno-Diplomat. Anstatt an einem Strang zu ziehen, haben sich die Staaten so zerstritten, dass das ursprüngliche Ziel von Kopenhagen nicht mehr erreichbar ist: den "Deal zu besiegeln", wie ein UN-Slogan besagt, den die Weltorganisation zum Mantra machte.

Nicht rechtlich verbindlich

Für ein rechtsverbindliches Abkommen sind noch zu viele Eck-daten offen. UN-Klimachef Yvo de Boer hat daher eine "politische Vereinbarung" angekündigt, die Grundsätze festlegen soll. Alles andere soll dann später geklärt und in einen Rechtstext gegossen werden. Vielleicht schon 2010, so hoffen viele und schielen auf Mexiko im Dezember nächsten Jahres.
Immerhin: Die USA haben Zahlen auf den Tisch gelegt, um wie viel sie ihre Emissionen verringern wollen. Auch die Chinesen. "Das hat ein Momentum geschaffen", sagt ein Diplomat. Seither sieht UN-Generalsekretär Ban Ki-moon eine Einigung wieder "in Reichweite".

Und dass US-Präsident Barack Obama, Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao und fast 100 weitere Staats- und Regierungschefs ihr Kommen angekündigt haben, werten Diplomaten als Zeichen, dass der Gipfel trotz allem ein Erfolg werden soll.
Doch gegenseitige Schuldzuweisungen haben eine große Kluft zwischen Nord und Süd gerissen.

In Barcelona vor vier Wochen waren die Gräben so tief, dass die afrikanischen Staaten den Saal verließen: Zu niedrig seien die Emissionsziele der Industriestaaten.
Die Klimamaßnahmen könnten die Wirtschaft bremsen, befürchten Schwellen- und Entwicklungsländer. Sie müssen es besser machen als die Industriestaaten, die den Klimawandel verursacht haben. Das kostet. Alles in allem 500 Milliarden US-Dollar müssten weltweit investiert werden, um die Anpassungen vorzunehmen und schlimmste Szenarien abzuwenden, sagt UN-Untergeneralsekretär Diarra - pro Jahr. Die Schätzungen schwanken. Was der Süden davon braucht, muss auch vom Norden bezahlt werden. Derzeit gibt es viele Vorschläge, aber kein Konzept.

Ein Erfolg in Kopenhagen - das könnte etwa heißen, dass die Staaten das Zwei-Grad-Ziel annehmen. "Wenn man sich darauf einigen kann, ist alles andere Mathematik", sagt ein UN-Diplomat. Nicht mehr als zwei Grad Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter - dafür müssten die Emissionen bis 2050 weltweit halbiert werden. Bis 2020 hieße das für die Industriestaaten ein Minus von 25 bis 40 Prozent, hat der IPCC vorgerechnet. Alles auf Grundlage der Werte von 1990. Doch selbst die EU, die sich als Vorreiter versteht, bietet derzeit 20 Prozent und will nur auf 30 Prozent hinuntergehen, wenn andere Industriestaaten mitziehen. Alle bisherigen Angebote zusammengerechnet, erreichen derzeit etwa 19 Prozent - zu wenig.

In Dänemark hänge alles von der Dynamik der Gespräche ab, sagt ein Diplomat. "Eine provokative Äußerung kann alles zerstören, ein guter Punkt den Durchbruch bringen." Meist entscheidet sich das Wichtigste in der letzten Nacht. Das kann emotional werden, wie auf Bali: Klimachef de Boer lief weinend aus dem Verhandlungssaal. (Julia Raabe, DER STANDARD/ 5. 12. 2009)