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"Der Bundeskanzler hat im Vergleich zu seinem Vize wesentlich freier gesprochen."

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"Gelegentlich wirkte Prölls Lesepult wie eine Kanzel und die neuen Agendapunkte, wie politische Fürbitten."

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Tatjana Lackner, Polit-Profilerin
www.sprechen.com

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"Keine Live-Erlebnisse oder Sager. Welke Aufzählungen, viele Selbstheilungs-Mantras für die österreichische Wirtschaft, aber wenig rhetorische Finessen." Das ist Tatjana Lackners Befund über die Reden von Vizekanzler Josef Pröll und Bundeskanzler Werner Faymann. derStandard.at hat die Rhetorik-Expertin und Polit-Profilerin um eine Analyse gebeten.

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Bundeskanzler Werner Faymann

"Faymann startete mit einem ZDF-Argument (= Zahlen, Daten, Fakten) und setzte sehr früh auf den Werteappell. "Ungefähr alle sieben Minuten kommt in Österreich ein Kind zur Welt. Das heißt, in den vergangenen zwölf Monaten sind 75.000 Kinder in unserem Land geboren worden. Wir alle sind dafür verantwortlich, wie diese Kinder groß werden."

Dieser emotionale "Opener" war dramaturgisch eigenwillig gesetzt, da auf die bewusst geschaffene Atmosphäre eine Grüßaugust-Arie in U-Moll folgte. Die Lockrufe des Bundeskanzlers verebbten akustisch wieder oft in der Nase und klangen wenig moduliert. Er setzte stark auf Analogieargumente aus dem Ausland, nach dem Motto: anderen geht's schlechter als uns in Österreich (Frankreich, Spanien, ...). Stolz offenbarte er "in Berlin einige Worte mit Hillary Clinton" gewechselt zu haben. Trotz dieser kosmopolitischen Ausblicke über den eigenen Tellerrand gaben Negativformulieren und viel grauer Wortschatz den Zuhörenden doch eher das Gefühl: das Leben hier ist mehr Amstetten als Paris. 

Der Bundeskanzler hat im Vergleich zu seinem Vize dafür wesentlich freier gesprochen. Neben den "Kriminalitätstouristen" bereiteten ihm aber auch "Missbrauch und Korruption" Sorgen. Zu viele Aufzählungen in kurzer Zeit hintereinander wirken schnell welk. Wichtiger wäre, rhetorische Blitzlichter einzusetzen, um den Buchstabenwald bildlich zu unterfüttern. Z. B.: "Ich denke hier besonders an ...", "Gelungen ist das schon konkret bei ..."

Fazit: Eine brave Rede, bei der jeder Zuhörer irgendwann geistig abgeschweift ist. Wenig Ecken und Kanten, dafür viele Zahlen. Null Unterhaltung."

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Vizekanzler Josef Pröll

"Pröll eröffnete mit einer Logikkette: "190 Mrd. Schulden, 3 Mrd. Neuverschuldung, 8 Mrd. Euro für Zinszahlungen, ... - willkommen im Finanzministerium." Stärker als sein Koalitionskanzler lobte er Österreich als "Marke", Erfolgsstory, Exportland und guten Boden für Innovation. Gekonnt setzte er Name-Droppers ein. - Von unseren Oscarpreisträgern, über je ein Berufsklischee aus allen neun Bundesländern (brav gegendert) bis hin zur Hoffnung auf einen österreichischen "Wissenschafts"-Nobelpreis in der Zukunft war alles dabei. Mut hat er gemacht durch neue Forschungsgelder, das Forschungsfinanzgesetz und die zugesicherte Unterstützung rund um Innovationsleistungen. Pröll lobte das Unternehmertum und die "Leistungsgerechtigkeit".

Atmosphäre muss vom Redner durch Blickkontakt und beziehungsbindende Mimik und Gestik geschaffen werden - darin ist Josef Pröll sicher gut. Gelegentlich wirkte sein Lesepult jedoch wie eine Kanzel und die neuen Agendapunkte, wie politische Fürbitten. Weitererzählwert erreichte er durch die einfache rechnerische Gegenüberstellung eines Pensionisten 1970 und 2009. Der eine bezieht 13 Jahre Pension, der andere bereits 22 Jahre - die er selbst nicht mehr zur Gänze einbezahlt hat. Als Anmoderation in die "Generationen-Gerechtigkeit" diente ihm eine aktuelle Zeitungsmeldung, die auch er als "Familienvater alarmierend findet". Wer sich auf diese Weise immer wieder selbst privat einbringt, erhöht die emotionale Zustimmung des Publikums und schafft Vertrauen. Gerne verwendet der Finanzminister das rhetorische Stilmittel der Negativselektion, z.B.: "es geht nicht um, ... sondern ...". Präsentatoren hilft diese Form den Inhalt kürzer und klarer zu definieren.

Fazit: eine lebendige Lesung mit hohen Sympathiefaktoren und wenigen politischen Lösungen - besonders bei den Themen "Wachstum" und "Gesundheit"."

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Abschließend stellt Rhetorik-Trainerin Lackner fest: "Amerikaner und Europäer unterscheidet wohl voneinander, dass die einen die perfekte Bühnenshow und Inhalte nur in homöopathischen Dosen liefern - wogegen hierzulande die anderen Zahlen, Daten und Fakten völlig unglamourös zur Verkostung reichen." (red, derStandard.at, 3.12.2009)