"Kommen Sie, ich zeige Ihnen das Minarett" , sagt Ulysse Moh. Seine Stimme hallt im kalten Keller. Eine spiralförmige Treppe führt durch das feuchte Dunkel steil nach oben. Nach rund 100 Stufen fällt Licht in den engen Turm. Die Tür zum Balkon steht offen. Über der Empore ragt die grüne Spitze des Minaretts in den grauen Himmel, darauf stehen drei Kugeln, ganz oben liegt ein Halbmond.
"Das Minarett hier in Genf ist rund 40 Meter hoch" , sagt Ulysse Moh, der Hausmeister, "der Turm soll den Gläubigen den Weg zur Moschee weisen." Die Genfer Moschee ist das größte islamische Gotteshaus der Schweiz. Der König von Saudi-Arabien finanzierte den Bau und kam persönlich zur Eröffnung 1978, wie Ulysse erzählt. Man spürt seinen Stolz. Kurz darauf wechselt sein Gesichtsausdruck, er erwähnt "die Initiative" .
Eine Gruppe rechtsgerichteter Eidgenossen will mit Verstärkung der Schweizer Volkspartei den Bau von weiteren Minaretten in der Schweiz per Verfassungsänderung verbieten. Rund 115.000 Schweizer haben die Abstimmung mit ihrer Unterschrift erzwungen. Noch nie entschieden in einem Land die Menschen über eine vergleichbare Frage. In Wirklichkeit ist es mehr als das: Es ist ein Plebiszit über den Islam. "Erst sind es die Minarette, dann die Moscheen, dann die Muslime" , sagt Moh.
Die Gegner der Minarette setzen bei der Stimmungsmache auf Angst - vor dem Islam, vor Fanatikern. Das Minarett symbolisiere den "Machtanspruch" des Islam über die Schweiz, sagen sie. Einer ihrer Wortführer ist SVP-Abgeordneter Walter Wobmann: "Die Befürchtung ist groß, dass den Minaretten der Gebetsrufer, der Muezzin, folgen wird" , warnt er. Dann drohe die Scharia.
Als Höhepunkt ihrer Anti-Minarett-Kampagne präsentierten Wobmann und seine Mitstreiter ein Plakat, auf dem eine grimmig schauende, verhüllte Frau zu sehen ist und Minarette Schatten auf die Schweizer Fahne werfen. Die Stadt Basel verbot das Poster, UN-Menschenrechtsexperten rügten dessen "provozierende" Botschaft. In Genf prangt es an allen Straßen und Plätzen - auch nahe der Moschee.
Erst vor wenigen Tagen verübten Islam-Gegner mit Pflastersteinen einen Anschlag auf das Gebäude. Zwar ohne Verletzte, doch die "Initiative" , ist sich ein Muslim sicher, stachelt zum Hass auf Muslime an. Sie sei "vor allem eine Diskriminierung all jener Muslime, die sich im Rahmen des gesellschaftlichen und interreligiösen Dialogs engagieren" , sagt Hisham Maizar, Präsident der Föderation islamischer Dachorganisationen Schweiz.
Die Ablehnung gegen die Kampagne reicht bis ins bürgerliche Lager: "Die einzige Wirkung eines Minarettverbots wäre, dass sich Muslime diskriminiert fühlen würden" , warnt der christlich-demokratische Abgeordnete Norbert Hochreutener. Damit würde sich der Staat in Gefahr begeben. Aus Regierung und die Wirtschaft warnen Stimmen vor der Empörung, die im Ausland folgen könnte.
Bislang galten die Beziehungen der Schweizer zu muslimischen Migranten als relativ problemlos. Als 1963 die muslimische Gemeinde in Zürich die erste Moschee mit Minarett in der Schweiz einweihte, lobte der Bürgermeister den Bau als Symbol des "weltoffenen und liberalen Charakters" seiner Stadt.
Auf die aktuelle Panikmache der Anti-Minarett-Aktivisten kontert Youssef Ibram, Imam der Genfer Moschee: "Wir sind nicht verantwortlich für Bin Laden, wir sind nicht verantwortlich für Al-Kaida, wir sind nicht verantwortlich für die Taliban in Afghanistan, wir sind nicht verantwortlich für das, was in Pakistan passiert, wir sind nur verantwortlich für uns."
Bisher erreichte die Initiative in keiner Umfrage eine Mehrheit. Wovor haben viele Moscheebesucher also Angst? Ibram: "Wenn schon fünf Prozent der Schweizer das Verbot der Minarette verlangen, ist das eine Niederlage für uns. Es würde zeigen, dass wir Muslime in der Schweiz nicht willkommen sind." (Jan Dirk Herbermann aus Genf/DER STANDARD, Printausgabe, 24.11.2009)