Wolfgang Kos, Direktor des Wien Museums, vor Otto Rudolf Schatz' Gemälde "Schaustellung" (ca. 1929), einem intensiven künstlerischen Dokument gegen Rassismus.

Foto: Standard/Christian Fischer

STANDARD: In "Kampf um die Stadt", der großen Ausstellung des Wien Museums im Künstlerhaus, geht es um die Zeit um 1930. Diese Epoche scheint - Stichwort Weltwirtschaftskrise - viel mit heute zu tun zu haben. War das beabsichtigt?

Kos: Ja und nein. Einerseits will das Wien Museum immer von der Gegenwart her Fragen an die Geschichte stellen. Andererseits wachsen so große Ausstellungen als Idee über Jahre und haben eine viel zu lange Vorlaufzeit, um tagesaktuell zu sein. Es war natürlich unvorhersehbar, dass 2008 eine Weltwirtschaftskrise kommen und so enorme Parallelen mit der am Ende der 1920er-Jahre haben würde. Ausstellungen dieser Art und von dieser Komplexität eignen sich grundsätzlich nicht dazu, Heutiges zu kommentieren. Umgekehrt ist es fast unmöglich, aus einer Ausstellung über eine vergangene Epoche nichts für die Gegenwart zu lernen - egal, um welche Zeit es sich handelt.

STANDARD: Wussten Sie, dass Wiener Wahlkampf sein würde?

Kos: Nein, einige Parallelen und Kontinuitäten waren und sind aber schon offensichtlich: etwa dass Antisemitismus und Rassismus auch um 1930 extrem unverfroren waren - damals nicht nur ganz rechts, sondern auch im christlichsozialen Mainstream. Eine andere Kontinuität ist natürlich das "Rote Wien": Bis auf einige wenige Jahre während des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus hatte die Sozialdemokratie in Wien seit 1918 die absolute Mehrheit. Das gibt es in keiner anderen europäischen Großstadt.

STANDARD: Warum heißt die Ausstellung nicht "Kampf um Wien"?

Kos: Den Titel Kampf um die Stadt hatte ich sehr früh - und dazu die These, dass es seit dem 19. Jahrhundert bis heute einen Riss gibt zwischen dem Urbanen auf der einen Seite und dem Anti-Urbanen auf der anderen. Das ist viel mehr als bloß der Kampf um Wien oder Wien gegen Österreich. Es geht dabei auch um den Kampf Alpenösterreich gegen Großstadtösterreich, um das Match Predigtkanzel gegen Kaffeehaus oder Bergkircherl gegen Fabrik.

STANDARD: Warum machen Sie diese Auseinandersetzung ausgerechnet an der Zeit um 1930 fest?

Kos: Weil es um diese Zeit besonders intensive Auseinandersetzungen um die Stadt und ihren öffentlichen Raum gab, also einen "Kampf um die Straße". Man denke nur an die Aufmärsche in einer Zeit des latenten Bürgerkrieges. Zudem hat sich die Benutzeroberfläche der Stadt in den 1920er-Jahren radikal verändert: Damals wurden Zebrastreifen eingeführt, Ampeln oder der Coloniakübel. Das Ersetzen der Gaslampen durch die sehr viel hellere elektrische Beleuchtung hat die Wahrnehmung der Stadt verändert, aber es gibt aber auch einen museumsstrategischen Grund für ein Panorama der Kultur und Politik jener Jahre ...

STANDARD: ... und der wäre?

Kos: Die Überprominenz der Formel "Wien um 1900". Dadurch ist eine gewisse Blindheit für andere Epochen unserer Kultur- und Alltagsgeschichte entstanden. Wir müssen dafür werben, dass auch andere Epochen als Wien um 1900 interessant sind. Da gibt es zwar weniger Gold, da glänzt kein Klimt. Aber dafür gab es um 1930 ganz hervorragendes Grafikdesign.

STANDARD: Dennoch wird der bildenden Kunst in der Ausstellung viel Platz eingeräumt. Warum?

Kos: Ich bin kein gewachsener Experte für Kunstgeschichte, und vielleicht hat mich gerade deshalb der Ehrgeiz gepackt, eine kleine Schatzkammer auf Zeit zusammenzustellen. Darin können wir nicht zuletzt auch zeigen, welch großartigen Bilder das Wien Museum hat. Bei uns im Haus ist das ja leider unmöglich, weil das 20. Jahrhundert noch keinen Platz hat.

STANDARD: Welcher Raum ist Ihnen der liebste?

Kos: Vor dem Raum, in dem die politische Gewalt der Zeit gezeigt wird, gibt es einen, der für das Auge überhaupt nichts bietet. Der heißt "Museum der Stimmen". Da hört man 15 öffentliche Reden über Österreich. Da geht es nicht nur um Inhalt, sondern auch um den Sprachgestus, um Pathos, Pausen und Betonungen. Diese Hörpassagen sind genauso Exponate wie die Filmzuspielungen oder wie die Ölbilder.

STANDARD: Auffällig ist, dass die Zeit um 1930 buchstäblich sehr bunt präsentiert wird. Welche Überlegung steckte da dahinter?

Kos: Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und seine Katastrophen kennt man alle aus Schwarzweiß-fotos. Dem sollte ein Display entgegensetzt werden, dass eher einer heutigen Zeitstimmung entspricht. Wenn die Schau eine Zeitschrift wäre, dann sollte das Layout so sein, dass man sich darin wohlfühlt. Das war auch deshalb nicht so schwer, weil es in der Ausstellung auch um die Dynamik der Veränderung um 1930 geht, als Farbe, Schnelligkeit, Amerikanismen in die Gesellschaft kamen.

STANDARD: Wie zufrieden sind Sie nach zwei Wochen mit der Resonanz des Publikums?

STANDARD: Ziemlich zufrieden. Typen von zwei Rückmeldungen machen dabei besondere Freude. Zum einen sagen und schreiben uns Besucher, dass sie meist nur Selektives über diese Zeit gewusst hätten und dass das für sie erstmals verknüpft worden sei. Zum anderen scheint gut anzukommen, dass die Räume sowohl in der Gestaltung, in der Farbigkeit als auch in der Dramaturgie trotz der Fülle keine Erschöpfung aufkommen lassen. Und wir wissen, dass die Leute relativ viel Zeit in der Ausstellung verbringen - immer noch weniger, als man für einen längeren Film von Martin Scorsese braucht. Aber warum sollen Ausstellungen Videoclips sein und nicht Spielfilmlänge haben? Mein Wunsch ist, dass die Leute öfter kommen. Und darum kostet der Zweitbesuch auch nur die Hälfte. (Klaus Taschwer, DER STANDARD - Printausgabe, 4. Dezember 2009)