Wien - "Bildung statt Ausbildung!" skandierend, gehen seit Wochen Studenten auf die Straßen. Ein Schlachtruf, der den Unmut über eine Uni zum Ausdruck bringt, die, so der Vorwurf, ängstlich bemüht ist, ihre Absolventen in Form zu bringen, auf dass sie fit sein mögen für den Arbeitsmarkt, der mahnenden Zeigefingers einfordert, dass man sich ihm ja geschmeidig mache und der die Idee von Bildung als einer Entfaltung als romantischen Enthusiasmus verniedlicht.

Diesen Arbeitsmarkt zu hinterfragen war Anspruch eines vom UniStandard initiierten Interviews zwischen dem an der Uni Wien tätigen Sozialwissenschafter Manfred Füllsack und Besetzern der Akademie der bildenden Künste in Wien, die im Zuge der Bildungsproteste die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen erhoben haben. Statt zweier eingeladener Besetzer kamen sechs, die anonym bleiben wollten, weil ihr Protest keinen Kopf und also keinen Namen hat.

Streik ist Arbeit

"Und wie das Arbeit ist!", geht der Ruf einhellig durch die Runde der Besetzer. Gemeint ist die Streikarbeit. Durch ihrer eigenen Hände und Gedanken Arbeit haben sie sich einen Freiraum errichtet, sich selbstständig gemacht im wissensproduzierenden Uni-Betrieb, freischaffende Bildhauer, die nicht mehr gemäß den Vorgaben des unerwünschten Auftraggebers Arbeitsmarkt, sondern endlich ihren eigenen Vorstellungen folgend sich und die Gesellschaft bilden wollen.

Den Wert dieser Arbeit wollen sie nicht in monetären Ressourcen (also Geld) bemessen wissen, ihr deswegen die Anerkennung zu versagen sei aber kleingeistig, wenn man daran denke, wie oft es gerade unbezahlte Arbeit sei, die gesellschaftliches Gedeihen ermöglicht. Beispielhaft illustriert dies einer der Besetzer anhand des Instituts für ökologischen Landbau der Uni für Bodenkultur in Wien: "Das Konzept für dieses Institut wurde von Studierenden geschaffen, die sich in jahrelanger unbezahlter Arbeit außerhalb des Lehrbetriebs mit diesem Thema auseinandergesetzt haben." Arbeit, die, weil sie unbezahlt war, vielen wohl eher als Freizeitbeschäftigung gelten würde. Wer aber hat zwischen Arbeit und Freizeit jene Missgunst gesät, die uns die beiden so leichtfüßig-selbstverständlich voneinander scheiden lässt?

In seinem kürzlich erschienenen Buch Arbeit beschreibt Manfred Füllsack, wie sehr unsere heutigen Vorstellungen von Arbeit oder davon, was als produktiv gilt, aus der Zeit der Industrialisierung stammen, obwohl Industriearbeit heute nur noch einen Tupfer im vielfärbigen Spektrum Arbeitsmarkt darstellt, der, weil er sich schneller wandelt, als wir es begreifen, einem kaum Gelegenheit bietet, sich derart auf ihn einzustellen, dass man mit Gewissheit seinen Platz darin findet. Aber muss man sich denn unbedingt in diesen Arbeitsmarkt integrieren?

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens - eines regelmäßig ausbezahlten Gehalts, dass nicht an Lohnarbeit oder soziale Bedürftigkeit gebunden ist - sei für viele, obwohl ökonomisch argumentierbar, deshalb so schwer zu verdauen, weil unsere Vorstellung von Arbeit ein träger Koloss ist, für den als Arbeit nur das gilt, womit man seinen Unterhalt finanziert. "Der durchschnittliche Arbeitnehmer weiß nicht so recht, was er mit der Idee eines Grundeinkommens anfangen soll. Der will regelmäßige Gehaltserhöhungen, einen halbwegs gesicherten Job, Aussicht auf Pension. Aber ein Grundeinkommen?", so Füllsack im Gespräch.

Auch das Angstbild, dass jeder, wäre die lästige Arbeitspflicht erst mal über Bord, den Rest seines Lebens in der sozialen Hängematte verschaukeln würde, kann nur gedeihen, wenn Arbeit zwingend mit Gelderwerb gleichgesetzt wird. Träge ist der Koloss auch deshalb, weil seine mächtigen Wurzeln bis in die tiefsten Schichten der menschlichen Psyche reichen, so tief, dass unsere Vorstellungen von Arbeit schon unser Menschenbild umranken. "Arbeite was, dann bist du was", fasst eine Besetzerin zusammen.

Aber wie an diesen Wurzeln rütteln, ohne den Eindruck zu erwecken, man sei bestrebt, Anarchie und Chaos auszurufen?

"Eine Revolution, wo es drunter und drüber geht, will wohl niemand von uns. Mich interessiert vor allem die Frage: Wie kann ein sozial verträglicher Übergang aussehen?", fragt Füllsack in die Runde. Dass sich die Parlamentsparteien in nächster Zeit dieser Fragen annehmen, glaubt er nicht. Zu groß deren Furcht, sie könnten beim Wähler als Brandstifter in Verruf kommen, wenn sie sich brennender Themen annehmen.

Aber wer, wenn nicht die politischen Parteien, soll sich dann den mühsamen Strapazen dieser Arbeit aussetzen? "Vielleicht ihr." (Konstantin Teske, DER STANDARD, Printausgabe, 26.11.2009)