US-Rapper und Spoken-Word-Performer Saul Williams: "Ich kenne niemanden, der so überzeugend zu mir spricht wie ich selbst."

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Das Wichtigste, so Saul Williams, sei für ihn als gereifter, erwachsener Künstler eines: Sage mehr, indem du weniger sagst. Reduziere dich und werde dadurch in deinem Ausdruck intensiver.

Saul Williams: "Früher spürte ich eine Menge Zorn in mir. Und diesen Zorn habe ich in meinen Songs und während meiner Performances herausgeschrien. Das ist noch immer eine heilsame Erfahrung. Und ich stehe auch immer noch hundertprozentig hinter alten Stücken wie Black History Month oder List Of Demands. Kein Künstler kann sich aber auf Dauer nur über negative Energie, über die Austreibung von Dämonen definieren. Ich versuche derzeit eher, die Verhältnisse abzubilden, sie kühl zu beschreiben."

Es gehe darum, die Motorik der Gesellschaft offenzulegen. Williams ist voriges Jahr von Los Angeles nach Paris gezogen, hat dort aber nicht unbedingt jene Liebe in sich entdeckt, die die Birne weich macht. Noch immer kommt er mit seinen hart und präzise gerappten Wortkaskaden wie der Prediger einer Kirche der letzten Tage über sein Publikum. Man hat oft den Eindruck, dass diese Dringlichkeit, bildlich gesprochen, auch dadurch entsteht, dass hier jemandem die Pistole an die Schläfe gehalten wird. Saul Williams fordert von jedem seiner Texte eine Intensität ein, die dadurch entsteht, dass die künstlerische Vorgabe jene ist, so zu dichten, als handle es sich um einen Abschiedsbrief.

Ein Textauszug aus LaLaLa: "They captured and caught us, transported, sold us - and bought us. They constituted and lawed us, distorted truths that they taught us. We rebelled, they fought us. We conformed, then they formed us." Die Geschichte der Afroamerikaner im Schnelldurchlauf.

Neben seinen Alben Amethyst Rock Star und Saul Williams sowie zuletzt einer als politischer wie individueller Befreiungsschlag anzusehenden Songsammlung namens , die sich als Download-Album über 300.00-mal verkaufte und Williams auch finanziell gelassener gemacht haben dürfte, verfolgt er nun neue Ziele.

Williams: "Niggy Tardust war mein letzter großer Mittelfinger gegenüber der amerikanischen Gesellschaft. Jetzt finden auch positive Gefühle und Visionen Eingang in meine Arbeit. Ich habe mich dafür entschieden, auch intimere Aspekte meiner Persönlichkeit offenzulegen. Es geht darum, endlich einmal auch eine Balance in meinem eigenen Leben zu finden. Früher war da ein starker Widerstandsgeist, letztlich ist die Fantasie aber eine stärkere Waffe. From protest to progress."

Williams weiter: "Die Songs von Niggy Tardust waren auch eine Absage an die alte Vorstellungswelt, sich künstlerisch an der alten ‚Rassendebatte‘ zu orientieren. Ab sofort mache ich, was ich will. Ich spiele keinen ‚weißen Metal‘ mehr und verbinde ihn mit ‚schwarzem‘ HipHop. Ich verlasse die Oberfläche und tauche tief in meine eigene Persönlichkeit. Ich bin frei. Was macht man als Erstes, wenn man frei ist? Man lacht, liebt, hat Spaß. Selbst angesichts all des Übels in der Welt, der Kriege, des Todes, eigener Steuerschulden, existiert da dieser Drang, zwischendurch einmal herzhaft zu lachen. Je älter ich werde, desto mehr verspüre ich auch das Bedürfnis zu tanzen. Und ich kenne viele Gleichaltrige, die alle leider nicht mehr tanzen."

Der 37-jährige New Yorker Spoken-Word-Performer, Poet, HipHopper, studierte Philosoph und Filmschauspieler (K-Pax, Slam ...) eröffnete am Donnerstag die Erich-Fried-Tage 2009 im Wiener Literaturhaus mit einer mitreißenden wie pathetischen Soloperformance im lyrischen Freistil. Williams, dessen zahlreiche Lyrikbände, etwa Said The Shotgun To The Head, interessanterweise von MTV verlegt werden, gilt neben Ursula Rucker als derzeit zentraler US-Spoken-Word-Künstler - wenn es darum geht, schwarze Bürgerrechtsanliegen ins 21. Jahrhundert zu transportieren und sie eben der MTV-Generation näherzubringen.

Saul Williams: "Ich wollte immer schon Tanzmusik machen, zu der man denken kann. Ich sehe keine Genregrenzen. Natürlich könnte ich es leichter haben, wenn ich HipHop im traditionellen Sinn mache. Ich fülle aber lieber die Lücke zwischen Metal, Elektronik und HipHop. Ich kenne niemanden, der so überzeugend zu mir spricht wie ich selbst. Haha!"

Raps aus dem Facebook

Dass Saul Williams mittlerweile seine Musik lieber auf eigene Rechnung im Internet vertreibt und sich nicht länger mit Plattenfirmen herumschlägt, habe vor allem auch mit einem zu tun.

Williams: "Ich hatte schon ab meinem ersten Album massive Schwierigkeiten. Weiße kalifornische Manager vom Label kamen und meinten, dass das nicht HipHop sei, was ich mache. Worauf ich meinte: Entschuldigung, ich komme aus den Straßen New Yorks! Und alles, was ich über HipHop weiß, ist, dass es da keine festen Verhaltensregeln gibt. Wenn ihr nicht wisst, in welche Schublade ihr das stecken wollt oder wie ihr meine Musik vermarkten sollt, ist das nicht mein Problem. Mit Twitter und Facebook und Laptop und iPhone hat sich dieses Problem mittlerweile gelöst."

Rassismus sei natürlich nach wie vor ein Problem. Obwohl das US-Musikgeschäft längst von Afroamerikanern dominiert wird.

Williams: "Rassismus existiert, weil es den Begriff der Rasse gibt. Der Begriff selbst ist die Wurzel des Übels. Sie mögen vielleicht glauben, dass Sie ein Weißer seien, und ich kann mir einbilden, dass ich schwarz bin. Wissenschaftlich werden Sie dies aber nicht beweisen können. Irgendwann einmal haben wir uns dazu entschlossen, die Welt so zu sehen. Vielleicht ist es uns ja von jemandem befohlen oder eingeredet worden. Ich bilde mir ja auch ein, ein Demokrat und Katholik zu sein, weil meine Eltern demokratisch gewählt haben und katholischen Glaubens sind. Was bedeutet es, ein Mann zu sein, ein Amerikaner, dunkle Haut zu haben? Wir akzeptieren diese Vorgaben und werden dann tatsächlich zu einem dunkelhäutigen männlichen Amerikaner! Wenn man so denkt, kann man sich aber nur noch schwer ändern oder sein Spektrum erweitern. Wie sagte schon der Sufi-Mystiker Rumi: Das Andere ist eine Lüge." (Christian Schachinger, DER STANDARD/Printausgabe, 28./29.11.2009)