Helga Philipp bewegt den Betrachter; Kinetisches Objekt um 1963, aus einer zwölfteiligen Serie.

Foto: Nachlass Helga Philipp

St.Pölten - 2002 erlag Helga Philipp einem Krebsleiden. Und hinterließ hunderte Bilder, die nur wenige zu Lebzeiten der Künstlerin gesehen haben. Sie selbst war immer präsent, hat mit ungemein vitaler Neugier verfolgt, was an Kunst produziert wird, hat an sich erprobt, was sich seit ihren Anfängen in Otto Mauers Galerie Nächst St. Stephan Ende der 60er-Jahre leitmotivisch durch ihrer Arbeit zog: die Relation Bild zu Betrachter.

Wer bedingt wen? Wie verhält sich das festgelegte und zudem noch fix montierte Bild zum dynamischen Besucher? Wie prägt die jeweilige Umgebung das Bild von ihrem Bild, was bewirkt das Wechseln des Lichts, was ändert ein einfallender Schatten?

Und: Wie kann das Bild rückwirken? Wie muss es beschaffen sein, um den immer unbekannten Betrachter zu irritieren, die Konventionen seiner Wahrnehmung nachhaltig zu erschüttern? Helga Philipp gilt als "konkrete Künstlerin" ; und als solche für Österreich als Pionierin.

Die Retrospektive am Landesmuseum in St.Pölten zeigt nun erstmals einen repräsentativen Blick auf Helga Philipps Schaffen, bringt - feinstens restauriert - auf 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche 250 Werke aus dem Nachlass und dem Besitz der Sammlung des Landes ans Licht einer prospektiven Öffentlichkeit; die sich das Haus auch durch die Neugestaltung von Foyer und der nun konzentrierteren Präsentation der kunsthistorischen Schausammlung verspricht.

Helga Philipp wäre heuer 70 Jahre alt geworden. Ihr Werk ist weitgehend unbekannt geblieben. Ihr Einfluss zumindest indirekt immer noch prägend: Von 1965 bis 2002 war sie als Professorin an der "Angewandten" tätig. Ihre bekanntesten Schüler waren Gerwald Rockenschaub, Franz Graf, Brigitte Kowanz und Heimo Zobernig. Noch während ihres eigenen Bildhauereistudiums bei Hans Knesl an der Universität für angewandte Kunst kam Philipp 1958 durch eine Reise zur Biennale in Venedig und durch ihre Freunde aus der Wiener Gruppe (H. C. Artmann) und dem Wiener Formalfilm (Marc Adrian) in Kontakt zur internationalen Op- Art.

Mit ihren "Kinetischen Objekten" hat sie, wie Peter Weibel betont, "Paradebeispiele dieser Kunstrichtung" geschaffen und danach, neben den Traditionslinien aus Wiener Kinetismus und Bauhaus, auch die Prinzipien von Minimal Art und Konzeptkunst in ihre Arbeit integriert. Philipps Werk war in wesentlichen Ausstellungen der Sechzigerjahre vertreten, Otto Mauer nahm sie prominent in das Programm seiner Galerie nächst St. Stephan auf. Jetzt gilt es zu entdecken, was Philipp als "objektive Künstlerin" , deren Aufmerksamkeit stets den kleinen Abweichungen galt, den maskulinen Geniewischern ihrer Zeitgenossen im Stillen entgegenzuhalten hatte.

Im Stillen etwa der Theophil- Hansen-Villa in Ternitz, die sie erwarb und deren Raumfolgen bzw. schlicht die Menge an Platz, die das heruntergekommene Gebäude bot, ihr die großformatigen Malereien ermöglicht haben. Malereien, die letztlich den Schritt hin von den - im Sinne einer Autorenschaft - nachgerade anonymen Siebdrucken, Arbeiten auf Transparentfolie und Plexiglasschichtungen, zu den verhalten "handschriftlichen" Bildern der letzten Jahre eingeleitet haben.

Selbst die Beschränkung auf Schwarz-Weiß bzw. eine fein abgestufte Grauwertskala wurde im Spätwerk aufgebrochen: Blau kam neben das Schwarz in Öl auf die Leinwand (den bevorzugten Grund der gestenreichen Genies). Und breit angelegte Siebdruckzyklen aus ihren letzten Lebensjahren thematisieren Farbverläufe quer durchs Spektrum.

Zur Ausstellung erschien auch erstmals eine Gesamtdarstellung des Werkes Helga Philipps, herausgegeben von Carl Aigner, dem Direktor des NÖ Landesmuseums, und Gerald Bast, dem Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien. Das bei Springer verlegte Buch enthält ebenso einführende wie nachträglich die Position und Einordnung des Werks in eine österreichische Kunstgeschichte klärende Textbeiträge von Peter Weibel, Katrin Draxl, Manfred Wagner, Brigitte Borchhardt-Birbaumer und Anna Spohn.

Parallel zur Präsentation in St.Pölten ergänzt eine Werkschau in der Galerie Konzett, Wien, die längst fällige Neupositionierung. (Markus Mittringer, DER STANDARD/Printausgabe 24.11.2009)