"Olympia"-Kommers-Epilog von Gerhard Zeilinger

Foto: Standard/Zeilinger

Letzten Samstag, nachts, zum Beispiel in Amstetten. Um diese Zeit sind vor allem Jugendliche unterwegs, man kann sie schon von weitem hören. Drei von ihnen machen sich auf der anderen Straßenseite bemerkbar, 16, vielleicht 17 Jahre alt, ein junges Mädchen ist darunter. Es schreit plötzlich lauthals: "Weiba san zum Pudern da." Der Jugendliche neben ihr, vielleicht ihr Freund, schreit ebenso laut: "Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil." Der Dritte verrichtet indes mitten auf dem Gehsteig seine Notdurft. Dann fängt das Mädchen zu singen an, sie singt "Die Fahne hoch" , nicht nur den Anfang, sie singt die ganze erste Strophe, sie kann sie auswendig.

Zuerst dachte ich, das müssen Rapid-Fans sein, eben erst mit dem Nachtzug heimgekommen, aber Rapid hat an diesem Tag gar nicht gespielt.

Es wäre zu einfach gewesen: Von den Rapid-Fans in Amstetten ist man das längst gewöhnt, sie steigen besoffen aus dem Zug, ziehen anschließend grölend durch die Stadt und schreien dabei gerne "Sieg Heil" . Schon im Zug haben sie sich "geistig" aufgeladen, nicht nur mit Bier, auch mit den in Rapidkreisen offenbar beliebten Liedern wie: "Von Favoriten bis nach Auschwitz ziehen alle Juden hin ..." Ich habe das im Zug einmal erlebt, diese Jugendlichen sind außerordentlich sangesfreudig, und meist ist einer dabei, der ein paar von den "alten Liedern" weiß.

Der Schaffner im Zug war überfordert, er hat bewusst nichts gehört, die Fahrgäste haben auch nichts gehört, wer will schon mit Bier angeschüttet werden oder Faustschläge ins Gesicht bekommen? Bier und antisemitische Lieder, weiß ich seither, sind nicht nur Männersache, da sind immer Mädchen dabei, 16, 17 Jahre alt, und sie können die Lieder auch schon auswendig.

Woher aber weiß eine 16-Jährige, wie "Die Fahne hoch" geht? Zur selben Zeit fand in der Wiener Hofburg gerade der Burschenschafterkommers der rechtsextremen "Olympia" statt, und es war ein merkwürdiger Zufall, dass das Mädchen das (in Österreich verbotene) Horst-Wessel-Lied ausgerechnet vor dem Haus eines national gesinnten Rechtsanwaltes sang, der selber Mitglied der "Olympia" ist und in dieser Nacht wohl auch in der Hofburg war, als "Alter Herr" . Ich war schon in eine andere Straße eingebogen, sang das Mädchen immer noch, vielleicht konnte sie auch die zweite Strophe, während eine nächste Gruppe schreiender Jugendlicher auf die drei zukam.

Am Wochenende ist es immer laut in der Stadt, nicht nur laut. Aber was nachts auf den Straßen passiert, davon will offenbar niemand etwas wissen: die "Bürger" nicht, die wollen schlafen, die Polizei nicht, die ist personell unterbesetzt, und schon gar nicht die Politiker, weil sie ja sonst, vielleicht, etwas tun müssten, womöglich Verantwortung übernehmen. In der "Fritzlstadt" Amstetten - die ist überall in Österreich - will man alles, nur ja nicht zuständig sein.

So lebt es sich bequemer. Bis dann wieder einmal Wählerstromanalysen uns bescheinigen: Der Großteil der Jugendlichen wählt rechts. Kein Wunder, könnte man meinen, wenn die, die zwar Wählen mit 16 beschlossen haben, sich um die politische Befindlichkeit der Jugendlichen überhaupt nicht kümmern, nicht einmal um die Voraussetzungen dazu. Politische Bildung gibt es nicht, Bildung ist überhaupt in diesem Land kein Wert. So nebenbei züchten wir uns lieber Neonazis heran ...

Gespenstische Koinzidenzen

Nazisprüche sind mittlerweile Teil der "Jugendkultur" , da muss man gar nicht erst Rapid-Fan sein und nicht unbedingt männlich. Die Nazis waren bekanntermaßen eine Jugendbewegung, in der auch die junge Frau ihren Platz hatte. Stramme SA-Männer in glänzenden Stiefeln, umjubelt von Frauenkörpern in der Synchronie des Hitlergrußes, die sexuelle Komponente auf den Fotos von damals ist unverkennbar. Eines aus dem Fundus Amstettner NS-Bilder ist mir besonders aufgefallen, aufgenommen 1940, nicht weit von der Stelle entfernt, wo das junge Mädchen letzten Samstag das Horst-Wessel-Lied gesungen hat.

Damals zog die "siegreiche Wehrmacht" durch die Stadt, der Frankreichfeldzug war gerade zu Ende, nun kehrten die "Helden" heim, und am Straßenrand bog sich eine ganze Welle "Sieg Heil" schreiender junger Frauen wollüstig zu ihnen hin. Genauso hätten sie "Weiber sind zum Pudern da" schreien können. Das Dritte Reich: Sex & Crime und "Fahne hoch" . Massenmord und Wollust. Primitivität und Kleinbürgerlichkeit zum Exzess.

In der "Fritzlstadt" Amstetten - sie ist überall in Österreich - gibt es einen "bürgerlichen" Stammtisch, wo Sprüche fallen wie: "Die Juden gehören alle aufgehängt." Das sind nicht besoffene Jugendliche, die das sagen, keine Neonazis, kein Pöbel, sondern "Bürger", höhere Beamte, ein Notar, ein Bezirksschulinspektor, ein Arzt, "honorige" Leute.

Nur so "herausgerutscht" ?

Das war 1998, als in Amstetten ein Denkmal mit den Namen der ermordeten Juden der Stadt eingeweiht wurde. Es war erstaunlich und erschreckend, wie schnell die antisemitischen Rülpser wieder hervorbrachen - nicht nur beim Würstelstand, daran hatte man sich ja gewöhnt, das ist "Jargon", wird gesagt, wie halt auf dem Fußballplatz, nein, sogar bei einer Gemeinderatssitzung brach es durch, kam es hoch oder, wie damals gesagt wurde, "rutschte es heraus". Aber herausrutschen kann nur, was drinnen ist.

Es ist merkwürdig, vielmehr es ist gespenstisch: Von Geschichte wissen die meisten Jugendlichen nichts, aber "Die Fahne hoch" können einige auswendig. Nur, woher kennt eine 16-Jährige das Horst-Wessel-Lied? Wo hat sie das gehört, und zwar so gehört, dass sie es derart verinnerlicht hat? Wo lernt man das? Neulich beim Spazierengehen entdeckte ich auf einer Parkbank die Aufschrift: "Juden Stern am Arsch". Weiß jemand, was das bedeuten soll? Und warum schmieren Jugendliche so etwas auf eine Bank?

Vor der letzten Nationalratswahl 2008 war Strache in Amstetten. Ich ging zufällig über den Hauptplatz, als die Veranstaltung gerade aus war. Ich sah 13-, 14-jährige "Buben" , die noch im Weggehen hastig schon nach dem Handy griffen: "Mama, ich hab ein Autogramm vom Strache!" Andere, vom freiheitlichen Freibier umnebelt, grölten herum, riefen Naziparolen, spuckten in Richtung von Passanten, die ihnen zufällig über den Weg liefen. Eine Hetz halt, wenn der Strache kommt und offenbar genau die Tonlage der "Volksseele" trifft. Der jungen "Volksseele", wirklich? (Gerhard Zeilinger/DER STANDARD, 28.11.2009)