"DJ Schnulli gibt ein' aus" - die Hamburger Formation HGich.T bringt Lo-Fi-Ästhetik ins Brut

 

Foto: Brut

Wer gemeint hätte, der Techno-Hit 3 Tage wach des Produzenten Tobias Lützenkirchen - ein Stück, das gegen alle Vernunft den Crossover hinaus aus der Techno-Community hinein in alle möglichen Milieus geschafft hat und so zum geflügelten Wort aufgestiegen ist - sei ein endgültiger Höhepunkt gewesen hinsichtlich der Zelebrierung von elektronischer Stumpfheit, Drogenverherrlichung, ewiger Feierei und Draufsein (augenzwinkernd, ja, ja, Selbstpersiflage bei gleichzeitiger Geilfindung, sicherlich), der kann wie immer von Youtube eines Besseren (Schlechteren?) belehrt werden.

Es gibt ja alles: Ein junger Mann in orangefarbener Bauarbeiterweste und mit ziemlich stacheliger Frisur, quasi ein Abziehbild des Typus "Raver", alles erdenklich Üble an Techno repräsentierend, tanzt da in einem Video durch die Straßen und trägt über billigstem Autodrom-Beat in debilem Sprechgesang so schöne Textzeilen vor wie "Lass uns tanzen! Lass uns koksen! Unter'n Tisch!". Oder "Dirty Dancing! Happy Hour die ganze Nacht!" oder auch "DJ Schnulli gibt ein' aus". Das dazugehörige Stück trägt den Titel Die affengeile Klopapiernummer.

Die Clips des Hamburger Künstlerkollektivs HGich.T (Aussprache und Bedeutung unklar, je nach Gerüchtequelle zwischen "ha-ge-ich-te" und "Heute geh ich tot" variierend) vermengen in betont runtergerockter Lo-Fi-Ästethik samt Blue-Screen-Albernheiten all die Gemeinplätze über die weggetripte Raving Society und Hippie-selige Goa-Trance-Waldschrate, über komische Pilze, psychedelisch motivierte Tücher zur Wohnraumgestaltung, massig Pillen und Plateauschuhe.

Es klingt wie ein im Schuhkarton aufgenommenes elektronisches Wummern und Rumpeln aus dem Beat-Bastelbuch für Anfänger, gekreuzt mit Pippi-Kacka-Humor und überhöhten Slogans der chemischen Ekstase. Die Arbeit des losen Haufens von HGich.T aber als bloßen "ironischen" Helge-Schneider-Ballermann abzutun greift zu kurz. Anders als bei herablassendem Comedy-Quatsch, der sich in reinem "Parodieren" und sogenanntem "Spiegel-Vorhalten" genügt, sind bei HGich.T die Positionen unklar. Sind die jetzt echt? "Meinen" die das? Ein Verwirrspiel aus Überaffirmation, analytischer Betrachtung von außen und gefühlter echter Liebe zum Thema von innen.

Die Live-Auftritte von HGich.T, aktuell im Brut mit Der Da Vinci Schock, laufen zwischen Performance, Theater-Aufführung, Konzert und Totalzerstörung regelmäßig rigoros aus dem Ruder und lassen den 16-jährigen Profi-Raver im Publikum ebenso ratlos zurück wie den Deleuze-Spezialisten. Hauptsache, es knallt. (Philipp L'Heritier/ DER STANDARD, Printausgabe, 3.12.2009)