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Der Bosnien-Beauftragte Valentin Inzko in seinem Büro in Sarajewo. Dass sein Büro im Februar in das eines EU-Sonderbeauftragten umgewandelt werden kann, hält er für wünschens-wert - noch ist er aber skeptisch.

Foto: Reuters/Sagolj

Der Hohe Repräsentant der Internationalen Gemeinschaft in Bosnien, Valentin Inzko, glaubt an eine Visafreiheit für Bosnien im Juli 2010. Eine EU-Mitgliedschaft Bosniens sieht er nach 2014, sagte er zu Adelheid Wölfl in Sarajevo.

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STANDARD: Diese Woche hat die internationale Gemeinschaft die Fortschritte in Bosnien evaluiert. Gibt es die überhaupt?

Inzko: Auf dem Weg zur Visaliberalisierung gab es Fortschritte wenn es auch schon zehn nach zwölf war. Andererseits gibt es fünf Ziele und zwei Bedingungen für die Umwandlung des Büros des Hohen Repräsentanten (OHR) in ein Büro eines Sonderbeauftragten der EU (EUSR). Und von den fünf Zielen wurde kein einziges voll erfüllt. Die Regierung hat etwa nicht festgestellt, wie viel Staatseigentum es eigentlich gibt, also haben wir das selber gemacht. Das ist an sich frustrierend, aber wir konnten innerhalb von zwei Monaten das schaffen, was die Regierung innerhalb von ein paar Jahren nicht geschafft hat.

STANDARD: Wann könnte Bosnien Visafreiheit bekommen?

Inzko: Wir hoffen mit 1. Juli kommendes Jahr. Ein Unterschied von sechs Monaten zwischen der Visaliberalisierung in Mazedonien und Serbien und der in Bosnien wäre noch irgendwie erträglich, aber ein Unterschied von einem Jahr wäre eine Katastrophe für die Psychologie der Menschen. Es ist vor allem ein bosniakisches Problem hier (die bosnischen Kroaten haben fast alle einen kroatischen Pass und sind daher ohnehin visafrei und die Serben aus Serbien brauchen in wenigen Wochen keine Visa mehr, Anm. der Red.). Ich erwarte aber nicht, dass die bosnischen Serben massenhaft serbische Pässe beantragen werden. Wenn der Unterschied aber ein Jahr ist oder länger, könnte es dazu kommen.

STANDARD: Kann im Februar das OHR geschlossen werden?

Inzko: Ich hoffe es, ich bin ein großer Europäer. Aber die Erfahrung zeigt, dass es schon oft versucht wurde. Schon drei oder vier Vorgänger von mir haben gesagt, sie seien die letzten Hohen Repräsentanten.

STANDARD: Woran sind die Butmir-Gespräche zur Verfassungsreform gescheitert?

Inzko: Sie sind nicht gescheitert, sondern werden als Prozess fortgeführt. Das Verhandlungsteam wird Anfang Dezember entscheiden, wie es weiter gehen soll. Ich persönlich und auch weil ich Bosnien kenne, glaube, dass sie weitergeführt werden und weitergeführt werden müssen. Es gibt auch ein Sprichwort: Ein Weizenkorn auf einem Weizenkorn ergibt einen Kuchen und Ziegel auf Ziegel ergibt ein Haus. Wir bauen bei der Verfassungsreform mit Ziegeln weiter. In Bosnien wird es den Big Bang nicht geben, sondern kleine Fortschritte. Aber es wird nicht leicht sein.

STANDARD: In Bosnien können nur Serben, Kroaten und Bosniaken Staatspräsidenten werden, nicht aber Roma oder Juden.

Inzko: Der Vorsteher der jüdischen Gemeinde hier, Jakob Finci hat eine Beschwerde beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof eingebracht und der wird dort wahrscheinlich gewinnen. Es gibt hier ja auch viele andere Nationen. Es gibt Österreicher ¬- mein Nachbar am Meer unten heißt Preisinger und ist aus Sarajevo -, Tschechen, ein paar tausend Albaner, Resttürken und tausende Roma. Und es gibt hunderttausende Menschen aus gemischten Ehen. Der Bürgermeister von Tuzla ist ein Muslim und seine Frau ist Kroatin, die Tochter weigert sich, sich als Kroatin oder Bosniakin zu deklarieren. Sie deklariert sich als Bosnierin und kann deshalb nicht kandidieren für einige politische Ämter. Das ist absurd. Das ist so, wie wenn man sich in Österreich als Deutscher, Kroate oder Kärntner Slowene aber nicht als Österreicher deklarieren müsste. In ganz Bosnien umfasst diese Gruppe der Menschen aus gemischten Ehen zwanzig Prozent oder mehr. Diese Vorkehrung muss also weg! Solche Reformen könnten durchgehen, bei größeren bin ich aber skeptisch, obwohl sie wünschenswert wären. Der Staat muss einfacher und schlanker werden.

STANDARD: Die beiden Entitäten (Föderation und Republika Srpska) können auf der gesamtstaatlichen Ebene alle Gesetze blockieren, wenn sie ein Veto einlegen. Kann Bosnien mit diesem Blockademechanismus der EU beitreten?

Inzko: Bei der Verfassungsreform war ein Punkt unumstritten, die so genannte "Europäische Klausel". Ich hoffe, dass man mit dieser Klausel dieses Entitätsveto einschränken kann. Die Serben werden natürlich nie dafür sein, aber meines Erachtens würden sie gar nichts verlieren, wenn sie bei Nato- oder EU-Fragen oder technischen Fragen, das Entitätsveto nicht verwenden. Ich bin für den Schutz der Entitäten, die sollen nicht über den Tisch gezogen werden. Ich bin aber auch dagegen, dass dieses Entitätsveto missbraucht wird. Von den letzten 200 Gesetzesvorlagen konnten 70 wegen des Vetos nicht weitergeführt werden.

STANDARD: Aber gibt es irgendein Druckmittel gegen den Missbrauch des Entitätsvetos?

Inzko: Kaum. Das ist im Vertrag von Dayton verankert.

STANDARD: Der Premier der Republika Srpska (RS), Milorad Dodik hat in der Vergangenheit stark auf die vitalen Interessen der RS hingewiesen und er wurde dabei von Serbien unterstützt.

Inzko: Dodik ist ein großes Talent, im positiven wie im negativen. Der serbische Präsident Boris Tadic hat immer korrekte Stellungnahmen abgegeben, was die territoriale Integrität Bosniens betrifft. Gleichzeitig unterstützt Serbien stark den Premier der RS und die RS selbst. Sonderbeziehungen der Entitäten zu den Nachbarländern sind aber im Vertrag von Dayton vorgesehen.

STANDARD: Es ist vielleicht legal, aber ist es auch schlau, wenn der Präsident Serbiens in die bosnische RS fährt und dort eine Schule namens "Serbien" einweiht?

Inzko: Ich habe das als nicht besonders innovativ bezeichnet. Die Schule könnte besser "Schule Ivo Andric" heißen, weil Andric Serbien und Bosnien verbindet.

STANDARD: Muss der EUSR Sondervollmachten behalten?

Inzko: Ja, weil der Dayton-Vertrag weiter interpretiert werden muss. Eine Möglichkeit ist, dass der EUSR das Recht bekommen könnte, einen Mechanismus in Gang zu setzen, sodass ein Schiedsgericht eine bindende Entscheidung trifft. Für den Sonderdistrikt Brcko gibt es bereits so einen Mechanismus. Wir müssen aber von der Daytoner Logik zur Brüsseler Logik kommen. Nur, da liegen 5000 Kilometer dazwischen. Das ist ein Marathon.

STANDARD: Wenn man diesen Marathon laufen würde, wann würde Bosnien dann in der EU ankommen?

Inzko: Ich würde mich sehr freuen, wenn am hundertsten Jahrestag des Attentats von Sarajevo (Juni 1914, Anm. der Red.), Bosnien einer Vollmitgliedschaft schon nahe wäre. Vielleicht wird es dann schon 16 Kapitel von 31 des EU-Rechtsbestandes abgearbeitet haben. Es wäre ein Ziel, wenn man zu diesem Zeitpunkt sagen könnte: Nächstes Jahr ist der Beitritt.

STANDARD: Sie haben veranlasst, dass in Mostar die Politikergehälter nicht ausbezahlt werden, weil es dort seit einem Jahr keinen Bürgermeister gibt. Das hat nichts genützt. Was werden Sie jetzt machen?

Inzko: Bis Anfang Dezember werde ich einen neuen Mechanismus in Gang setzen, der eine Wahl definitiv ermöglichen wird. Ich werde auch Sorge tragen, dass dann alle anwesend sind.

STANDARD: Sie haben beim Fußballspiel Bosnien gegen Portugal einen Schal mit der bosnischen Flagge getragen. War es enttäuschend, dass Bosnien verloren hat?

Inzko: Sehr enttäuschend. Ich war ja selbst in Portugal bei dem Spiel und bin vorher sogar extra nach Fatima gepilgert. Ein Sieg wäre wie Balsam für die Wunden Bosniens gewesen. (Langfassung des Printausgabe vom 21.11.2009 erschienen Interviews)