Brighton/Colorado - "Da drüben, am Silver Platte River, ist schon der junge Buffalo Bill entlanggeritten", sagt Claudia Ferrell und zeigt in Richtung der endlos weiten Fläche, die sich östlich der Berry Patch Farm bis zum Horizont erstreckt. "Von dem Fluss hängt die Wasserversorgung der gesamten Landwirtschaft hier ab." Nur etwa 25 Zentimeter regne es im Jahr in diesen trockenen Präriegebieten am Fuße der Rocky Mountains, fügt Claudia hinzu.
Trotz des Wassermangels wirkt die Berry Patch Farm in Brighton, unweit von Denver, Colorado, wie eine kleine, fast schon kitschige Oase: Weiße Schaukelstühle auf der Veranda vor dem rot gestrichenem Schuppen, in dem feldfrisches Obst und Gemüse verkauft wird, Kürbisse und Maiskolben als Deko, der Duft von sonnenwarmen Kräutern in der Luft und überall Hühner, die dazwischen herumlaufen.
Das hat einen ungemein beruhigenden Effekt inmitten einer scheinbar planlos zersiedelten Umgebung, in der sich trostlose Konglomerate aus gleichförmigen Fertigteilhäusern aneinanderreihen, deren Mittelpunkt eine Shopping-Mall bildet. Die nostalgische Farm-Idylle schätzen auch die vielen Familien, die auf den Biobauernhof kommen, um selbst Himbeeren, Erdbeeren, Ribisel oder Johannisbeeren zu ernten - und sich von Claudias Idealismus anstecken zu lassen.
Vor 16 Jahren begann die ehemalige Ärztin gemeinsam mit ihrem Mann Tim, die damals heruntergekommene Farm in eine staatlich zertifizierte "organic farm" umzuwandeln, um die lokale Bevölkerung direkt ab Hof bzw. am nahegelegenen Bauernmarkt zu versorgen und den ökologischen Fußabdruck möglichst klein zu halten.
Als Präsidentin der Colorado Organic Producers Association (Copa) setzt sie sich dafür ein, Bauern das Umsteigen auf umweltschonende und ressourcensparende Methoden zu erleichtern - kein leichtes Unterfangen in einem Land, wo Farmen hauptsächlich riesige Industriebetriebe sind, die mit massivem Einsatz von Pestiziden und Gentechnik die Schäden der Monokultur wettzumachen versuchen und Bio trotz großer Wachstumsraten nach wie vor als hippes Nischenprodukt für Wohlstandsverwöhnte abgekanzelt wird.
"Es hat Jahre gedauert, eine Stammkundschaft aufzubauen, aber es werden immer mehr, die aktiv nach lokalen Bio-Produkten suchen", sagt Claudia, während sie einen picksüßen, patzigen Kürbiskuchen auf Papptellern serviert - natürlich selbst gebacken. Ihre 72 Jahre nimmt man ihr kaum ab, so jugendlich strahlt sie mit ihrer wilden Haarpracht, dem gewinnenden Lächeln und dem schlabbernden Wollpulli.
"Biologischer Anbau ist der Schlüssel zu Nachhaltigkeit", sagt Claudias Freundin und Copa-Sekretärin Elaine Granata mit Nachdruck. "Trotzdem ist im Staat Colorado niemand für biologischen Landbau zuständig. Heuer wurde zum ersten Mal Geld dafür gewidmet, um Forschung auf diesem Gebiet zu fördern." Mittlerweile gebe es in Colorado rund 180 zertifizierte Bio-Bauern, etwa ein Drittel gehört der Copa an. Von Agrarsubventionen wie in Europa können die amerikanischen "organic farmers" nur träumen - man vertraut auf den freien Markt.
Elaine Granata begann 2002 eine geleaste Farm ganz in der Nähe zu bewirtschaften, dann verlor sie das Land und verlegte die Landwirtschaft kurzerhand in die Stadt, nach Denver. Dort pflanzt sie gemeinsam mit elf Teilhabern Gemüse auf Dächern, in Hinterhöfen und auf Baulücken. Community Supported Agriculture (CSA) nennt sich das trendige Konzept, bei dem sich Hobbybauern zu Selbstversorgerkooperativen zusammenschließen. Für einen Jahresbeitrag bekommt jeder ein Stück Feld oder regelmäßig eine Kiste Gemüse. Geteilt wird aber auch das Risiko bei einem Ernteausfall.
Tote Äcker und Wassermangel
"Langsam wacht die Öffentlichkeit auf", meint Elaine. "Mittlerweile gibt es mehr Nachfrage als Angebot an CSAs." Jetzt müssten auch die Großfarmen umdenken: "Tausende Quadratkilometer Boden sind einfach tot." Das Argument, dass Bio-Anbau die Welt nicht ernähren könne, lässt sie nicht gelten: "Mit Bio-Düngern und neuen Technologien könnte man die Erträge einiger Pflanzen sogar erhöhen. Es will nur niemand das Risiko eingehen, Zeit und Geld zu investieren."
Claudia Ferrell und ihr Mann haben viel in ihre 16-Hektar-Farm investiert - zum Beispiel in ein unterirdisches Bewässerungssystem, das unter den mit handgeschriebenen Schildern versehenen Reihen von Melonen, Bohnen, Tomatillos und allerlei exotischen Paprikasorten verläuft. Das spart Wasser und schützt zugleich gegen Unkraut.
"Der Preis für Wasseranteile hat sich in den letzten zehn Jahren verzehnfacht", beteuert die autodidaktische Bäuerin. Die Rechte, das Wasser der Flüsse zu nutzen, liegen in Colorado zu einem überwiegenden Teil in privaten Händen bzw. werden von Firmen gehandelt. "Derzeit mieten wir Wasser", schildert Claudia. "Wenn nicht bald einer der angrenzenden Bauern stirbt und seine Anteile verkauft, bekommen wir wirklich ein Problem." Ihre Probleme haben viele Kleinbauern in der Umgebung gelöst, indem sie das Land an Bauunternehmen verkauft haben. "Das beste Ackerland rund um die Städte geht so verloren, nur um einen weiteren Wal-Mart oder so was zu bauen", sagt Claudia. "Das bricht mir das Herz."
Das Beste aus beiden Welten - Stadtentwicklung und Landwirtschaft - möchte Matthew Redmond in seinem "Agriburbia"-Konzept vereinigen. Er versucht, Gemeinden und Landbesitzer davon zu überzeugen, autarke Communities zu gründen, in denen sich die Bewohner selbst mit dem Obst und Gemüse der angrenzenden Felder versorgen und den Rest an lokale Restaurants verkaufen.
Auf nach Agriburbia
"Nur so können Gemeinden langfristig nachhaltig werden", ist Redmond überzeugt. "Wir brauchen einen Plan für die Zeit, wenn Öl zu teuer wird, um Lebensmittel quer durchs Land zu transportieren." 14 Agriburbia-Projekte rund um Denver sind bereits in Planung, das erste steht kurz vor Baubeginn und wird 944 Häuser und mehr als 100 Hektar Felder umfassen.
Eine Einverleibung durch Bauunternehmer kann der Berry Patch Farm jedenfalls nicht passieren. Claudia Ferrel hat ihr Land unter einen speziellen Schutz stellen lassen, der auch in Zukunft nur eine landwirtschaftliche Nutzung zulässt. Da kann das Wasser noch so knapp werden. (Karin Krichmayr/ DER STANDARD, 5./6. 12. 2009)