Obwohl die Vereinigten Staaten vor kurzem ein BIP-Wachstum von 3,5 Prozent für das dritte Quartal meldeten, was darauf hindeutet, dass die schlimmste Rezession seit der Großen Depression vorbei ist, steht die amerikanische Wirtschaft tatsächlich wesentlich schwächer da, als die offiziellen Daten ahnen lassen. Doch könnten die offiziellen BIP-Messungen das Wachstum der Wirtschaft extrem übertreiben, da sie die Tatsache außer Acht lassen, dass die Wirtschaftsstimmung in kleinen Firmen katastrophal ist und ihre Produktion immer noch steil fällt. Das BIP im dritten Quartal dürfte - ordnungsgemäß um diese Faktoren korrigiert - eher zwei Prozent als 3,5 Prozent betragen haben.

In den USA haben wir es in der Tat mit zwei Wirtschaften zu tun. Es gibt eine kleinere, die sich langsam erholt, und eine größere, die sich immer noch in einem tiefen und anhaltenden Abwärtstrend befindet.

Man führe sich folgende Fakten vor Augen: Obwohl Amerikas offizielle Arbeitslosenquote bereits bei 10,2 Prozent liegt, springt die Zahl auf satte 17,5 Prozent, wenn entmutigte Arbeiter und Kurzarbeiter einbezogen werden. Und obwohl die Daten der Firmen darauf hinweisen, dass in den letzten drei Monaten etwa 600.000 Jobs verlorengegangen sind, legen Befragungen nahe, dass es sich um über zwei Millionen verlorene Jobs handelt. Außerdem kürzen viele Firmen die Stunden ihrer Mitarbeiter, sie beurlauben sie oder senken ihre Gehälter, um das Leid zu verteilen. Viele der verlorenen Arbeitsplätze fallen für immer weg, zudem deuten neuere Studien darauf hin, dass ein Viertel der US-Arbeitsplätze im Laufe der Zeit vollständig in andere Länder ausgelagert werden könnte. Deshalb verliert ein zunehmender Anteil der Arbeitskräfte die Hoffnung darauf, eine gewinnbringende Beschäftigung zu finden.

Man denke auch an die Kreditmärkte. Kreditnehmer mit hoher Bonität und guten Kreditwerten erleben derzeit keine Kreditklemme. Kreditnehmer mit geringer Bonität - etwa ein Drittel der US-Haushalte - haben jedoch kaum Zugang zu Hypotheken und Kreditkarten. Sie leben von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck - aufgrund der sinkenden Stundenlöhne und Arbeitsstunden oft von einem schrumpfenden Einkommen.

Oder man führe sich die Insolvenzen und Zahlungsausfälle bei Haushalten und Firmen vor Augen. Größere Firmen - sogar die mit großen Schuldenproblemen - können ihre überhöhten Verpflichtungen vor Gericht oder außergerichtlich refinanzieren; aber eine bislang unerreichte Zahl an kleinen Unternehmen geht bankrott. Dasselbe gilt für Haushalte, da Millionen von schwächeren und ärmeren Kreditnehmern ihre Hypotheken, Kreditkarten, Autokredite, Studentendarlehen und anderen Formen von Verbraucherkrediten nicht bedienen können. Gewiss, die US-Regierung erhöht ihre Haushaltsdefizite, um die Nachfrage zu stützen. Aber die meisten bundesstaatlichen und kommunalen Regierungen, die einen Einbruch der Steuereinnahmen verzeichnen, müssen ihre Ausgaben stark einschränken, indem sie Polizisten, Lehrer und Feuerwehrleute feuern. Bundesstaaten und Kommunen sind vom Bankrott bedroht, es sei denn, die US-Regierung schnürt ein massives Rettungspaket für ihre Finanzen.

Während die USA theoretisch fast am Ende einer schweren Rezession angekommen sein dürften, steht ein Großteil Amerikas vor einer Beinahe-Depression. Es ist daher kaum verwunderlich, dass wenige Amerikaner glauben, dass das, was wie eine Ente läuft und wie eine Ente quakt, tatsächlich der Phönix der Erholung ist. (©Project Syndicate, 2009. Übersetzung: Anke Püttmann; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21./22.11.2009)