Simonetta Vespucci als Nymphe: "Idealbildnis einer jungen Frau"  von Botticelli ist seit 1849 im Besitz des Städel Museums

 

Foto: Artothek

Giuliano de’ Medici: Simonettas platonischer Geliebter

 

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Unter dem Titel "Bildnis Mythos Andacht" widmet das Städel Museum dem Renaissance-Künstler eine grandiose Ausstellung, die erste große in Deutschland überhaupt.

Mancher Künstler erhält erst als Pensionist eine Retrospektive. Andere, zumeist Modekünstler, werden schon mit 40 oder 50 Jahren mit Werkschauen gewürdigt. Beim Italiener Alessandro di Mariano di Vanni Filipepi hat es für eine umfangreiche Zusammenstellung von 40 Gemälden und einer Handvoll Zeichnungen, die von 40 Arbeiten anderer Künstler begleitet werden, unglaubliche 499 Jahre plus sechs Monate gebraucht. Dieser Filipepi ist am 7. Mai 1510 in Florenz gestorben; besser bekannt war und ist er allerdings unter seinem Künstlernamen. Den wiederum hatte er von seinem Bruder Giovanni übernommen, der korpulent war und deshalb "la botticella", das Fässchen, genannt wurde - was Sandro in "Botticelli" änderte.

Sandro Botticelli, der 65-jährig in Florenz starb, steht für den Höhepunkt der Florentiner Renaissance und für die glänzendste Ära dieser Stadt unter den Medici. Der Saal mit dessen "Geburt der Venus" in den Uffizien in Florenz ist fast immer überfüllt, ebenso jener mit "Primavera".

Nun zeigt das Frankfurter Städel Museum die umfangreichste Botticelli-Retrospektive im deutschsprachigen Raum seit seinem Tod, ein kunsthistorischer Coup der Sonderklasse - und ein Kompliment für dieses Haus am Frankfurter Museumsufer, dessen Gründung sich vor 200 Jahren einer Bürgerstiftung verdankte -, auch wenn "Die Geburt der Venus" und "Der Frühling", "Die Anbetung der Könige" oder "Die Verleumdung des Apelles" in Florenz geblieben sind. Diesen Gemälden wurde, weil als zu kostbar und fragil eingestuft, striktes Reiseverbot auferlegt.

Was private Sammler und Leihgeber aus Edinburgh, Washington, Paris, Berlin, Wien und Florenz, Dresden und Altenburg, New York und London dazu bewog, ihre Botticelli-Porträts und -Madonnen, religiöse Tondi und zarte Zeichnungen nach Hessen auszuleihen, ist eine blendende, zarte Schönheit mit langem blondem Haar, Simonetta Vespucci mit Namen.

Wilde Leidenschaft

Ihr Porträt, das "Idealbildnis einer jungen Frau als Nymphe", befindet sich bereits seit 1849 in der Sammlung des Städels; damals war Botticelli noch nicht der gefeierte Meister, der er heute ist. Diesem phänomenalen Bildnis jenes des melancholischen Giuliano de' Medici beizustellen, der 1478, fast auf den Tag genau zwei Jahre nach Simonettas Tod, ermordet wurde, zeigt, mit welch dezenter Akkuratesse und dramaturgischer Klugheit der Ausstellungskurator Andreas Schumacher vorgeht. Er hat die Werke chronologisch gereiht, wobei er merkwürdigerweise durchgehend das Entstehungsjahr unterschlägt und unter drei Schlagworten anordnet. "Bildnis, Mythos und Andacht" lauten sie.

So sieht man in einem Stockwerk auf ochsenblutroten Wänden die Porträts und die mythologischen Arbeiten. Die hervorragendste darunter ist "Minerva und Kentaur", in der wieder die schöne Simonetta die Hauptrolle einnimmt: Giulianos platonische Geliebte ist in ein militärisch verziertes Schleiergewand gekleidet und mit einem der anrührendsten Antlitze der Kunstgeschichte ausgestattet, in dem sich der Verzicht auf wilde Liebesleidenschaft zugunsten der Tugend bestürzend abzeichnet.

In der oberen Etage leitet das monumentale Verkündigungs-Fresko die religiöse Abteilung ein. Bei den Anbetungen fällt - rascher als etwa bei den Porträts - der Qualitätsunterschied zwischen einer Ausführung durch die Werkstatt oder durch Botticelli selbst auf. Einer der Höhepunkte ist die "Madonna Wemyess", eine Komposition aus Sternenblau und Altrosa, ein anderer die nach vielen Jahren erste Zusammenführung von vier Tafeln, die die "Wunder des Zenobius", des Stadtheiligen von Florenz, zeigen.

Was in der Schau zurückgewiesen wird, ist der Rufmord Giorgio Vasaris. In seinem Standardwerk "Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister, von Cimabue bis zum Jahre 1567" hatte der große Künstlerbiograf des 16. Jahrhunderts Botticelli zugunsten seines Favoriten Michelangelo als wankelmütig und sonderlich beschrieben.

Reine Farbe

Und zum anderen wird auch die These widerlegt, dass sich Botticelli erst durch den Dominikanerpater und Fanatiker Girolamo Savonarola mit religiösen Themen beschäftigte. Das Gegenteil war der Fall: Von Anfang an waren biblische Bilder Botticellis ökonomisches Standbein. Der Rest waren Auftragsporträts, von denen staunenswert ausdrucksstarke, in den Details wie Schleier, Schals, Geschmeide hoch raffinierte Beispiele zu sehen sind und die sehr modern anmuten, weil der Hintergrund oft derart reduziert ist, dass er auf einigen Arbeiten zur reinen Farbe wird.

Der Wettbewerb um die schönste, wichtigste und berückendste Ausstellung im deutschsprachigen Raum ist für dieses Jahr entschieden - zugunsten Simonettas. (Alexander Kluy aus Frankfurt/Main / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.11.2009)