Natascha Kampusch tut ihm "bis zu einem gewissen Grad leid", Jörg Haider regte ihn auf, und über Manner-Schnitten urteilen mochte er nicht: Ludwig Adamovich, Ex-VfGH-Präsident.

Foto: STANDARD/Hendrich

Ludwig Adamovich, Leiter der Kampusch-Kommission, steht zu seinen Aussagen über das Entführungsopfer. Warum ihn die Causa so in Rage brachte, wie er selbst von seiner Herkunft geprägt ist, und was er mit Wilhelm Busch und Yoga zu tun hat, eruierte Renate Graber.

***

STANDARD: Fanget an. Der Meister wartet.

Adamovich (lacht): Mit diesem Zitat aus den Meistersingern haben Freund Korinek (VfGH-Präsident nach Adamovich; Anm.) und ich oft Sitzungen begonnen.

STANDARD: Sonst sind Sie aber weniger Wagerianer als Richard-Strauß- und Mozart-Fan.

Adamovich: Das stimmt, aber die Meistersinger sind ein Gesamtkunstwerk aus Text und Melodie und lange nicht so Ideologie-beladen, wie manche Wagner vorwerfen. Denn es geht ja nicht nur um die deutschen Meister, sondern auch um die sehr persönliche Geschichte zwischen dem alternden Hans Sachs und dem 18jährigen Evchen, die bei ihm in Resignation mündet. Bei ihr wird schon auch klar, dass sie sich das vorstellen könnte mit Sachs, wäre da nicht der junge Ritter auf der Bildfläche erschienen.

STANDARD: In Ihrem Büro hier in der Präsidentschaftskanzlei sieht es aus, als würde gleich der Kaiser auf der Bildfläche erscheinen. Bis auf das moderne Bild hinter Ihnen: Wer ist die Dame?

Adamovich: Eine amerikanische Malerin. Sie hängt hier, weil das Büro drumherum so imperial ist.

STANDARD: Ihr Kleid passt farblich zu Ihrer Krawatte. Sind da Schildkröten drauf? Die Salti schlagen?

Adamovich: Richtig: fröhliche Schildkröten.

STANDARD: Passt gar nicht in mein Bild von Ihnen. Sie gelten doch als einer der letzten Beamten im guten Sinne, einer Ihrer Freunde nennt Sie gar den "letzten Mandarin"...

Adamovich: Das war der Jabloner (Präsident des Verwaltungsgerichtshofs; Anm.). Dabei war ich gar nicht immer Beamter, als VfGH-Richter ist man keiner. Zu einem Beamten gehört die Gehorsamspflicht - und die habe ich mir Gott-sei-Dank abgewöhnen können. Denn ein VfGH-Präsident, der auf Aufträge wartet, wäre eine traurige Figur. Ich bin zwar nicht übertrieben konfliktfreudig, habe aber im Gerichtshof Konflikte durchaus nicht gescheut.

STANDARD: Stichwort Ortstafeln?

Adamovich: Auch. Es gab immer wieder Fälle, in die Ideologie hineingespielt hat, etwa die steuerliche Absetzbarkeit von Unterhaltsleistungen an Kinder. Der VfGH sagte, dass man Menschen mit Kindern anders als Kinderlose behandeln muss, andere meinten, man müsse die Unterscheidung zwischen arm und reich machen.

STANDARD: Sie haben auch Sträuße mit Heinz Fischer gefochten, den Sie nun in Verfassungsfragen beraten?

Adamovich: So war das. Es zeichnet ihn aus, dass er einen Berater nahm, von dem bekannt ist, dass er nicht immer auf seiner Linie war.

STANDARD: Sie sind ungehorsam?

Adamovich: Nein, aber ich biege meine Meinungen nicht.

STANDARD: Sind Sie ein Facebook-Freund von "Heifi", wie Fischer im Internet heißt?

Adamovich: Nein. Ich bin froh, wenn ich mein Handy beherrsche.

STANDARD: Stehen Sie ihm weiter zur Verfügung?

Adamovich: Ja, wenn er mich will. Daheim wäre mir fürchterlich fad, außerdem ist es sehr schön hier. Schauen Sie aus dem Fenster.

STANDARD: Man denkt sofort an Thomas Bernhard.

Adamovich: Eben.

STANDARD: Sagt "Heifi" wie Ihre Freunde "Fipps" zu Ihnen? Kommt "Fipps" von Wilhelm Buschs Affen?

Adamovich: Ersteres: nein. Zweiteres: ja. Offenbar sah ich so aus.

STANDARD: "Der Fipps, das darf man wohl gestehn, ist nicht als Schönheit anzusehn. Was ihm dagegen Werth verleiht, ist Rührig- und Betriebsamkeit." Schrieb Busch.

Adamovich: Dem ist nichts hinzuzufügen.

STANDARD: Sie selbst nennen sich einen "unorthodoxen Konservativen". Sie wurden unter den Roten groß: Kreisky machte Sie zum Leiter des Verfassungsdienstes, Sinowatz zum VfGH-Chef. 1983 traten Sie aus der ÖVP aus, Michael Graff nannte Sie "Handlanger der Roten".

Adamovich: Aber mit Graff saß ich in der Schiedskommission zur Präsidentenwahl 2004, da haben wir uns wieder gut verstanden.

STANDARD: Sie sind 1983 aus der ÖVP ausgetreten, weil Kreisky Sie damals als Justizminister haben wollte?

Adamovich: Das ist jetzt schon sehr, sehr persönlich, aber bitte. Es war so: Kreisky hat das überlegt, aber ich habe ihm bei diesem Anlass gesagt, dass ich nicht aus der ÖVP weggehen will. Aber dann kam eben die ÖVP und fetzte mich an. Da ist es mir zu blöd geworden, ich habe mich gegiftet und bin wirklich ausgetreten.

STANDARD: Die so genannte Manner-Schnitten-Kommission: Sie sollten entscheiden, ob es zulässig ist, im Wahlkampf Süßes zu verteilen...

Adamovich: ...die Manner-Schnitten-Zuständigkeit haben wir abgelehnt. Noch zu Ihrer Farbenlehre: Ich will mich nicht in ein bestimmtes Kastl einordnen lassen. Natürlich bin ich von meiner Herkunft her konservativ, aber ich bin kritisch, ein bisserl liberal und vor allem klammere ich den sozialen Faktor nicht aus. Obwohl die Grenze nicht immer leicht zu ziehen ist: Bei der Ausländerthematik etwa.

STANDARD: Wie würden Sie mit dem Fall der Familie Zogaj umgehen?

Adamovich: Der Fall zeigt, dass sich Behörden an ihre eigenen Entscheidungen halten, ihre Bescheide vollziehen sollen. Die Familie hätte vor Jahren ausgewiesen werden müssen. Je länger sich jemand im Land aufhält, sei es auch illegal, desto schwerer ist es ethisch vertretbar, ihn hinaus zu schmeißen. Mir missfiel, wie der Fall ausgebreitet wird: Medien, Selbstmord-Drohung. Es gibt viele vergleichbare Fälle, bei denen nicht so ein Theater gemacht wird. Ich frage mich, wie es ausgeschaut hätte, wäre das nicht ein herziges Mäderl, sondern ein finster blickender Schwarzer gewesen. Faktum ist: Zogajs sind lang im Land, man muss prüfen, ob ihnen Aufenthaltsrecht aus humanitären Gründen zugestanden werden kann.

STANDARD: Wie sieht der "kritische Katholik" Adamovich die Frage Kruzifix-aus-dem-Klassenzimmer?

Adamovich: Diese Entscheidung des Gerichtshofs war zu erwarten. Begründet wurde sie mit dem Recht der Eltern, dass ihre Kinder nicht von Staats wegen gezwungen werden dürfen, unter einem religiösen Symbol, das sie ablehnen, zu lernen. Das ist ein klarer Standpunkt. Ich stelle mir eine andere Frage: Wenn man das Elternrecht so versteht, muss man dann nicht auch eine Schutzpflicht des Staates gegenüber dem Auftreten von Mitschülern mit religiösen Symbolen sehen? Anders gesagt: Wie komme ich als Vater oder Mutter dazu, dass mein Kind neben einem anderen sitzt, das mit irgendwelchen fremden religiösen Symbolen daherkommt?

STANDARD: Das Kopftuch, das Sie meinen, ist ja nicht staatlich verordnet wie das Kreuz an der Wand.

Adamovich: Das stimmt, aber mit der Argumentationslinie des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes kommt man in diese Richtung, die in Frankreich schon besteht.

STANDARD: Und wie stehen Sie zur so genannten Homo-Ehe?

Adamovich: Es steht völlig außer Frage, dass man Diskriminierung verhindern muss und Homoesexuelle zivilrechtlich gleichstellen muss. Aber es ist ja wieder eine Diskriminierung, wenn Homosexuelle nicht zum Standesamt dürfen. Von mir aus soll man ihnen auch dieses Recht geben.

STANDARD: Apropos Theater. Als Leiter der Kampusch-Kommission sorgten Sie per "Krone"-Interview für große Empörung ...

Adamovich: Lassen Sie mich das erklären. Die Kommission hat im Juni 2008 ihren Abschlussbericht abgegeben, darin haben wir festgehalten, dass die Behörden offenen Fragen nicht nachgegangen sind. Und wir haben der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, was uns aufgefallen ist. Aber die fand: Das ist alles nix. Sie hat den Standpunkt mit einer Hartnäckigkeit verfochten, die mit der Zeit Aggression in mir ausgelöst hat. Die bloße Vorstellung, es könne noch etwas anderes im Busch sein als das bisher Ermittelte, wurde sogar offiziell blödsinnig genannt. So was bringt mich in Rage.

STANDARD: Den Satz, es sei "natürlich denkbar, dass diese Gefangenschaft allemal besser war als das, was Kampusch davor erlebt hat": Würden Sie den wieder so sagen?

Adamovich: Nicht in diesen Worten. Wahrscheinlich wäre es vernünftiger gewesen, das nicht zu sagen, aber vom Gewissensstandpunkt her stehe ich zu meiner Aussage.

STANDARD: Kampusch fand Sie "anmaßend", man kann es ihr nachfühlen. Mich hat Ihre Wortwahl erstaunt. Sie sind bekannt für Ihre feine Klinge, und dann sagen Sie, Sie wollten Kampuschs Mutter "nicht auch noch am Gnack haben". Was ist in Sie gefahren?

Adamovich: Ich wollte aufrütteln. Ich war empört. Ich studierte kiloweise Unterlagen, es ist schauderhaft, was sich in der Causa abspielte. Sie konzedieren mir ja freundlicherweise, dass ich nicht zu Ausfälligkeiten neige - aber irgendwo kommt der Punkt und dann überfällt mich ein heiliger Zorn.

STANDARD: Was kann Kampusch für Ihren Zorn, tut Sie Ihnen nicht leid? Sie kennen halt dieses soziale Milieu nicht, in dem der Fall spielt...

Adamovich: Sie unterschätzen mein Einfühlungsvermögen. Kampusch muss einem bis zu einem gewissen Grad leid tun, war schon als Kind in einer extrem unguten Situation, ihr widerfuhr Übles. Aber man kann ihr zutrauen, dass sie irgendwann das Gesetz des Handelns an sich zog. Priklopil war eine traurige Gestalt. Mehr sage ich nicht.

STANDARD: Haben Sie etwas bewirkt?

Adamovich: Sicher, Priklopolis Freund H. musste einräumen, dass er gelogen hat. Es hat sich herausgestellt, dass die Mehrtäter-Idee nicht völlig abwegig war. Nun ist der Staatsanwalt am Zug.

STANDARD: Und Sie stehen bald vor Gericht: Kampuschs Mutter hat Sie wegen Ehrenbeleidigung geklagt.

Adamovich: Ich werde mich zu wehren wissen, werde erklären, wie ich zu dieser Idee kam. Und ich kann Ihnen sagen: Aus heiterem Himmel ist das nicht geschehen.

STANDARD: Für Sie sind in der Justiz "auch Optik und Anschein wichtig". Wie finden sie die Optik derzeit?

Adamovich: Sie ist nicht ideal.

STANDARD: Kärnten ignoriert den VfGH-Ortstafel-Entscheid von 2001 noch immer. Die Justiz tritt Landeschef Dörfler nicht näher, flapsig gesagt, weil der Nicht-Jurist das alles nicht verstehe. Auch nicht ideal?

Adamovich: Fragen Sie lieber nicht.

STANDARD: Sie sagten einmal, Richter seien "nicht die personifizierte Gerechtigkeit". Gibt es Gerechtigkeit?

Adamovich: Mein Gott.

STANDARD: Wen soll ich fragen, wenn nicht Sie?

Adamovich: Darüber diskutieren wir jetzt schon seit mehr als 2500 Jahren. Wenn man sich wie Hans Kelsen mathematisch an die Frage annähert...

STANDARD: Sie mochten Mathematik nie...

Adamovich: Ja, und sie hat vor allem im Juristischen nichts verloren. Jedenfalls: Wenn man das so macht, muss man fast zum Ergebnis kommen, dass es eine absolute Gerechtigkeit nicht gibt, nur eine relative.

STANDARD: Und was glauben Sie?

Adamovich: Ich sehe drei Schichten. Es gibt einen Bereich, in dem kann man als verantwortungsvoller Mensch nur sagen: Das ist gerecht, und das ist ungerecht. Im zweiten Bereich gibt es ein Spektrum, in dem mehrere Lösungen gerecht sind, und im dritten ist die Entscheidung, was gerecht ist und was ungerecht, eine reine Gewissensfrage.

STANDARD: Zurück zu Ihrem Verhältnis zu Kärnten. Jörg Haider meinte anlässlich des Ortstafel-Erkennisses, "wenn einer Adamovich heißt, muss man schauen, ob er eine Aufenthaltsbewilligung hat".

Adamovich: Blöde Randbemerkung.

STANDARD: Hat Sie aber empört.

Adamovich: Hat mich völlig kalt gelassen. Meine Vorfahren stammen aus Slawonien - nicht Slowenien -, waren Gutsbesitzer, Offiziere und zählten immer zum deutschsprachigen Kulturkreis. Mich regte auf, dass Haider gelogen hat, behauptete, ich hätte der Landesregierung das Gespräch verweigert, dabei war er selbst bei mir. Die Stirn muss man erst einmal haben.

STANDARD: Ist das auf Ihrem Ring eigentlich Ihr Familienwappen?

Adamovich: Ja, das gibt es seit Anfang des 18. Jahrhunderts. Oben der Löwe, unten der Halbmond, erinnert an die Türkenkriege.

STANDARD: Weil wir bei Ihrer Herkunft sind: Ihr Vater war unter Schuschnigg kurz Justizminister, von den Nazis kaltgestellt, Uni-Rektor, im Verfassungsdienst, 1946 bis 1955 VfGH-Chef. Sie machten fast idente Karriere, obwohl Sie wie Ihre Vorfahren mütterlicherseits in die Medizin wollten. Hat der Vater Sie ins Jusstudium gedrängt?

Adamovich: Nein, ich war in den Naturwissenschaften zu schlecht. Ein Urgroßvater war einer der Pioniere der Gerichtsmedzin, wurde auch nobilitiert. Er hat das medizinische Bulletin nach Kronprinz Rudolfs Tod mitunterzeichnet, liegt neben Billroth in einem Ehrengrab am Zentralfriedhof. Dadurch, dass ich mich nicht mit voller Überzeugung ins Juristische begeben habe, habe ich mir kritische Distanz bewahrt.

STANDARD: Sie lieben auch die Psychologie. Erwin Ringel schrieb zu Ihrem 60er, es sei "fast unwirklich, dass ein Einzelkind im Schatten dieser gewaltigen Eiche kein Schwammerl wurde".

Adamovich: Stimmt auch. Mein Vater war als Vaterfigur großartig-schrecklich. Er war zwölf Jahre im Jesuiten-Internat in Kalksburg, immer Vorzug, immer Klassenprimus.

STANDARD: Oje, Sie Armer.

Adamovich: Eben. In der Nazizeit war er zwangspensioniert und daher daheim, seit damals habe ich ein gestörtes Verhältnis zur Mathematik. Jedes Mal, wenn mein Vater in meiner Arbeit einen Fehler entdeckt hat, hat er, wumm, mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Das fördert die Konzentration nicht unbedingt.

STANDARD: Man sagte damals gern: "Gott ist größenwahnsinng geworden: Er glaubt, er ist Adamovich".

Adamovich: Ja, das sagte man. Aber mein Vater war bei alledem im Beruf unglaublich fleißig und erfolgreich.

STANDARD: Sein Schreibtisch hätte aber nie so ausgesehen wie Ihrer?

Adamovich: Nein. Mein Vater war zwanghaft, furchtbar pedantisch.

STANDARD: Trotzdem wohnten Sie bis vor kurzem in der elterlichen Wohnung. Wie erklärt das der Psychologe Adamovich?

Adamovich: Es ist ein permanenter, nie endender Kampf des Sohnes um die Eigenständigkeit. Den heiligen Zorn hatte mein Vater übrigens auch. Er war aber cholerisch.

STANDARD: Dagegen wappnen Sie sich mit Yoga und Tai-Chi. Bei der morgendlichen Tai-Chi-Gruppe am Heldenplatz sind Sie nicht dabei?

Adamovich: Das nicht.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht's im Leben?

Adamovich: Um vieles. Letzten Endes darum, dass wir mit unserer Verantwortung umgehen können - und die endet nicht im Diesseits. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28./29.11.2009)