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"Das Gefühl der Erleichterung bei Völlegefühl, das mit der Konsumation von Schnaps nach dem Essen einhergehen kann, liegt in der Betäubung der Magenschleimhäute."

Roland Mader, Oberarzt und Koordinator des Bereichs Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit am Anton Proksch-Institut.

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Gerald Fischer, Begründer und Leiter des Alt-Wiener-Schnapsmuseums.

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Alexa L. Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien.

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Essen ist eine Freude. Zeitgleich mit dem Martinigansl werden die Faschingskrapfen aus dem Butterschmalz geholt. Auf Punsch und Lebkuchen folgt der gebackene Weihnachtskarpfen. Schinkenrolle und Marzipan-Glücksschwein läuten das neue Jahr ein und am Ende ruft ein Heringschmaus-Exzess zur Fastenzeit.
Um den Organismus von der Zufuhr von Fett und Kalorien zu entlasten, ist es nicht unüblich, nach dem Essen ein Schnapserl zu kippen. Nicht zuletzt, um sich danach mit einem guten Gefühl dem nächsten Gang widmen zu können.

"Alkohol wirkt vor allem auf das Gehirn und nicht auf die Verdauung"

"Ein Schnapserl nach dem Essen bringt gar nichts", weiß Roland Mader, Oberarzt und Koordinator des Bereichs Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit im Anton Proksch-Institut. Keine einzige wissenschaftliche Untersuchung zeige, dass es positive Effekte auf den Organismus habe.
Dass sich Schnaps nach dem Essen förderlich auf die Verdauung auswirken solle, sei ein Gerücht, das aus dem subjektiven Empfinden des Alkoholkonsums entstehe. "Alkohol ist eine Droge. Wenn ich ihn zu mir nehme, fühle ich mich besser. Er wirkt vor allem auf das Gehirn und nicht auf die Verdauung."

Das Gefühl der Erleichterung bei Völlegefühl, das mit der Konsumation von Schnaps nach dem Essen einhergehen kann, liegt für Mader in der Betäubung der Magenschleimhäute. Schnaps reizt die Schleimhäute, was bei chronischer Zufuhr zu Entzündungen und auch zu schwerwiegenderen Erkrankungen führen kann.

Am anderen Ende des Alkohol-Expertentums angesiedelt, bestätigt der Begründer und Leiter des Alt-Wiener-Schnapsmuseums, Gerald Fischer: "Es ist definitiv ein Gerücht, dass Alkohol die Verdauung verbessern und Fett beseitigen kann." Ein guter Edelbrand nach dem Essen befriedige eher Gaumen und Geist und trage dadurch zum Wohlbefinden bei.

"Gesundheitsfördernd, wenn kein Alkohol dabei wäre"

"Alkoholische Getränke können die Produktion von Magensaft zwar anregen, das ist aber vor allem bei niedrigen Alkoholdosen der Fall. Hochprozentiges scheint das Gegenteil zu bewirken", erklärt Alexa L. Meyer, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Die vermeintlich positiven Effekte seien nicht auf den Alkohol, sondern auf Begleitstoffe zurückzuführen, die bei Fermentationsprozessen – etwa in Bier und Wein – entstünden oder von Kräutern stammten, die bei der Schnapsproduktion eingesetzt werden. Rotwein könnte man etwa durch seinen Gerbsäuregehalt bedingt als gesundheitsfördernd einstufen – wenn er keinen Alkohol enthalten würde, bestätigt auch Mader.

"Medizin" Magenbitter?

Gerade weil aus Kräutern gewonnene Schnäpse wie Magenbitter in der Gesellschaft als Medizin gelten, warnt Suchtexperte Mader davor: "Da kann aus dem Stamperl schnell eine Flasche werden." Unter seinen Patienten seien einige durch den Genuss von Schnaps als "Medizin" nach dem Essen wieder alkoholkrank geworden. "Sie brauchen für ihren Rückfall oft eine Entschuldigung."

Alkohol macht hungrig

"Wenn Sie zu fett und zu üppig gegessen haben, keine Luft mehr bekommen und denken, Sie können nie wieder aufstehen, dann probieren Sie einen "Pater Noster" – einer genügt – und sagen Sie mir, ob Sie fünf Minuten später nicht doch noch eine Sachertorte bestellt haben." Was Schnapsmuseum-Chef Fischer aus der Praxis erzählt, belegt Ernährungswissenschaftlerin Meyer mit Fakten: "Der Abfall des Blutzuckerspiegels durch Alkohol kann Hungergefühl auslösen. Außerdem steigt der Energieumsatz kurzfristig an." Die beim Abbau von Alkohol anfallenden Stoffwechselprodukte hemmen den Abbau von freien Fettsäuren und führen gleichzeitig zu einer Neusynthese von Fett in der Leber, was bei chronischem Alkoholismus zu einer Leberverfettung führt. Ein einzelner Schnaps habe zwar keine derart dramatischen Auswirkungen, ein leichter Anstieg von freien Fettsäuren im Blut trete aber sehr wohl auf.

Ein Kraftakt für den Körper

Da der Organismus ohnehin mit dem Abbau des fetten Essens belastet sei, koste ihn der Abbau von Schnaps noch mehr Kraft: "Der Körper kann Alkohol zwar abbauen, aber ich beschäftige ihn ordentlich damit – speziell die Leber. Das raubt Kraft und macht müde", hält Mader fest. Meyer konkretisiert, dass an Müdigkeit und Schwächegefühl vor allem der Abfall des Blutzuckers beteiligt sei. Und auch Fischer würde Schnaps nicht unbedingt "als Doping beim Sporteln einsetzen".

Legitimation...

Aber wie ist es überhaupt zum Mythos vom Verdauungsförderer Schnaps gekommen?
Gerald Fischer verweist auf das Brennrecht von Maria Theresia, das den Landwirten die Destillation von Obst zu Obstler gesetzlich erlaubte. "Beim Bauern der ausg'steckt hatte, bekam man das beste und üppigste Essen. Als Abschluss kredenzte er seinen gebrannten ‚Schatz', was zu angeregten Gesprächen, lustiger Stimmung und zu einem gelungenen Ausklang des Tages führte." Als Souvenir habe man sich ein Fläschchen in die Stadt mitgenommen, um es wiederum seinen Gästen als "Trophäe" zu servieren – unter Geheimhaltung der Quelle.

... und Tradition

"Vielleicht kommt das Schnapserl nach dem Essen aus einer Zeit, in der man ausschließlich die vermeintlich angenehmen Wirkungen von Alkohol gekannt hat und in der es die Untersuchungen über die negativen Auswirkungen noch nicht gegeben hat", kann sich Mader vorstellen. Auch die Legitimation, sich einen Schnaps gönnen zu dürfen, weil er einfach "dazu gehört", spiele vermutlich eine Rolle: "Jetzt habe ich so viel und so fett gegessen, da muss ich einen Schnaps trinken."

Käse oder Espresso als Alternativen?

Also besser den Magen mit Käse oder einem Espresso "schließen"? Der Schnapsmuseums-Chef: "Auch Käse schließt den Magen nicht, sondern befriedigt einfach andere Geschmacksnerven."
Sowohl Schnaps als auch Käse lieferten zusätzliche Energie, was nach einem ohnehin kalorienreichen Essen nicht unbedingt erstrebenswert sei, rät Ernährungswissenschaftlerin Meyer ab. Dazu komme ein je nach Sorte mehr oder weniger hoher Fettgehalt.
Für günstiger erachtet sie Kaffee nach dem Essen, da dieser Antioxidantien enthalte und tatsächlich die Verdauung stimuliere. Was Mader bestätigt: "Ein Espresso steigert den Grundumsatz des Körpers und kurbelt die Fettverbrennung an."

Gewürze und Kräuter

"Vorbeugung ist vielleicht die beste Methode", rät Meyer zu einem bewussten Umgang mit der Völlerei. Man solle versuchen, langsam zu essen und vor allem gut zu kauen. Darüber hinaus würden Gewürzmischungen wie Koriander, Curcuma, Kreuzkümmel, Ingwer und Pfeffer besonders verdauungsfördernd wirken, da sie zur Stimulation der Magensaftproduktion beitragen und die Ausschüttung von Verdauungsenzymen und Gallensaft erhöhen. Letzterer sei speziell für die Fettverdauung relevant. Meyer: "Auch Gewürztees bieten eine gute Alternative zum Schnapserl oder zum Espresso nach dem Essen." (red, derStandard.at, 26. 11. 2009)