STANDARD-Herausgeber Oscar Bronner eröffnete den Mediengipfel in Lech. derStandard.at/Etat bringt den Prolog im Wortlaut:

"Jeweils vor meinen drei Gründungen von Printmedien für unabhängigen Qualitätsjournalismus - 'trend', 'profil' und STANDARD - wurde ich von wohlmeinenden Freunden gewarnt: 'So etwas kann in Österreich nicht funktionieren' ... 'Es ist kein Zufall, dass es so etwas in Österreich nicht gibt' ... 'Jedes Land hat die Medien die es verdient' ... 'In Österreich musst du damit scheitern' ... 'Lass' das' ... usw.

Richtige Marktforschung konnte ich mir nicht leisten, und so klammerte ich mich an eine ganz simple Überlegung: Wenn überall auf der Welt in vergleichbaren Gesellschaften eine vergleichbar große Minderheit den Bedarf nach unabhängigem Qualitätsjournalismus hat - warum soll das ausgerechnet in Österreich anders sein? Und ich hatte Glück: Meine Überlegung hat nicht nur gestimmt, zwei der drei Medien eroberten sogar innerhalb kurzer Zeit höhere Marktanteile als vergleichbare Publikationen in anderen Ländern.

Die Versuchung ist groß, die im Titel der Veranstaltung gestellte Frage 'Hat Qualitätsjournalismus Zukunft?' flapsig zu beantworten mit: Warum eigentlich nicht? Ich habe doch bewiesen, dass es eine Nachfrage nach Qualitätsjournalismus gibt. Und wo es Nachfrage gibt, gibt es bekanntlich auch ein Angebot.

Leider ist es wie immer komplizierter. Wir erleben gerade die größte Umwälzung, die es im Medienwesen je gegeben hat. Sowohl bei Print- als auch bei elektronischen Medien. Gestatten Sie bitte, dass ich mich vor allem mit Print beschäftige, weil ich mich da etwas besser auszukennen glaube.

Qualitätsjournalismus ist teuer. Man braucht gute Journalisten in ausreichender Anzahl, denen man ausreichend viel Zeit und Raum für ihre Arbeit zur Verfügung stellen muss. Bisher konnte das mit dem Geschäftsmodell der Qualitätszeitung finanziert werden, seit kurzem scheint das nicht mehr gewährleistet zu sein. Warum?

Die weltweite Wirtschaftskrise hat zum extremsten und schnellsten Einbruch bei den Werbegeldern geführt, den die Branche je erlebt hat. Minuszahlen von 20, 30 und 40 Prozent je nach Medium können nicht so einfach verdaut werden. Dazu kommt, dass sich dieser Einbruch für die Qualitätszeitungen im Gesamtergebnis ärger auswirkt als bei den Massenblättern, da bei letzteren die höhere Auflage für höhere Vertriebseinnahmen sorgt.

Aber: die Wirtschaftskrise bringt manche Firmen um - niemand hat jedoch bisher zum Beispiel aus der Pleite der Austrian Airlines auf einen Niedergang der Flugbranche geschlossen. Was ist bei den Medien anders? Die Antwort heißt Internet.

Das Internet ist die faszinierendste Entwicklung, die es bisher im Bereich der Kommunikation gab. Das Internet tangiert alle bisherigen Kommunikationsformen: Gespräch, Brief, Flugblatt, Buch, Zeitung, Film, Radio und Fernsehen.

Manche Menschen - speziell junge - verzichten weitgehend auf die bisherigen Medien und befriedigen mit Hilfe ihres Computers zu einem großen Teil ihr Informations- und Unterhaltungsbedürfnis. Ob die Information, die nur noch so aufgenommen wird, den gleichen Tiefgang hat wie man ihn aus den klassischen Medien gewinnt, sollte einmal untersucht werden. Ich persönlich bezweifle es. Hier sehe ich eine der Wurzeln dafür, dass immer mehr Menschen 'overnewsed but underinformed' sind. Denn das Internet schlägt die Zeitung in vielerlei Hinsicht - speziell in der Aktualität - , und obwohl man auch per Internet dieselben tiefschürfenden Analysen geboten bekommt wie in der Zeitung, bezweifle ich ob sie auch mit der gleichen Aufmerksamkeit aufgenommen werden wie in auf dem altmodischen Papier.

Jedenfalls hat diese Entwicklung dazu geführt, dass manche Auguren sie schlicht extrapolieren und so den Zeitpunkt ausrechnen, wann die Zeitung ausgestorben sein wird. Ein US-Medienwissenschafter namens Philip Meyer wurde weltweit bekannt, indem er in einem Buch namens 'The Vanishing Newspaper' das Datum für das Drucken der letzten Zeitung im ersten Quartal des Jahres 2043 angesiedelt hat. Bill Gates hat das Ende der Zeitungen vor einigen Jahren in Davos für 2020 vorhergesagt. Die Versuchung ist groß, durch die Nennung eines noch früheren Datums auch so berühmt zu werden - aber ich werde mich bemühen, mich zurückzuhalten.

Im Übrigen sind die Vorhersagen in unserer Branche noch volatiler als die ohnehin schon volatile Wirklichkeit. Ich erinnere daran, dass die Zeitungen wegen des Internet zuletzt totgesagt wurden, als sie ihr wirtschaftlich bestes Jahr hatten, 2000. Ein Jahr später stürzte die New Economy ab - was dazu führte, dass dieselben Auguren das Internet totsagten. Bill Gates hat dann übrigens etwas das Ende Zeitung auf 2050 verschoben, voriges Jahr wollte er sich nicht mehr festlegen und erst vor wenigen Tagen hat seine Firma Microsoft eine Kooperation mit Rupert Murdochs News Corp. angekündigt.

Mich interessiert die Frage, ob das Internet für die Medienlandschaft einen Paradigmenwechsel bedeutet - so wie zum Beispiel einstmals das Automobil die Pferdekutschen abgelöst hat. Das hat es immer wieder gegeben - und wurde noch öfter prognostiziert, weil wir so gern in der Kategorie 'entweder - oder' beziehungsweise 'hopp oder tropp' denken. So zum Beispiel wurde mit dem Aufkommen des Kino das Theater totgesagt und mit dem Aufkommen des Fernsehen das Kino. Tatsächlich sind die Marktanteile sowohl von Theater wie auch Filmwirtschaft gesunken, aber sie leben immer noch und in vielen Ländern sogar sehr gut. Stattdessen wird mittlerweile der Tod des Fernsehens, wie wir es heute kennen, vorhergesagt, als weiteres Opfer des Internet. Wäre es nicht ganz schön blamabel für so manche Propheten, wenn das gute alte Kino und das noch viel ältere Theater das Fernsehen tatsächlich überleben sollten?

Zurück zu den Tageszeitungen: Deren Auflagen sinken derzeit tatsächlich in den saturierten Märkten. Während der letzten fünf Jahre in Europa um knapp drei Prozent, in Nordamerika sogar um neun Prozent. Überall sonst sind die Auflagen aber gestiegen, weltweit um fast neun Prozent. Die Anzahl der Zeitungen sind voriges Jahr in Nordamerika um ein halbes Prozent gesunken, in Europa um ein Prozent, weltweit aber um drei Prozent gestiegen, in den letzten fünf Jahren sogar um 15 Prozent. In diesen Statistiken sind die Gratiszeitungen noch gar nicht inkludiert.

Jetzt werden Sie vielleicht fragen: Was haben wir davon, dass zum Beispiel in Indien der Zeitungsmarkt wächst, während er bei uns schrumpft? Die Antwort: Die Erkenntnis, dass auch dort, wo das Internet bereits existiert, es den Bedarf nach der guten, altmodischen Tageszeitung gibt. Überall dort, wo es keine Zeitung oder zu wenige gibt, werden welche gegründet. Nach dem Motto: Wenn es die Zeitung nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Und daraus folgt logischerweise die zweite Erkenntnis, dass auch dort, wo der Zeitungsmarkt schrumpft, der Zeitungskonsum wohl nicht auf null sinken wird.

Denn nicht nur hat das Internet gegenüber der Zeitung Vorteile, es ist auch umgekehrt: Die Zeitung ist immer griffbereit - gleichgültig ob wie seit Jahrhunderten auf Papier gedruckt oder vielleicht einmal elektronisch auf eine Folie übermittelt. Die Zeitung trägt durch Entschleunigung zur Reflexion bei. Sie bietet ein vertrautes und - im Fall der Qualitätszeitung - ein vertrauenswürdiges Team von Journalisten, die einmal am Tag aus dem Überangebot an Informationen eine je nach Blatttyp für den Leser relevante Auswahl herausfiltert, einordnet und analysiert. Die Zeitung überrascht den Leser auch immer wieder mit unerwarteten Themen und erweitert so seinen Horizont.

Wir beim STANDARD verzeichnen übrigens hohe Zuwachsraten bei Abonnenten, die Ende 20, Anfang 30 sind. Wir schließen daraus, dass auch die Lebensphase den Medienkonsum beeinflusst: Wenn man nach dem Studium, in der Phase der Familiengründung und des Berufseinstiegs, weniger Zeit hat, im Internet zu surfen und sich dann mehr auf die Selektionsfähigkeit eines Mediums mit journalistischer Glaubwürdigkeit verlässt.

Alle Mediengattungen - Zeitung, Radio, Fernsehen, Internet - haben also gegenüber den jeweils anderen Vor- und Nachteile. Daher werden sie - nach den mühsamen Umstellungsschwierigkeiten, die wir gerade erleben - zu einer Koexistenz finden. Da weder das Zeitbudget der Leser, Hörer, Seher oder User noch die Werbeetats endlos erweiterbar sind, muss sich das Internet seine Marktanteile von den anderen Mediengattungen holen, was logischerweise deren Schrumpfen bedeutet.

Das bedeutet, dass die klassischen Medien lernen müssen, mit weniger Geld auszukommen, nicht nur temporär wegen der Wirtschaftskrise. Überall ist ein massiver Sparkurs angesagt. Allein in den USA haben seit 2007 mehr als 10.000 Journalisten ihren Job verloren, auch bei der Ikone 'New York Times'. Damit nicht noch mehr Journalisten gekündigt werden müssen, werden auch die Gehälter zum Teil massiv reduziert, auch bei der europäischen Ikone 'Neue Zürcher Zeitung'.

Österreich geht wie oft einen komplizierteren Weg. Hier gibt es einen Journalistenkollektivvertrag mit so teuren Privilegien, dass die Verleger sich entweder von noch mehr Journalisten trennen müssen oder mit allerlei Tricks aus dem Kollektivvertrag zu flüchten versuchen, wenn sie wollen, dass ihre Zeitungen überleben. Und Qualitätszeitungen leiden unter dem Kollektivvertrag überdimensional, da sie einen höheren Personalkostenanteil haben als Massenzeitungen.

Aber Sparen allein wird nicht genügen, wir müssen auch die Einnahmen steigern. Die Verleger werden sich zum Beispiel trauen müssen, die Zeitungen teurer zu machen. Das wird den Schrumpfungsprozess zwar beschleunigen, aber es ist besser eine ökonomisch sinnvoll kleine als eine sinnlos große Auflage zu haben.

Außerdem gibt es derzeit überall Überlegungen, wie man im Internet auch die User dazu bekommen kann, für den Content zu bezahlen, den sie bisher kostenlos lesen konnten. Rupert Murdoch, der mit dem 'Wall Street Journal' auch die einzige Tageszeitungs-Site gekauft hat, die seit jeher erfolgreich kostenpflichtig ist, hat angekündigt, nach und nach für alle anderen Sites ebenfalls Geld zu verlangen, beginnend mit der 'Times' in London. In Deutschland will der Springer-Verlag die Inhalte vergebühren, die via Mobilgeräte vertrieben werden. Von den Erfolgen dieser und anderer Versuche wird es abhängen, ob es gelingen wird, nachhaltig auch im Internet Qualitätsjournalismus zu produzieren, da die Einnahmen aus der Bannerwerbung trotz guter Zuwachsraten zumindest vorläufig so etwas kaum finanzieren können.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch einmal aus eigener Erfahrung berichten: als ich vor nunmehr 21 Jahren den STANDARD gründete, gab ich als unsere Vorbilder die großen Zeitungen der Welt an wie 'New York Times', 'Neue Zürcher', 'Süddeutsche' und 'Frankfurter Allgemeine'. Ich wusste natürlich, dass ich mit meinen paar Dutzend Journalisten nie an die damals 1400 der 'Times' herankommen werde. Nicht einmal an die jeweils 250 bis 400 von NZZ, SZ oder FAZ. Mittlerweile haben zwar all diese Zeitungen weniger Journalisten als damals und der STANDARD mehr - aber die Kluft bleibt weiterhin beträchtlich.

Trotzdem wurde DER STANDARD von den Zeitungen der ersten Liga in ihrem Kreis aufgenommen. Denn Qualitätsjournalismus wird nicht nur durch die Höhe der eingesetzten Mittel definiert sondern auch durch einige andere nicht ganz unwichtige Ingredienzien wie zum Beispiel Unabhängigkeit, Überparteilichkeit, Wahrhaftigkeit, Lauterkeit, Fairness, Wahrung der Menschenwürde, Kommunikation mit den Lesern, Hörern, Sehern oder Usern auf Augenhöhe und ohne versteckte Agenda.

Wenn wir uns jetzt mit den Nöten des Qualitätsjournalismus in einem immer komplexer werdenden Medienmarkt beschäftigen, sollten wir alle auch überprüfen, inwieweit wir diesen Kriterien des Qualitätsjournalismus gerecht werden, die von keinerlei Krise tangiert sind."