Bundeskanzler Werner Faymann lässt nichts über die neuen Chefs in der EU kommen: "Man muss ihnen eine Chance geben."

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STANDARD: Herman Van Rompuy hat ein Jahr Erfahrung als belgischer Premier, Catherine Ashton genauso lange als EU-Kommissarin. Romano Prodi hat schockiert auf diese Bestellungen reagiert. Gab es denn keine besseren Kandidaten für die EU-Top-Jobs?

Faymann: Es sind die Richtigen, aus mehreren Gründen. Sie haben jetzt Gelegenheit, zu zeigen was sie können. Ich habe schon oft erlebt, dass jemand am Anfang unterschätzt wird und dann umso besser dasteht. Diejenigen, die Ashton schon lange kennen, haben alle den Eindruck, dass sie engagiert Ideen vertritt. Sie geht Konflikte an mit dem Ziel, sie zu lösen, und nicht, sie zu verkomplizieren.

STANDARD: Dennoch: Beide wirken sehr unbedarft und es entsteht der Eindruck, dass das den Staats- und Regierungschefs gar nicht so unrecht ist.

Faymann: Ich kenne beide, und ich kann mich an die Zeitungsberichte erinnern, als Angela Merkel Ministerin wurde. Damals hat es auch geheißen: "Ja, kann die das denn überhaupt?" Mittlerweile ist Merkel wiedergewählte Bundeskanzlerin. Man muss jemandem, der gute Voraussetzungen hat wie diese beiden, eine Chance geben. Van Rompuy wird in Belgien attestiert, dass er Kompromisse schließen und Streitparteien zusammenbringen kann. Das ist etwas, was wir in Europa dringend brauchen. Da sind wir in vielen Fragen nicht einig, wo wir uns einig sein müssten. Stichwort: Finanzmarktkontrollen oder Arbeitslosigkeit.

STANDARD: Aber es steht doch außer Frage, dass das eine Kompromisslösung ist.

Faymann: Wenn 27 Staaten einstimmig für diese beiden Kandidaten stimmen, heißt das nicht, dass jedes einzelne Land nicht auch eigene Favoriten gehabt hat. Diesen Kompromiss muss man aber einmal zustande bringen. Ob jemand farblos ist oder nicht, stark genug oder nicht, das sehen wir in ein, zwei Jahren. Wir haben so viele drängende Fragen, wenn die EU da starke Antworten gibt, werden beide bald sehr bekannt werden. Wenn die EU schwach ist, dann werden wir alle nicht gut ausschauen. Friedensunion ist das eine, Sozialunion ist das andere. Und die erwarten sich die Menschen jetzt.

STANDARD: Engagement und guter Wille sind eines, Qualifikation etwas anderes. Baroness Ashton hat in ihrem Leben noch keine Stunde Außenpolitik verantwortet.

Faymann: Die Briten sagen, dass sie sich um Europapolitik und gerade die Diskussion um den Lissabon-vertrag federführend gekümmert hat. Dazu ist sie eine Frau, das war im Entscheidungsprozess sehr wichtig.

STANDARD: Frausein allein ist keine Qualifikation, oder?

Faymann: Das ist wahr, aber Mannsein alleine auch nicht. Es muss sie oder ihn nicht ganz Europa kennen und qualifiziert finden. Man darf ihnen aber auch ein gewisses Vorschussvertrauen geben.

STANDARD: Noch einmal: Die Regierungschefs wollen Köche bleiben und haben sich Schanis eingestellt?

Faymann: Wenn sich die 27 Regierungschefs nicht einig sind, bringen sie nichts zustande. Wenn das Parlament nicht mitzieht, dann geht auch nichts weiter. Wollen wir jemanden, der abseits von allen anderen Entscheidungsträgern steht? Oder wollen wir jemanden, der imstande ist, zu überzeugen und Entscheidungsprozesse zusammenzuführen? Ich glaube, Letzteres. Der Teamgeist muss im Vordergrund stehen.

STANDARD: Sie sagen, man muss Van Rompuy und Ashton Zeit geben. Als EU-Superpraktikanten?

Faymann: Man kann immer über jemanden etwas Abwertendes sagen. Die Bevölkerung wird uns nicht danach beurteilen, ob einer mehr oder weniger super ist, sondern danach, was wir zustande bringen.

STANDARD: Soll Benita Ferrero-Waldner weiter in der EU tätig sein?

Faymann: Ich gehe davon aus, dass sich die Kommissarin in die Privatwirtschaft begeben wird. Wenn Catherine Ashton nicht sofort als Vizepräsidentin der Kommission bestellt wird und vorerst nur ihre außenpolitischen Agenden für den Rat aufnimmt, dann könnte es sein, dass Ferrero-Waldner interimistisch die Außenhandelsagenden übernimmt.

STANDARD: Heißt Privatwirtschaft OMV?

Faymann: Da mische ich mich nicht ein. Wenn jemand vorhat, in die Privatwirtschaft zu gehen, dann wäre das verkehrt, über Firmen zu spekulieren.

STANDARD: Was sagen Sie Ihren Kritikern, die sagen, Sie verhinderten Gusenbauer und Schüssel?

Faymann: Ich habe die Leute nie darüber belogen, wo es Chancen gibt und wo nicht. Ich habe in den vergangenen Wochen in den engeren Entscheidungsprozessen zwanzig Namen gehört. Die beiden waren nicht dabei. Das heißt ja nicht, dass man über sie nicht respektvoll spricht oder dass ein Politiker sie einmal nennt. Ich habe nichts Negatives über die beiden oder andere Kollegen gehört, im Gegenteil. Aber am Schluss wurde über zehn Namen geredet. Und bei diesen war kein Österreicher oder keine Österreicherin dabei.

STANDARD: Sie sind jetzt fast ein Jahr im Amt, in dieser Zeit sind sowohl die Werte der SPÖ als auch Ihre persönlichen Werte in praktisch allen Umfragen gesunken. Wie interpretieren Sie das?

Faymann: Die Werte der SPÖ sind ziemlich stabil. Wir würden wieder das gleiche Wahlergebnis haben, ein Prozent auf oder ab. Aber das ist natürlich zu wenig. Ich bin dankbar, dass uns die Wähler mit 30 Prozent die Chance gegeben haben, an den ersten Platz zu kommen. Aber zufrieden bin ich nicht. Ich bin überzeugt: Wenn man konsequent Wahlversprechen erfüllt, keine Versprechen bricht, klare Visionen hat, wo man hin will, wenn man ehrlich ist und konsequent bleibt, dann haben wir gute Chancen, an alten Wahlerfolgen anschließen zu können.

STANDARD: In einer Woche werden Sie eine Rede zum ersten Jahrestag der Regierung halten. Was werden Sie den Studenten sagen?

Faymann: Wir bemühen uns intensiv um eine Lösung und bringen uns aktiv in den Dialog mit den Studenten ein. Die Richtung aus unserer Sicht muss sein: Studienplatzfinanzierung, Eingangsphasen statt Knock-out-Prüfungen. Es muss gewisse Regeln geben, aber der freie Zugang, insbesondere ohne Studiengebühren, ist ein Prinzip, das wir nicht aufgeben. Ich habe wirklich Verständnis für die Studenten, wenn sie verlangen, dass sie ordentliche Studienbedingungen haben. Das gehört auch zu unseren Anliegen.

STANDARD: Für die deutschen Studenten soll es eine finanzielle Abgeltung geben?

Faymann: Ideal wäre es, wenn es in Europa überall eine optimale Zahl an Ausbildungsplätzen geben würde und dieser Verdrängungswettbewerb erst gar nicht eintritt. Aber so weit sind wir nicht. Jetzt stellt sich für uns die Frage, welche Übergangsregelungen es in der EU geben kann. Ausgleichszahlungen für deutsche Studenten, die vor dem Numerus clausus flüchten, sind anzustreben. Wir lassen das jetzt prüfen. Das ist aber ein gesamteuropäisches Thema, das lässt sich in einem Land alleine nicht gut lösen. Nur so, wie wir es gerade machen.

STANDARD: Vielleicht würde es helfen, wenn Johannes Hahn Bildungskommissar werden würde.

Faymann: Das Ressort Bildung hat in der EU derzeit relativ wenig Kompetenzen. Das muss nicht ewig so bleiben. Ein Bildungskommissar hätte natürlich auch die Möglichkeiten, wichtige Fragen anzusprechen. Aber ich weiß, dass sich Gio Hahn sehr für Forschung interessiert.

STANDARD: Das Interesse der Österreicher an Politik ist auf einem Tiefststand angelangt. Ist das etwas, das Sie persönlich nehmen?

Faymann: Persönlich nehme ich, dass viele Politiker Wettbewerb so verstehen, dass sie nicht sagen, was sie selbst gut machen könnten, sondern sagen, warum der andere schlecht ist. Da meine ich die Opposition, aber auch den Koalitionspartner, manchmal auch die eigenen Leute, und ich selbst nehme mich auch nicht aus, da habe ich schon Fehler gemacht. Die Wahrheit liegt doch zwischen Streiten und Kuscheln. Unsere Kultur, Konflikte respektvoll auszustreiten, ist nicht sonderlich ausgeprägt. Manchmal hören Sie in einer Parlamentsdebatte nur eine Aneinandereihung von Beschimpfungen. Das tut der demokratischen Entwicklung sicher nicht gut. Wir müssen es zustande bringen, eine andere Meinung zu vertreten und einander dennoch zu respektieren. Dass Politik die Menschen interessiert, ist eigentlich klar, Politik, das sind ja Lebensbedingungen und gesellschaftliche Zustände. Aber die Menschen haben in diesem Hickhack oft nicht das Gefühl, dass sie sich da wiederfinden. Und da könnte jeder einen Beitrag leisten. Ich bemühe mich sehr. Aber sich noch mehr zu bemühen, dem steht nichts im Wege. (Von Christoph Prantner und Michael Völker, DER STANDARD, Printausgabe, 21.11.2009)