Die gebürtige Französin Marie Rodet, Historikerin für afrikanische Geschichte.

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Offiziell wurde die Sklaverei in Mali 1905 von den französischen Kolonialherren abgeschafft. Lange nach Ende des transatlantischen Sklavenhandels (1818) war die interne Sklaverei noch gängig und blieb bis zur Unabhängigkeit des Landes 1960 aktuell.

Fünfzig Jahre später begibt sich Marie Rodet, 31-jährige Historikerin mit dem Interessengebiet Afrika, auf die Suche nach den historischen Stimmen und den sichtbaren Folgen des Endes der Sklaverei. Als die Afrikawissenschafterin von der Uni Wien mit 19 Jahren das erste Mal in Mali war, wurde ihr klar, "dass ohne ein tiefes Verständnis von Gender und Geschichte Entwicklungsprojekte oft schiefgehen." Da es in Europa an Menschen mit Kenntnissen über den afrikanischen Kontinent mangelt, entschloss sie sich während ihrer Studien an den Unis in Rennes, London und Wien, Expertin für afrikanische Geschichte und Politik zu werden. Mit Feldforschung untermauert sie derzeit in einem Hertha-Firnberg-Projekt Hypothesen aus ihrer Doktorarbeit über das Ende der Sklaverei in Mali aus Gender-Perspektive.

"Ohne Oral-History kann man die Fluchtbewegungen von Sklaven zwischen 1890 und 1920 schwierig nachverfolgen. Die Kolonialarchive machen die Geschichte von Frauen unsichtbar, weil die Verwaltung eher männliche Arbeitsmigration kontrollierte", erklärt Rodet. Sie konnte zeigen, dass ein großer Anteil der Geflüchteten aus der Region Kayes Sklavinnen waren, was bisher unterschätzt wurde. Anfang des 20. Jahrhunderts nutzten Frauen, die ihrem aussichtslosen Status entgehen wollten, soziale und familiäre Netzwerke zur Flucht.

Der starke Exodus brachte das gesellschaftliche Gefüge und das Wirtschaftssystem gehörig durcheinander. Also schwenkten die Kolonialbehörden von ursprünglich mehr Rechten für ehemalige Sklaven und Sklavinnen auf strengere Gesetze um: "Es wurde mit allen Mitteln versucht, das traditionelle afrikanische Familienkonzept zu erhalten: Kontrollierte man die Frauen, dann kontrollierte man die Gesellschaft. Es gibt heute noch eine Strafrechtsbestimmung, welche die Flucht aus dem Haushalt verhindern soll. Sie wird kaum angewendet, aber ist theoretisch gültig", sagt die gebürtige Französin.

Die Nachkommen der Ausgebeuteten können heute in Mali die Geschichte des Widerstands und der Flucht ihrer Vorfahren im öffentlichen Raum schwer erkennen. Das Gedächtnis dieser Zeit droht zu verschwinden. Mit ihrer Forschung will die Afrikanistin "aufzeigen, bewahren und gegen sexistische und rassistische Vorurteile ankämpfen".

Drei Jahre hat Marie Rodet Zeit, um Interviews mit Nachkommen zu führen und Archivforschungen zu betreiben. Auch aus den 1920er- Jahren hat sie Zeitzeugen gefunden. Die Zeit drängt also aus mehreren Gründen. Ohne die Firnberg-Stelle hätte sie ohne Perspektiven an der Uni vermutlich aufgegeben zu forschen. Heute möchte sie sich bald habilitieren.

Marie Rodet ist selbst Migrantin und kam aus Le Havre in der Normandie, wo sie geboren ist. Mit ihren Hobbys Wandern, Laufen und (Touren-)Skifahren fühlt sie sich in Österreich äußerst wohl. (Astrid Kuffner/DER STANDARD, Printausgabe, 2.12.2009)